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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Schöpfung der Sprache

faltig gestalteten Fach- und Fortbildungsschulwesens. Unsern deutschen zwei-
oder gar einstündigem Fortbildungs- und Sonntagsunterricht erklärt der
Verfasser, Georg Kerschensteiner, mit Recht für beinahe wertlos. Die geistes¬
wissenschaftlichen Hochschulen, d. h. also die Universitäten, hat wieder Paulsen
bearbeitet. Er legt unter anderm dar, daß es praktische Beweggründe ge¬
wesen seien, die den Fakultäten ihren Lehrstoff zugewiesen hätten, ohne Rück¬
sicht auf die Stellung der einzelnen Fächer im Organismus der Wissenschaften,
fügt jedoch hinzu: "daß dies nicht im Sinne des Tadels gesagt ist; es liegt
mir fern, die jüngst erhabne Forderung mir anzueignen, die theologische
Fakultät in eine religionswissenschaftliche umzuwandeln oder sie etwa unter
diesem Namen als Abteilung in die philosophische zu versetzen. Wer das
wollte, der müßte ein gleiches natürlich auch für die juristische fordern und
dann wohl anch die weitere Folgerung ziehn, daß diese religious- oder rechts-
wissenschaftliche Abteilung nun die Religionen oder die Rechtssysteme aller
Völker der Erde, ohne allen Vorzug, ob christlich oder tibetanisch, römisch oder
babylonisch, mit gleicher Eindringlichkeit erforsche und darstelle." Aus der
Geschichte der Bibliotheken, die Fritz Milkau erzählt, wird der Leser viel
Neues oder vielmehr ihm bisher unbekannt gebliebnes Altes erfahren, und er
wird unter andern: darüber erstaunen, wie nachlässig und stiefmütterlich diese
Anstalten, auf denen die Stetigkeit des Vildungsfortschritts zu einem so großen
Teil beruht, bis in den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts hinein be¬
handelt worden sind. Für den soeben angegebnen Zweck der Bibliotheken hat
auch "die Kultur der Gegenwart" etwas zu bedeuten. Sie ist selbst eine
kleine Bibliothek, deren Inhalt als der Extrakt ganzer Bibliotheken bezeichnet
werden kann, erzänzt durch vieles, was aus dem lebendigen Strome der
Gegenwart geschöpft ist. Wer diesen Inhalt in sich aufgenommen hat, der
hat damit eine sichere Grundlage gewonnen für ersprießliche selbständige Teil¬
nahme an der Kulturarbeit unsrer Tage und unsers Volkes.




Die Schöpfung der Sprache
v Dr. Ernst Meyer onin

in vergangnen Jahre erschien im Verlage der Grenzboten unter
dem Titel "Die Schöpfung der Sprache" ein interessantes Buch,
das einen damals noch unbekannten Sprachforscher Wilhelm
Meyer in Rinteln zum Verfasser hatte. Eine geradezu über¬
raschende Fülle von neuen Erkenntnissen brachte dieses Werk, die
Frucht jahrelanger, mühsamer Forschungen; und so wurde denn auch seine Be¬
deutung bald von größern Zeitungen und Zeitschriften besprochen. Allen voran
ging die Kölnische Zeitung, die ihren bemerkenswerten Artikel mit den Worten


Die Schöpfung der Sprache

faltig gestalteten Fach- und Fortbildungsschulwesens. Unsern deutschen zwei-
oder gar einstündigem Fortbildungs- und Sonntagsunterricht erklärt der
Verfasser, Georg Kerschensteiner, mit Recht für beinahe wertlos. Die geistes¬
wissenschaftlichen Hochschulen, d. h. also die Universitäten, hat wieder Paulsen
bearbeitet. Er legt unter anderm dar, daß es praktische Beweggründe ge¬
wesen seien, die den Fakultäten ihren Lehrstoff zugewiesen hätten, ohne Rück¬
sicht auf die Stellung der einzelnen Fächer im Organismus der Wissenschaften,
fügt jedoch hinzu: „daß dies nicht im Sinne des Tadels gesagt ist; es liegt
mir fern, die jüngst erhabne Forderung mir anzueignen, die theologische
Fakultät in eine religionswissenschaftliche umzuwandeln oder sie etwa unter
diesem Namen als Abteilung in die philosophische zu versetzen. Wer das
wollte, der müßte ein gleiches natürlich auch für die juristische fordern und
dann wohl anch die weitere Folgerung ziehn, daß diese religious- oder rechts-
wissenschaftliche Abteilung nun die Religionen oder die Rechtssysteme aller
Völker der Erde, ohne allen Vorzug, ob christlich oder tibetanisch, römisch oder
babylonisch, mit gleicher Eindringlichkeit erforsche und darstelle." Aus der
Geschichte der Bibliotheken, die Fritz Milkau erzählt, wird der Leser viel
Neues oder vielmehr ihm bisher unbekannt gebliebnes Altes erfahren, und er
wird unter andern: darüber erstaunen, wie nachlässig und stiefmütterlich diese
Anstalten, auf denen die Stetigkeit des Vildungsfortschritts zu einem so großen
Teil beruht, bis in den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts hinein be¬
handelt worden sind. Für den soeben angegebnen Zweck der Bibliotheken hat
auch „die Kultur der Gegenwart" etwas zu bedeuten. Sie ist selbst eine
kleine Bibliothek, deren Inhalt als der Extrakt ganzer Bibliotheken bezeichnet
werden kann, erzänzt durch vieles, was aus dem lebendigen Strome der
Gegenwart geschöpft ist. Wer diesen Inhalt in sich aufgenommen hat, der
hat damit eine sichere Grundlage gewonnen für ersprießliche selbständige Teil¬
nahme an der Kulturarbeit unsrer Tage und unsers Volkes.




Die Schöpfung der Sprache
v Dr. Ernst Meyer onin

in vergangnen Jahre erschien im Verlage der Grenzboten unter
dem Titel „Die Schöpfung der Sprache" ein interessantes Buch,
das einen damals noch unbekannten Sprachforscher Wilhelm
Meyer in Rinteln zum Verfasser hatte. Eine geradezu über¬
raschende Fülle von neuen Erkenntnissen brachte dieses Werk, die
Frucht jahrelanger, mühsamer Forschungen; und so wurde denn auch seine Be¬
deutung bald von größern Zeitungen und Zeitschriften besprochen. Allen voran
ging die Kölnische Zeitung, die ihren bemerkenswerten Artikel mit den Worten


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[0253] Die Schöpfung der Sprache faltig gestalteten Fach- und Fortbildungsschulwesens. Unsern deutschen zwei- oder gar einstündigem Fortbildungs- und Sonntagsunterricht erklärt der Verfasser, Georg Kerschensteiner, mit Recht für beinahe wertlos. Die geistes¬ wissenschaftlichen Hochschulen, d. h. also die Universitäten, hat wieder Paulsen bearbeitet. Er legt unter anderm dar, daß es praktische Beweggründe ge¬ wesen seien, die den Fakultäten ihren Lehrstoff zugewiesen hätten, ohne Rück¬ sicht auf die Stellung der einzelnen Fächer im Organismus der Wissenschaften, fügt jedoch hinzu: „daß dies nicht im Sinne des Tadels gesagt ist; es liegt mir fern, die jüngst erhabne Forderung mir anzueignen, die theologische Fakultät in eine religionswissenschaftliche umzuwandeln oder sie etwa unter diesem Namen als Abteilung in die philosophische zu versetzen. Wer das wollte, der müßte ein gleiches natürlich auch für die juristische fordern und dann wohl anch die weitere Folgerung ziehn, daß diese religious- oder rechts- wissenschaftliche Abteilung nun die Religionen oder die Rechtssysteme aller Völker der Erde, ohne allen Vorzug, ob christlich oder tibetanisch, römisch oder babylonisch, mit gleicher Eindringlichkeit erforsche und darstelle." Aus der Geschichte der Bibliotheken, die Fritz Milkau erzählt, wird der Leser viel Neues oder vielmehr ihm bisher unbekannt gebliebnes Altes erfahren, und er wird unter andern: darüber erstaunen, wie nachlässig und stiefmütterlich diese Anstalten, auf denen die Stetigkeit des Vildungsfortschritts zu einem so großen Teil beruht, bis in den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts hinein be¬ handelt worden sind. Für den soeben angegebnen Zweck der Bibliotheken hat auch „die Kultur der Gegenwart" etwas zu bedeuten. Sie ist selbst eine kleine Bibliothek, deren Inhalt als der Extrakt ganzer Bibliotheken bezeichnet werden kann, erzänzt durch vieles, was aus dem lebendigen Strome der Gegenwart geschöpft ist. Wer diesen Inhalt in sich aufgenommen hat, der hat damit eine sichere Grundlage gewonnen für ersprießliche selbständige Teil¬ nahme an der Kulturarbeit unsrer Tage und unsers Volkes. Die Schöpfung der Sprache v Dr. Ernst Meyer onin in vergangnen Jahre erschien im Verlage der Grenzboten unter dem Titel „Die Schöpfung der Sprache" ein interessantes Buch, das einen damals noch unbekannten Sprachforscher Wilhelm Meyer in Rinteln zum Verfasser hatte. Eine geradezu über¬ raschende Fülle von neuen Erkenntnissen brachte dieses Werk, die Frucht jahrelanger, mühsamer Forschungen; und so wurde denn auch seine Be¬ deutung bald von größern Zeitungen und Zeitschriften besprochen. Allen voran ging die Kölnische Zeitung, die ihren bemerkenswerten Artikel mit den Worten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/253>, abgerufen am 27.06.2024.