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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Kapital und Arbeit in den vereinigten Staaten

Belagerung durch die Russen tätig gewesen, im Jahre 1777 hatte er durch seine
Kühnheit und Geistesgegenwart einen Brand im Holzwerk des Marientnrms
gelöscht, durch Einrichtung einer Navigationsschule hatte er das Wissen der
Seeleute gehoben. Seine vaterländische Gesinnung, seine feste, männliche Art
ist durch Holteis Gedicht: "Der Preuße in Lissabon" poetisch verherrlicht
worden. Hierdurch und durch den Anteil an Kolbergs Verteidigung ist der
Bürger Nettelbeck schon der deutschen Jugend bekannt. Weniger bekannt ist
es, daß Nettelbeck in den Jahren 1769 bis 1770 königlich preußischer Schiffs¬
kapitän mit Berechtigung zum Tragen der königlichen Uniform gewesen ist. Es
handelte sich um ein mehr geschäftliches Staatsunternehmen zur See; aber
Nettelbeck hatte in dieser Stellung wegen seines bei so vielen Gelegenheiten
hervortretenden Selbständigkeitsgefühls und der Neigung zur Unbotmäßigkeit
kein Glück. Ein Duell mit seinem allerdings wenig würdigen Admiral, einem
jungen, französischen Fant, endigte die Stellung. Trotzdem suchte er später
noch einmal mit dem Staat in Beziehung zu treten, indem er mit weitem
Blick koloniale Erwerbungen am Kormautin am Golf von Guinea empfahl.
"Bei der Zeitung von dein entsetzlichen Tage von Jena und Auerstädt, so
schreibt er in seiner Lebensbeschreibung, blutete mir als feurigem Patrioten,
der die alten Zeiten von unsers großen Friedrichs Taten noch im Kopfe hatte,
das Herz"; er meinte "Gut und Blut, die letzte Kraft des Lebens für König
und Vaterland aufbieten zu müssen, ohne sich lange feig und klug vorwärts
und rückwärts umzusehen".




Kapital und Arbeit in den Vereinigten Staaten

erner Sombart beantwortet in einer bei I. C. B. Mohr in
Tübingen 1906 erschienenen Schrift die Frage: Warum gibt
es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus?
Die Frage ist eum AiAno sg,Il8 zu verstehe". Es gibt schon
Sozialismus und Sozialisten, aber die Zahl der sich politisch
beteiligenden Sozialisten ist verhältnismäßig klein, und die mehr oder weniger
sozialistischen Arbeiterorganisationen verschiedner Benennung sind bisher ohne
politischen Einfluß geblieben. Diese Tatsache befremdet auf den ersten Blick,
weil aller moderner Sozialismus nur "eine Neflexerscheinung des Kapitalismus",
Nordamerika aber das kapitalistische Land par sxvöllenvö ist, nach Sombart
das einzige, in dem der Kapitalismus unumschränkt herrscht, alle Verhältnisse
bestimmt, alle Volksschichten durchdringt. Dieses Land, das noch vor fünfzig
Jahren das Ziel bäuerlicher Auswandrer und beinahe ein reiner Agrarstciat
war, ist heute ein Großstadtland. Es hat keine Handwerker mehr, die land¬
wirtschaftliche Bevölkerung ist auf 35,7 Prozent gesunken (gegen 36,12 in


Kapital und Arbeit in den vereinigten Staaten

Belagerung durch die Russen tätig gewesen, im Jahre 1777 hatte er durch seine
Kühnheit und Geistesgegenwart einen Brand im Holzwerk des Marientnrms
gelöscht, durch Einrichtung einer Navigationsschule hatte er das Wissen der
Seeleute gehoben. Seine vaterländische Gesinnung, seine feste, männliche Art
ist durch Holteis Gedicht: „Der Preuße in Lissabon" poetisch verherrlicht
worden. Hierdurch und durch den Anteil an Kolbergs Verteidigung ist der
Bürger Nettelbeck schon der deutschen Jugend bekannt. Weniger bekannt ist
es, daß Nettelbeck in den Jahren 1769 bis 1770 königlich preußischer Schiffs¬
kapitän mit Berechtigung zum Tragen der königlichen Uniform gewesen ist. Es
handelte sich um ein mehr geschäftliches Staatsunternehmen zur See; aber
Nettelbeck hatte in dieser Stellung wegen seines bei so vielen Gelegenheiten
hervortretenden Selbständigkeitsgefühls und der Neigung zur Unbotmäßigkeit
kein Glück. Ein Duell mit seinem allerdings wenig würdigen Admiral, einem
jungen, französischen Fant, endigte die Stellung. Trotzdem suchte er später
noch einmal mit dem Staat in Beziehung zu treten, indem er mit weitem
Blick koloniale Erwerbungen am Kormautin am Golf von Guinea empfahl.
„Bei der Zeitung von dein entsetzlichen Tage von Jena und Auerstädt, so
schreibt er in seiner Lebensbeschreibung, blutete mir als feurigem Patrioten,
der die alten Zeiten von unsers großen Friedrichs Taten noch im Kopfe hatte,
das Herz"; er meinte „Gut und Blut, die letzte Kraft des Lebens für König
und Vaterland aufbieten zu müssen, ohne sich lange feig und klug vorwärts
und rückwärts umzusehen".




Kapital und Arbeit in den Vereinigten Staaten

erner Sombart beantwortet in einer bei I. C. B. Mohr in
Tübingen 1906 erschienenen Schrift die Frage: Warum gibt
es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus?
Die Frage ist eum AiAno sg,Il8 zu verstehe«. Es gibt schon
Sozialismus und Sozialisten, aber die Zahl der sich politisch
beteiligenden Sozialisten ist verhältnismäßig klein, und die mehr oder weniger
sozialistischen Arbeiterorganisationen verschiedner Benennung sind bisher ohne
politischen Einfluß geblieben. Diese Tatsache befremdet auf den ersten Blick,
weil aller moderner Sozialismus nur „eine Neflexerscheinung des Kapitalismus",
Nordamerika aber das kapitalistische Land par sxvöllenvö ist, nach Sombart
das einzige, in dem der Kapitalismus unumschränkt herrscht, alle Verhältnisse
bestimmt, alle Volksschichten durchdringt. Dieses Land, das noch vor fünfzig
Jahren das Ziel bäuerlicher Auswandrer und beinahe ein reiner Agrarstciat
war, ist heute ein Großstadtland. Es hat keine Handwerker mehr, die land¬
wirtschaftliche Bevölkerung ist auf 35,7 Prozent gesunken (gegen 36,12 in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/466>, abgerufen am 27.06.2024.