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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen
Hans Gerhard Graf von4

ebastian Grüner, Polizei- und Magistratsrat in Eger, war mit
amtgemäßer Pünktlichkeit in Marienbad eingetroffen, um den
greisen Dichter "wegzunehmen", gleichsam von eiuer verbotnen
Tätigkeit zu arretieren und zum "toten Gestein zurückzuführen".
Übrigens waltete zwischen Polizeirat und Arrestant das erfreu¬
lichste Verhältnis, Goethe schätzte Grüner sehr hoch; Ende April 1820 hatte
er, auf der Reise nach Karlsbad Eger berührend, in ihm einen tüchtigen, ehren¬
fester Beamten und zugleich einen Mann von vielseitigem Interesse kennen
gelernt. Grüners schlichte Natürlichkeit zog ihn an, seine gründlichen Kenntnisse
in der äußern und innern Geschichte des Egerlcmdes wurden für ihn, den ewig
Lernbegieriger, eine neue Quelle der Belehrung. Seinerseits weckte er in Grüner
sofort eine sich bald zur Leidenschaft steigernde Teilnahme an Geologie und
Mineralogie. Das schönste Zeugnis über den Charakter dieses freundschaftlichen
Verhältnisses hat Grüner uns überliefert in seinem an Inhalt ebenso reichen
wie an Umfang geringen Buche "Briefwechsel und mündlicher Verkehr zwischen
Goethe und dem Rathe Grüner": "Übrigens muß ich Ihnen sagen, bekennt
Goethe ihm am 29. Juni 1823, daß ich seit dreißig Jahren mit niemandem auf
einem so vertraulichen Fuße stehe, als mit Ihnen."

Es muß für Goethe einen besondern Reiz gehabt haben, den wundersamen
Gegensatz zu beobachten, der damals noch weit auffallender als heute zwischen
Marienbad und Eger waltete. Dort in jenen Jahren die ersten jugendlich kräf¬
tigen Schritte ins Leben und Entsteh" hinein -- "Mir war es, schreibt Goethe
1820 von Marienbad, als befand' ich mich in den nordamerikanischen Wäldern,
wo man in drei Jahren eine Stadt baut"; "Das Ganze sieht aus, als hätte
Dido soeben ihre Riemen um den Raum, geschlagen und nun ginge das Bauen
los. Seit drei Jahren ist es erst recht Ernst, in deu nächsten dreien wird
man Wunder sehen." Eger dagegen eine uralte Stadt, mit einer mehr als
tausendjährigen Geschichte, mit großartigen Ruinen, Zeugen vergangner Kaiser¬
herrlichkeit, mit regem Leben der Zünfte und der Gewerbe.

Goethes Absteigequartier in Eger, das alte Gasthaus "Zur goldenen Sonne"
an der nordwestlichen Ecke des berühmten Marktplatzes, ist leider, zu Anfang
der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts durch einen Brand beschädigt,
zusammen mit dem Nachbarhause, dem sogenannten "Türkenkopf", abgebrochen




Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen
Hans Gerhard Graf von4

ebastian Grüner, Polizei- und Magistratsrat in Eger, war mit
amtgemäßer Pünktlichkeit in Marienbad eingetroffen, um den
greisen Dichter „wegzunehmen", gleichsam von eiuer verbotnen
Tätigkeit zu arretieren und zum „toten Gestein zurückzuführen".
Übrigens waltete zwischen Polizeirat und Arrestant das erfreu¬
lichste Verhältnis, Goethe schätzte Grüner sehr hoch; Ende April 1820 hatte
er, auf der Reise nach Karlsbad Eger berührend, in ihm einen tüchtigen, ehren¬
fester Beamten und zugleich einen Mann von vielseitigem Interesse kennen
gelernt. Grüners schlichte Natürlichkeit zog ihn an, seine gründlichen Kenntnisse
in der äußern und innern Geschichte des Egerlcmdes wurden für ihn, den ewig
Lernbegieriger, eine neue Quelle der Belehrung. Seinerseits weckte er in Grüner
sofort eine sich bald zur Leidenschaft steigernde Teilnahme an Geologie und
Mineralogie. Das schönste Zeugnis über den Charakter dieses freundschaftlichen
Verhältnisses hat Grüner uns überliefert in seinem an Inhalt ebenso reichen
wie an Umfang geringen Buche „Briefwechsel und mündlicher Verkehr zwischen
Goethe und dem Rathe Grüner": „Übrigens muß ich Ihnen sagen, bekennt
Goethe ihm am 29. Juni 1823, daß ich seit dreißig Jahren mit niemandem auf
einem so vertraulichen Fuße stehe, als mit Ihnen."

Es muß für Goethe einen besondern Reiz gehabt haben, den wundersamen
Gegensatz zu beobachten, der damals noch weit auffallender als heute zwischen
Marienbad und Eger waltete. Dort in jenen Jahren die ersten jugendlich kräf¬
tigen Schritte ins Leben und Entsteh» hinein — „Mir war es, schreibt Goethe
1820 von Marienbad, als befand' ich mich in den nordamerikanischen Wäldern,
wo man in drei Jahren eine Stadt baut"; „Das Ganze sieht aus, als hätte
Dido soeben ihre Riemen um den Raum, geschlagen und nun ginge das Bauen
los. Seit drei Jahren ist es erst recht Ernst, in deu nächsten dreien wird
man Wunder sehen." Eger dagegen eine uralte Stadt, mit einer mehr als
tausendjährigen Geschichte, mit großartigen Ruinen, Zeugen vergangner Kaiser¬
herrlichkeit, mit regem Leben der Zünfte und der Gewerbe.

Goethes Absteigequartier in Eger, das alte Gasthaus „Zur goldenen Sonne"
an der nordwestlichen Ecke des berühmten Marktplatzes, ist leider, zu Anfang
der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts durch einen Brand beschädigt,
zusammen mit dem Nachbarhause, dem sogenannten „Türkenkopf", abgebrochen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/141>, abgerufen am 27.06.2024.