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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Verantwortlichkeitsgefühl als eine traditionelle, wohltätige, staatenbildende Macht
begreifen und darf sich nicht herausnehmen, sie nach fremden, undeutschen An¬
schauungen entsprungnen Vorurteilen modeln zu wollen. Das Reich wird sein
mit einem lebendigen Kaisertum, oder es wird gar nicht sein. Verschwinden muß
vollends die ekle Simplicissimusstimmung, die alles Ehrwürdige, alles Hohe in
den Kot zerrt und dabei behauptet, den echt nationalen Geist zu fördern. Wenn
wir aber im Innern von den nationalen Parteien gegenseitige Achtung ver¬
langen, so fordern wir in allen Fragen, bei denen es sich um die Macht und
das Ansehen des Reiches handelt, daß sie hier einheitlich zusammenstehn und
der Neichsregierung eine feste Mehrheit gewähren ohne "Kuhhandel". Der soeben
errungne, immerhin noch recht bescheidne Wahlerfolg darf nicht zu einem nur
vorübergehenden Aufflackern nationaler Gesinnung führen, wie wohl sonst; wenn
der Liberalismus mitregieren will, so muß er regierungsfähig sein.

Das alles sind Forderungen jener großen, nur nicht organisierten, dem
Parteitreiben vielmehr abgeneigten Partei der vernünftigen Leute, deren Organ
die Grenzboten immer gewesen sind. Sie möchten das auch in Zukunft bleiben
und immer mehr werden. Ohne einer der bestehenden Parteien zu dienen,
möchten sie allen denen dienen, die das Vaterland über jede politische oder
kirchliche Partei stellen, denen die Ehre und das Ansehen und die innere Ein¬
heit der Nation durch das Zusammenwirken aller ihrer Elemente über alles
geht, die festhalten an der Monarchie, an den alten gesunden sittlichen Grund¬
lagen alles Kulturlebens. Für alle diese wollen sie ein Sammelpunkt sein, um
hinauszuwirken in weite Kreise unter der alten Losung:


"

"Ein Wahrzeichen nur gilt, das Vaterland zu beschützen."




Das Mexiko des porfirio Diaz

>ir Deutschen stecken noch tief in den politischen Kinderschuhen
und gewöhnen uns nur langsam und zaghaft daran, daß wir ein
großer Staat geworden sind, dessen Angehörige ganz andre
nationale Pflichten haben als in den Zeiten vor der Reichs-
I gründung. War es früher verständlich, daß sich die öffentliche
Meinung in Deutschland nach der jahrhundertelang währenden Abhängigkeit
vom Auslande für auswärtige Politik nur wenig oder gar nicht interessierte,
so ist es jetzt nach der glorreichen Bismarckischen Zeit, die doch alle leitenden
Männer mitgemacht haben, geradezu unverständlich, daß sich die deutsche Nation
fast gar nicht um die auswärtige Politik und um die politische Entwicklung
der andern Staaten kümmert. Das ist aber doppelt verhängnisvoll in einem
Augenblick, wo die außereuropäischen Mächte zum erstenmal in der Welt¬
geschichte einen von Tag zu Tag wachsenden Einfluß auf die Weltpvlitik zu
nehmen begonnen haben. Die Zeiten, wo nur der Lauf der Dinge in Europa


Verantwortlichkeitsgefühl als eine traditionelle, wohltätige, staatenbildende Macht
begreifen und darf sich nicht herausnehmen, sie nach fremden, undeutschen An¬
schauungen entsprungnen Vorurteilen modeln zu wollen. Das Reich wird sein
mit einem lebendigen Kaisertum, oder es wird gar nicht sein. Verschwinden muß
vollends die ekle Simplicissimusstimmung, die alles Ehrwürdige, alles Hohe in
den Kot zerrt und dabei behauptet, den echt nationalen Geist zu fördern. Wenn
wir aber im Innern von den nationalen Parteien gegenseitige Achtung ver¬
langen, so fordern wir in allen Fragen, bei denen es sich um die Macht und
das Ansehen des Reiches handelt, daß sie hier einheitlich zusammenstehn und
der Neichsregierung eine feste Mehrheit gewähren ohne „Kuhhandel". Der soeben
errungne, immerhin noch recht bescheidne Wahlerfolg darf nicht zu einem nur
vorübergehenden Aufflackern nationaler Gesinnung führen, wie wohl sonst; wenn
der Liberalismus mitregieren will, so muß er regierungsfähig sein.

Das alles sind Forderungen jener großen, nur nicht organisierten, dem
Parteitreiben vielmehr abgeneigten Partei der vernünftigen Leute, deren Organ
die Grenzboten immer gewesen sind. Sie möchten das auch in Zukunft bleiben
und immer mehr werden. Ohne einer der bestehenden Parteien zu dienen,
möchten sie allen denen dienen, die das Vaterland über jede politische oder
kirchliche Partei stellen, denen die Ehre und das Ansehen und die innere Ein¬
heit der Nation durch das Zusammenwirken aller ihrer Elemente über alles
geht, die festhalten an der Monarchie, an den alten gesunden sittlichen Grund¬
lagen alles Kulturlebens. Für alle diese wollen sie ein Sammelpunkt sein, um
hinauszuwirken in weite Kreise unter der alten Losung:


"

„Ein Wahrzeichen nur gilt, das Vaterland zu beschützen."




Das Mexiko des porfirio Diaz

>ir Deutschen stecken noch tief in den politischen Kinderschuhen
und gewöhnen uns nur langsam und zaghaft daran, daß wir ein
großer Staat geworden sind, dessen Angehörige ganz andre
nationale Pflichten haben als in den Zeiten vor der Reichs-
I gründung. War es früher verständlich, daß sich die öffentliche
Meinung in Deutschland nach der jahrhundertelang währenden Abhängigkeit
vom Auslande für auswärtige Politik nur wenig oder gar nicht interessierte,
so ist es jetzt nach der glorreichen Bismarckischen Zeit, die doch alle leitenden
Männer mitgemacht haben, geradezu unverständlich, daß sich die deutsche Nation
fast gar nicht um die auswärtige Politik und um die politische Entwicklung
der andern Staaten kümmert. Das ist aber doppelt verhängnisvoll in einem
Augenblick, wo die außereuropäischen Mächte zum erstenmal in der Welt¬
geschichte einen von Tag zu Tag wachsenden Einfluß auf die Weltpvlitik zu
nehmen begonnen haben. Die Zeiten, wo nur der Lauf der Dinge in Europa


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[0237] Verantwortlichkeitsgefühl als eine traditionelle, wohltätige, staatenbildende Macht begreifen und darf sich nicht herausnehmen, sie nach fremden, undeutschen An¬ schauungen entsprungnen Vorurteilen modeln zu wollen. Das Reich wird sein mit einem lebendigen Kaisertum, oder es wird gar nicht sein. Verschwinden muß vollends die ekle Simplicissimusstimmung, die alles Ehrwürdige, alles Hohe in den Kot zerrt und dabei behauptet, den echt nationalen Geist zu fördern. Wenn wir aber im Innern von den nationalen Parteien gegenseitige Achtung ver¬ langen, so fordern wir in allen Fragen, bei denen es sich um die Macht und das Ansehen des Reiches handelt, daß sie hier einheitlich zusammenstehn und der Neichsregierung eine feste Mehrheit gewähren ohne „Kuhhandel". Der soeben errungne, immerhin noch recht bescheidne Wahlerfolg darf nicht zu einem nur vorübergehenden Aufflackern nationaler Gesinnung führen, wie wohl sonst; wenn der Liberalismus mitregieren will, so muß er regierungsfähig sein. Das alles sind Forderungen jener großen, nur nicht organisierten, dem Parteitreiben vielmehr abgeneigten Partei der vernünftigen Leute, deren Organ die Grenzboten immer gewesen sind. Sie möchten das auch in Zukunft bleiben und immer mehr werden. Ohne einer der bestehenden Parteien zu dienen, möchten sie allen denen dienen, die das Vaterland über jede politische oder kirchliche Partei stellen, denen die Ehre und das Ansehen und die innere Ein¬ heit der Nation durch das Zusammenwirken aller ihrer Elemente über alles geht, die festhalten an der Monarchie, an den alten gesunden sittlichen Grund¬ lagen alles Kulturlebens. Für alle diese wollen sie ein Sammelpunkt sein, um hinauszuwirken in weite Kreise unter der alten Losung: " „Ein Wahrzeichen nur gilt, das Vaterland zu beschützen." Das Mexiko des porfirio Diaz >ir Deutschen stecken noch tief in den politischen Kinderschuhen und gewöhnen uns nur langsam und zaghaft daran, daß wir ein großer Staat geworden sind, dessen Angehörige ganz andre nationale Pflichten haben als in den Zeiten vor der Reichs- I gründung. War es früher verständlich, daß sich die öffentliche Meinung in Deutschland nach der jahrhundertelang währenden Abhängigkeit vom Auslande für auswärtige Politik nur wenig oder gar nicht interessierte, so ist es jetzt nach der glorreichen Bismarckischen Zeit, die doch alle leitenden Männer mitgemacht haben, geradezu unverständlich, daß sich die deutsche Nation fast gar nicht um die auswärtige Politik und um die politische Entwicklung der andern Staaten kümmert. Das ist aber doppelt verhängnisvoll in einem Augenblick, wo die außereuropäischen Mächte zum erstenmal in der Welt¬ geschichte einen von Tag zu Tag wachsenden Einfluß auf die Weltpvlitik zu nehmen begonnen haben. Die Zeiten, wo nur der Lauf der Dinge in Europa

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/237>, abgerufen am 24.07.2024.