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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fuciner See

sah -- als kleine, kühne Kuppe ragt er da über das Sabiuergeln'rge hinüber --,
ahnte er wohl, daß er angesichts dieses Berges alles aufs Spiel setzen und
alles verlieren würde: Freiheit, Krone, zuletzt sogar das Leben?

Weithin nach Rom zu konnte ich den Weg verfolgen, den er gekommen
war. Aber wo war die Stelle, wohin Karl seinen Hinterhalt legte? Ich konnte
nicht klug daraus werden. Die einzige Erklärung scheint mir die Annahme,
daß früher mehr Wald hier gestanden haben muß. Nur der Wald kann in so
leicht gewellten Talgrund eine Schar von achthundert Rittern mit ihren blinkenden
Rüstungen und gepanzerten Pferden verdecken. Am wahrscheinlichsten dünkt
mich, daß der Hinterhalt in einem Seitental jenseits, d. h. nördlich von Scurcola
gewesen ist.^) Nahe bei dieser Stadt, wo sich das Tal nach dem Liris wie
nach dem Monte Velino hin öffnet, ist das Lager Karls anzunehmen. Und
hier fand das Gemetzel statt, nicht in dem verhältnismäßig engen Defilee zwischen
Tagliacozzo und der Brücke über den Jacke.

Hier oben dachte ich der stolzen Burg Trausnitz fern im deutscheu Lande,
die ich vor Jahren besucht hatte, und dann stieg vor meiner Seele das einfach
würdige Denkmal Konradins auf, das Ludwig der Erste "dem Verwandten seines
Hauses" in der Carminekirche zu Neapel gesetzt hat, mit dein Standbilde des
jungen, unerfahrnen Jünglings und den beiden Reliefs am Marmorsockel, wie
er daheim von seiner Mutter Abschied nimmt, und wie er dann angesichts des
Richtblocks den letzten Abschied nimmt von seinem Todesgefährten Friedrich
von Österreich.

Er verdient unser Mitleid, aber nicht mehr. Es blieb Karl, der sein
Herrscherrecht auf die Belehnung durch den Papst gegründet hatte, wohl kein
andres Mittel, den unbequemen Nebenbuhler für immer los zu werden und sein
neu gewonnenes Reich vor ihm zu schützen. Oft genug waren die deutscheu
Könige, geblendet vom eiteln Glanz der römischen Kaiserkrone, mit ihren Heeren
über die Alpen gezogen. Immer wieder trugen sie die Kriegsfackel in das ver¬
armte Land, wo sie -- wenigstens vom natürlichen Rechtsstandpunkt -- als
Fremde nichts zu suchen hatten und ihre nordische Heimat vernachlässigend
deutsches Gut und Blut in Strömen vergeudeten.

Der eine Name Tagliacozzo hat dann durch seinen schrecklichen Klang be¬
wirkt, daß sich beinahe ein halbes Jahrhundert kein deutscher König mehr in
Italiens Händel mischte. Rudolf von Habsburg, der nach fünfzehnjährigen
Interregnum Deutschland wieder aufrichtete, verzichtete auf das Idol des Kaiser¬
titels, und der nächste, der dem Drange nach dem Süden und dem Ruhme,
römischer Imperator zu heißen, nicht zu widerstehn vermochte, Heinrich der
Siebente von Luxemburg, bezahlte, durch die Hostie des Priesters vergiftet, seine
Eitelkeit mit dem Leben, wie Konradin seine jugendliche Unbesonnenheit.



Raumer (Geschichte der Hohenstaufen IV, 370) verlegt den Hinterhalt in die Nähe des
Dorfes Capelle.
Am Fuciner See

sah — als kleine, kühne Kuppe ragt er da über das Sabiuergeln'rge hinüber —,
ahnte er wohl, daß er angesichts dieses Berges alles aufs Spiel setzen und
alles verlieren würde: Freiheit, Krone, zuletzt sogar das Leben?

Weithin nach Rom zu konnte ich den Weg verfolgen, den er gekommen
war. Aber wo war die Stelle, wohin Karl seinen Hinterhalt legte? Ich konnte
nicht klug daraus werden. Die einzige Erklärung scheint mir die Annahme,
daß früher mehr Wald hier gestanden haben muß. Nur der Wald kann in so
leicht gewellten Talgrund eine Schar von achthundert Rittern mit ihren blinkenden
Rüstungen und gepanzerten Pferden verdecken. Am wahrscheinlichsten dünkt
mich, daß der Hinterhalt in einem Seitental jenseits, d. h. nördlich von Scurcola
gewesen ist.^) Nahe bei dieser Stadt, wo sich das Tal nach dem Liris wie
nach dem Monte Velino hin öffnet, ist das Lager Karls anzunehmen. Und
hier fand das Gemetzel statt, nicht in dem verhältnismäßig engen Defilee zwischen
Tagliacozzo und der Brücke über den Jacke.

Hier oben dachte ich der stolzen Burg Trausnitz fern im deutscheu Lande,
die ich vor Jahren besucht hatte, und dann stieg vor meiner Seele das einfach
würdige Denkmal Konradins auf, das Ludwig der Erste „dem Verwandten seines
Hauses" in der Carminekirche zu Neapel gesetzt hat, mit dein Standbilde des
jungen, unerfahrnen Jünglings und den beiden Reliefs am Marmorsockel, wie
er daheim von seiner Mutter Abschied nimmt, und wie er dann angesichts des
Richtblocks den letzten Abschied nimmt von seinem Todesgefährten Friedrich
von Österreich.

Er verdient unser Mitleid, aber nicht mehr. Es blieb Karl, der sein
Herrscherrecht auf die Belehnung durch den Papst gegründet hatte, wohl kein
andres Mittel, den unbequemen Nebenbuhler für immer los zu werden und sein
neu gewonnenes Reich vor ihm zu schützen. Oft genug waren die deutscheu
Könige, geblendet vom eiteln Glanz der römischen Kaiserkrone, mit ihren Heeren
über die Alpen gezogen. Immer wieder trugen sie die Kriegsfackel in das ver¬
armte Land, wo sie — wenigstens vom natürlichen Rechtsstandpunkt — als
Fremde nichts zu suchen hatten und ihre nordische Heimat vernachlässigend
deutsches Gut und Blut in Strömen vergeudeten.

Der eine Name Tagliacozzo hat dann durch seinen schrecklichen Klang be¬
wirkt, daß sich beinahe ein halbes Jahrhundert kein deutscher König mehr in
Italiens Händel mischte. Rudolf von Habsburg, der nach fünfzehnjährigen
Interregnum Deutschland wieder aufrichtete, verzichtete auf das Idol des Kaiser¬
titels, und der nächste, der dem Drange nach dem Süden und dem Ruhme,
römischer Imperator zu heißen, nicht zu widerstehn vermochte, Heinrich der
Siebente von Luxemburg, bezahlte, durch die Hostie des Priesters vergiftet, seine
Eitelkeit mit dem Leben, wie Konradin seine jugendliche Unbesonnenheit.



Raumer (Geschichte der Hohenstaufen IV, 370) verlegt den Hinterhalt in die Nähe des
Dorfes Capelle.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/218>, abgerufen am 24.07.2024.