Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die englische Herrschaft in Indien

!le englische Herrschaft in Indien steht noch für lange Zeit ans
festen Füßen. Und das ist gut. Denn Indien ist zur Selbst-
regierung noch nicht reif. Es könnte sich nnr darum handeln, ob
es einen andern Herrn bekäme. Möge dieser nun Rußland oder
I Japan heißen: für das Land selbst wie auch für Deutschland wäre
es ein schlechter Tausch. Wo der russische Zöllner hintritt, da wächst kein Gras
wieder, und auch eine japanische Zvllherrlichkeit in fremden Ländern möchten wir
nicht erleben. England dagegen läßt in Indien fast uneingeschränkten Freihandel
walten, und wo es Zölle erhebt, müsse" englische Waren sie ebensogut bezahlen
wie deutsche. Höchstens könnte man sagen: den indischen Zuckerschutzzoll bezahlt
England nicht, weil es keine" Zucker ausführt, wohl aber Deutschland. Das ist
richtig, doch ist eine solche Einzelheit nicht maßgebend für den ganzen Charakter
der englischen Herrschaft.

So lange die Geschichte von Indien weiß, hat sich das Land niemals selbst
regieren können. Es ist ethnographisch durchaus keine Einheit, denn immer sind
kräftige Bergvölker von Norden hereingedrungen und haben die verweichlichten
Bewohner des Flachlandes unterworfen. Dann verweichlichten sie in dem feucht¬
warmen Klima selber lind wurden die Beute andrer. Sogar von den hindostanisch
sprechenden sogenannten Arisch-Jndiern (195^ Millionen Einwohnern) sind nur
die obern Kasten, die Brahminen und Soldaten indogermanischen Ursprungs,
die übrigen sind allerlei Ureinwohnerstämmen entsprossen. Die Draviden mit
53 Millionen und die zahlreichen kleinern Völkerschaften haben mit den eigent¬
lichen Indern keine Stammesgemeinschaft. Auch jetzt würden die Inder keine
nationale Herrschaft entwickeln können, schon weil sie selber wieder in eine zur
Hindureligiou gehörende Mehrheit und eine mohammedanische Minderheit von
57 Millionen gespalten sind. Es fehlen noch durchaus die Elemente, die über
die zur Aufrichtung einer Herrschaft erforderliche Kraft verfügten. Alle mit¬
einander sind weichliche Völkerschaften. Wenn man auf den gefährlichen Aufstand
von 1857 verweist, so ist doch mancherlei ernstliches dabei zu bedenken. Damals


Grenzboten > 1907 44


Die englische Herrschaft in Indien

!le englische Herrschaft in Indien steht noch für lange Zeit ans
festen Füßen. Und das ist gut. Denn Indien ist zur Selbst-
regierung noch nicht reif. Es könnte sich nnr darum handeln, ob
es einen andern Herrn bekäme. Möge dieser nun Rußland oder
I Japan heißen: für das Land selbst wie auch für Deutschland wäre
es ein schlechter Tausch. Wo der russische Zöllner hintritt, da wächst kein Gras
wieder, und auch eine japanische Zvllherrlichkeit in fremden Ländern möchten wir
nicht erleben. England dagegen läßt in Indien fast uneingeschränkten Freihandel
walten, und wo es Zölle erhebt, müsse» englische Waren sie ebensogut bezahlen
wie deutsche. Höchstens könnte man sagen: den indischen Zuckerschutzzoll bezahlt
England nicht, weil es keine» Zucker ausführt, wohl aber Deutschland. Das ist
richtig, doch ist eine solche Einzelheit nicht maßgebend für den ganzen Charakter
der englischen Herrschaft.

So lange die Geschichte von Indien weiß, hat sich das Land niemals selbst
regieren können. Es ist ethnographisch durchaus keine Einheit, denn immer sind
kräftige Bergvölker von Norden hereingedrungen und haben die verweichlichten
Bewohner des Flachlandes unterworfen. Dann verweichlichten sie in dem feucht¬
warmen Klima selber lind wurden die Beute andrer. Sogar von den hindostanisch
sprechenden sogenannten Arisch-Jndiern (195^ Millionen Einwohnern) sind nur
die obern Kasten, die Brahminen und Soldaten indogermanischen Ursprungs,
die übrigen sind allerlei Ureinwohnerstämmen entsprossen. Die Draviden mit
53 Millionen und die zahlreichen kleinern Völkerschaften haben mit den eigent¬
lichen Indern keine Stammesgemeinschaft. Auch jetzt würden die Inder keine
nationale Herrschaft entwickeln können, schon weil sie selber wieder in eine zur
Hindureligiou gehörende Mehrheit und eine mohammedanische Minderheit von
57 Millionen gespalten sind. Es fehlen noch durchaus die Elemente, die über
die zur Aufrichtung einer Herrschaft erforderliche Kraft verfügten. Alle mit¬
einander sind weichliche Völkerschaften. Wenn man auf den gefährlichen Aufstand
von 1857 verweist, so ist doch mancherlei ernstliches dabei zu bedenken. Damals


Grenzboten > 1907 44
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301595"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341885_301253/figures/grenzboten_341885_301253_301595_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die englische Herrschaft in Indien</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1241"> !le englische Herrschaft in Indien steht noch für lange Zeit ans<lb/>
festen Füßen. Und das ist gut. Denn Indien ist zur Selbst-<lb/>
regierung noch nicht reif. Es könnte sich nnr darum handeln, ob<lb/>
es einen andern Herrn bekäme. Möge dieser nun Rußland oder<lb/>
I Japan heißen: für das Land selbst wie auch für Deutschland wäre<lb/>
es ein schlechter Tausch. Wo der russische Zöllner hintritt, da wächst kein Gras<lb/>
wieder, und auch eine japanische Zvllherrlichkeit in fremden Ländern möchten wir<lb/>
nicht erleben. England dagegen läßt in Indien fast uneingeschränkten Freihandel<lb/>
walten, und wo es Zölle erhebt, müsse» englische Waren sie ebensogut bezahlen<lb/>
wie deutsche. Höchstens könnte man sagen: den indischen Zuckerschutzzoll bezahlt<lb/>
England nicht, weil es keine» Zucker ausführt, wohl aber Deutschland. Das ist<lb/>
richtig, doch ist eine solche Einzelheit nicht maßgebend für den ganzen Charakter<lb/>
der englischen Herrschaft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1242" next="#ID_1243"> So lange die Geschichte von Indien weiß, hat sich das Land niemals selbst<lb/>
regieren können. Es ist ethnographisch durchaus keine Einheit, denn immer sind<lb/>
kräftige Bergvölker von Norden hereingedrungen und haben die verweichlichten<lb/>
Bewohner des Flachlandes unterworfen. Dann verweichlichten sie in dem feucht¬<lb/>
warmen Klima selber lind wurden die Beute andrer. Sogar von den hindostanisch<lb/>
sprechenden sogenannten Arisch-Jndiern (195^ Millionen Einwohnern) sind nur<lb/>
die obern Kasten, die Brahminen und Soldaten indogermanischen Ursprungs,<lb/>
die übrigen sind allerlei Ureinwohnerstämmen entsprossen. Die Draviden mit<lb/>
53 Millionen und die zahlreichen kleinern Völkerschaften haben mit den eigent¬<lb/>
lichen Indern keine Stammesgemeinschaft. Auch jetzt würden die Inder keine<lb/>
nationale Herrschaft entwickeln können, schon weil sie selber wieder in eine zur<lb/>
Hindureligiou gehörende Mehrheit und eine mohammedanische Minderheit von<lb/>
57 Millionen gespalten sind. Es fehlen noch durchaus die Elemente, die über<lb/>
die zur Aufrichtung einer Herrschaft erforderliche Kraft verfügten. Alle mit¬<lb/>
einander sind weichliche Völkerschaften. Wenn man auf den gefährlichen Aufstand<lb/>
von 1857 verweist, so ist doch mancherlei ernstliches dabei zu bedenken. Damals</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten &gt; 1907 44</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0341] [Abbildung] Die englische Herrschaft in Indien !le englische Herrschaft in Indien steht noch für lange Zeit ans festen Füßen. Und das ist gut. Denn Indien ist zur Selbst- regierung noch nicht reif. Es könnte sich nnr darum handeln, ob es einen andern Herrn bekäme. Möge dieser nun Rußland oder I Japan heißen: für das Land selbst wie auch für Deutschland wäre es ein schlechter Tausch. Wo der russische Zöllner hintritt, da wächst kein Gras wieder, und auch eine japanische Zvllherrlichkeit in fremden Ländern möchten wir nicht erleben. England dagegen läßt in Indien fast uneingeschränkten Freihandel walten, und wo es Zölle erhebt, müsse» englische Waren sie ebensogut bezahlen wie deutsche. Höchstens könnte man sagen: den indischen Zuckerschutzzoll bezahlt England nicht, weil es keine» Zucker ausführt, wohl aber Deutschland. Das ist richtig, doch ist eine solche Einzelheit nicht maßgebend für den ganzen Charakter der englischen Herrschaft. So lange die Geschichte von Indien weiß, hat sich das Land niemals selbst regieren können. Es ist ethnographisch durchaus keine Einheit, denn immer sind kräftige Bergvölker von Norden hereingedrungen und haben die verweichlichten Bewohner des Flachlandes unterworfen. Dann verweichlichten sie in dem feucht¬ warmen Klima selber lind wurden die Beute andrer. Sogar von den hindostanisch sprechenden sogenannten Arisch-Jndiern (195^ Millionen Einwohnern) sind nur die obern Kasten, die Brahminen und Soldaten indogermanischen Ursprungs, die übrigen sind allerlei Ureinwohnerstämmen entsprossen. Die Draviden mit 53 Millionen und die zahlreichen kleinern Völkerschaften haben mit den eigent¬ lichen Indern keine Stammesgemeinschaft. Auch jetzt würden die Inder keine nationale Herrschaft entwickeln können, schon weil sie selber wieder in eine zur Hindureligiou gehörende Mehrheit und eine mohammedanische Minderheit von 57 Millionen gespalten sind. Es fehlen noch durchaus die Elemente, die über die zur Aufrichtung einer Herrschaft erforderliche Kraft verfügten. Alle mit¬ einander sind weichliche Völkerschaften. Wenn man auf den gefährlichen Aufstand von 1857 verweist, so ist doch mancherlei ernstliches dabei zu bedenken. Damals Grenzboten > 1907 44

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/341
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/341>, abgerufen am 27.06.2024.