Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.Der geflügelte Sieger Deutsche Geschichtschreiber haben sich über die Grausamkeit Karls gewaltig Der geflügelte Sieger Georg stelln II IIS von (Fortsetzung) nfcing Oktober -- die Hochzeit sollte im Mai des nächsten Jahres Der geflügelte Sieger Deutsche Geschichtschreiber haben sich über die Grausamkeit Karls gewaltig Der geflügelte Sieger Georg stelln II IIS von (Fortsetzung) nfcing Oktober — die Hochzeit sollte im Mai des nächsten Jahres <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301473"/> <fw type="header" place="top"> Der geflügelte Sieger</fw><lb/> <p xml:id="ID_763"> Deutsche Geschichtschreiber haben sich über die Grausamkeit Karls gewaltig<lb/> aufgeregt. Mit Unrecht, scheint mir. Wir Kinder des zwanzigsten Jahrhunderts<lb/> vermögen die rauhen Sitten des Mittelalters schwer zu begreifen, uns in seine<lb/> Weltanschauung kaum hineinzudenken. Damals hieß es: Wer im Spiel um eine<lb/> Krone verliert, hat nichts mehr zu hoffen. Und es unterliegt für mich keinem<lb/> Zweifel: hätte Konradin gesiegt und den Anjou gefangen genommen, so Ware<lb/> diesem von den Deutschen dasselbe Schicksal widerfahren. Hatte doch Konradius<lb/> eigner Urgroßvater, Heinrich der Sechste, um seinen Thron zu befestigen, siebzig<lb/> Jahre früher, dem letzten Sprossen des Hauses Hauteville in Palermo, dem<lb/> Knaben Wilhelm dem Dritten, beide Augen ausstechen, ihn entmannen und dann<lb/> über die Alpen schaffen lassen, wo er im Burgverlies einsam einem frühen Tode<lb/> entgegeusiechte! Diesem Verfahren gegenüber muß man die Köpfung Konradins<lb/> als einen Akt der Gnade und der Milde bezeichnen. Mit Blut und Tränen war<lb/> das Hohenstaufenreich in Süditalien aufgebaut worden, mit Blut und Tränen<lb/> sank es in Trümmer.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der geflügelte Sieger<lb/><note type="byline"> Georg stelln II IIS</note> von (Fortsetzung)</head><lb/> <p xml:id="ID_764"> nfcing Oktober — die Hochzeit sollte im Mai des nächsten Jahres<lb/> stattfinden — gab es auf dem Schlosse, wie alljährlich immer um<lb/> diese Zeit, viel Besuch, wahre Serien von Wohnbesuchen, wie sie<lb/> zu Napoleons des Dritten Zeiten in Compiegne üblich waren. Die<lb/> beiden Töchter mit ihren Gatten und ihren kleinen Familien kamen,<lb/> zu ihnen gesellten sich Universitätsfreunde des Bräutigams sowie<lb/> junges Volk aus der Nachbarschaft, und als ob es daran noch nicht genug ge¬<lb/> wesen wäre, wurden einmal über das andre die Offiziere der nahegelegnen kleinen<lb/> Kavalleriegarnison geladen, sodaß man nicht selten zu zwanzig und dreißig Personen<lb/> zu Tisch ging. Fast ebenso zahlreich war die von den Gästen samt Pferden und<lb/> Wagen mitgebrachte Dienerschaft, deren Einquartierung und Verpflegung als etwas<lb/> Selbstverständliches ans keinerlei Schwierigkeiten stieß. Die Gewohnheit dieser „Ein¬<lb/> lagerungen", die aus dem nahe benachbarten Polen herübergekommen sein dürfte,<lb/> hatte mit dem fürstlichen Luxus, den die angesessenen großen englischen Familien<lb/> bei solchen Gelegenheiten zur Schau tragen, nichts gemein. Unterbringung, Ver¬<lb/> pflegung und Bedienung waren vielmehr in Lunzenau grundsätzlich primitiv, ob¬<lb/> wohl am Essen und Trinken, was die Fülle anlangte, so wenig gespart wurde, daß<lb/> nur die „zehrende Luft" die Massenhaftigkeit des alltäglich an Trank und Atzung<lb/> Ausgehenden einigermaßen zu erklären vermochte. An Regentagen waren um zehn<lb/> Uhr beginnende, ohne Unterbrechung in das gewöhnlich um zwei Uhr aufgetragne<lb/> Mittagessen „übergehende" zweite Frühstücke keine Seltenheit, und wenn es gut<lb/> ging, das heißt wenn es weiter regnete, blieb man dann mich noch bei einem<lb/> Gläschen und einem Spielchen bis zum Abendbrot sitzen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0219]
Der geflügelte Sieger
Deutsche Geschichtschreiber haben sich über die Grausamkeit Karls gewaltig
aufgeregt. Mit Unrecht, scheint mir. Wir Kinder des zwanzigsten Jahrhunderts
vermögen die rauhen Sitten des Mittelalters schwer zu begreifen, uns in seine
Weltanschauung kaum hineinzudenken. Damals hieß es: Wer im Spiel um eine
Krone verliert, hat nichts mehr zu hoffen. Und es unterliegt für mich keinem
Zweifel: hätte Konradin gesiegt und den Anjou gefangen genommen, so Ware
diesem von den Deutschen dasselbe Schicksal widerfahren. Hatte doch Konradius
eigner Urgroßvater, Heinrich der Sechste, um seinen Thron zu befestigen, siebzig
Jahre früher, dem letzten Sprossen des Hauses Hauteville in Palermo, dem
Knaben Wilhelm dem Dritten, beide Augen ausstechen, ihn entmannen und dann
über die Alpen schaffen lassen, wo er im Burgverlies einsam einem frühen Tode
entgegeusiechte! Diesem Verfahren gegenüber muß man die Köpfung Konradins
als einen Akt der Gnade und der Milde bezeichnen. Mit Blut und Tränen war
das Hohenstaufenreich in Süditalien aufgebaut worden, mit Blut und Tränen
sank es in Trümmer.
Der geflügelte Sieger
Georg stelln II IIS von (Fortsetzung)
nfcing Oktober — die Hochzeit sollte im Mai des nächsten Jahres
stattfinden — gab es auf dem Schlosse, wie alljährlich immer um
diese Zeit, viel Besuch, wahre Serien von Wohnbesuchen, wie sie
zu Napoleons des Dritten Zeiten in Compiegne üblich waren. Die
beiden Töchter mit ihren Gatten und ihren kleinen Familien kamen,
zu ihnen gesellten sich Universitätsfreunde des Bräutigams sowie
junges Volk aus der Nachbarschaft, und als ob es daran noch nicht genug ge¬
wesen wäre, wurden einmal über das andre die Offiziere der nahegelegnen kleinen
Kavalleriegarnison geladen, sodaß man nicht selten zu zwanzig und dreißig Personen
zu Tisch ging. Fast ebenso zahlreich war die von den Gästen samt Pferden und
Wagen mitgebrachte Dienerschaft, deren Einquartierung und Verpflegung als etwas
Selbstverständliches ans keinerlei Schwierigkeiten stieß. Die Gewohnheit dieser „Ein¬
lagerungen", die aus dem nahe benachbarten Polen herübergekommen sein dürfte,
hatte mit dem fürstlichen Luxus, den die angesessenen großen englischen Familien
bei solchen Gelegenheiten zur Schau tragen, nichts gemein. Unterbringung, Ver¬
pflegung und Bedienung waren vielmehr in Lunzenau grundsätzlich primitiv, ob¬
wohl am Essen und Trinken, was die Fülle anlangte, so wenig gespart wurde, daß
nur die „zehrende Luft" die Massenhaftigkeit des alltäglich an Trank und Atzung
Ausgehenden einigermaßen zu erklären vermochte. An Regentagen waren um zehn
Uhr beginnende, ohne Unterbrechung in das gewöhnlich um zwei Uhr aufgetragne
Mittagessen „übergehende" zweite Frühstücke keine Seltenheit, und wenn es gut
ging, das heißt wenn es weiter regnete, blieb man dann mich noch bei einem
Gläschen und einem Spielchen bis zum Abendbrot sitzen.
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