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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Im Aprilheft der "Neuen Rundschau" sagt Carl Jentsch in einem geistreichen
Aufsah über "Parlamente und Parteien im Deutschen Reiche": "Jeder wahrhaft
vornehme, d. h. durch Bildung und edlen Charakter hervorragende Mann ist liberal
und konservativ zugleich. Er ist liberal, d. h. er hat die Eigenschaften des freien
Mannes: Unabhängigkeitssinn, einen weiten Blick, ein edles Herz. Er kennt die Welt
und freut sich ihrer Mannigfaltigkeit, der Fülle der in ihr waltenden Kräfte. Es
fällt ihm nicht ein, die reiche lebendige Wirklichkeit zur toten Maschine oder zum
pedantischen Fachwerk, zu einem gekünstelter Schema verkrüppeln zu wollen. Er
läßt, so viel an ihm liegt, alle Kräfte spielen, gönnt die Bewegungsfreiheit, die er
für sich in Anspruch nimmt, allen anderen und läßt Freiheitsbeschränkungen nur
zu, soweit es die harte Notwendigkeit fordert. Und er ist zugleich konservativ,
d. h. er denkt nicht daran, Wohnhäuser, Staatseinrichtungen und Volksgewohnheiten
niederzureißen, in denen sich die Leute wohl fühlen; er denkt nicht daran, Be¬
stehendes zu ändern, solange es haltbar ist und seinen Zweck erfüllt, ändert nur,
was schadhaft, unhaltbar oder unbrauchbar geworden ist. Verbesserungen, die not¬
wendig erscheinen, lehnt er natürlich nicht ab, sondern betreibt sie selbst, ist also
auch Fortschrittsmaun." Carl Jentsch bezeichnet die Summe dieser Eigenschaften
als den Habitus des englischen Staatsmannes alten Stils. Mir erschien sie wie
eine Charakteristik der den Bayrischen Landesverband leitenden Männer. Ich habe
dieser Charakteristik nur eines beizufügen: Es gibt Männer, in denen sich der gute
Wille eines ganzen Stammes, einer großen Sache zu dienen, verkörpert. Solche
Männer stehn an der Spitze des Bayrischen Landesverbandes. Was sich zum Segen
für das große Vaterland an Parteien, die sich sonst befehden, im bayrischen Flotten-
Verein zusammengefunden hat, Jungliberale, Altdeutsche und Ultramontane, National¬
soziale und Konservative, alle stehn einig hinter ihnen. Daß sie von Blättern, die
sonst ohne Verblendung der vaterländischen Sache dienen, nun aber im Dienste der
extremen Richtung des Flottenvereins auf Irrwege geraten sind, in ihrem ersten
Vorsitzenden, dem Freiherrn von Würtzburg, persönlich angegriffen worden sind, daß
man ihnen als der "ultramontan-offiziösen" Richtung geraten hat, einen eignen
Flottenverein zu gründen mit Freiherrn von Würtzburg an der Spitze, hat -- sicher
auch in ihren Augen -- nichts zu bedeuten neben der den Vaterlandsfreund be¬
drückenden und empörenden Tatsache, daß ein Organ der extremen Richtung, die
"Rheinisch-Westfälische Zeitung", den von dem Prinzen Heinrich ausgesprochnen
Wunsch, der Flottenveretn möge persönliche und korporative Friktionen vermeiden
und erzieherisch auf die im Binnenlande wohnende Bevölkerung wirken, in einem
Tone bespricht, der dem "Simplicissimus" anstünde. Daß das in einem nationalen
Blatte möglich war, zeigt, daß eine gewisse Richtung im Flottenverein, die sich als
Fronde gefällt, seit dem vorigen Jahre Fortschritte gemacht hat. Im 23. Hefte
des Jahrgangs 1905 der Grenzboten hat bei einer Besprechung der vorjährigen
Hauptversammlung des Flottenvereins ein Freund des Vereins mißbilligend auf die
Schroffheit hingewiesen, womit der Verein damals seine Unabhängigkeit betonte.
Heute muß man mit Entrüstung feststellen, daß ein nationales Blatt den von
einer großen Zahl der Vereinsmitglieder geteilten Wunsch des Vereinsschutzherrn
in hämischen Wendungen bespricht.

Diese Tatsache trübt den Blick auf die erfreuliche, durch die Annahme einer
maßvollen Resolution besiegelte Rückkehr des Flvttenvereins auf die zum Ziele
führende Bahn. Hoffen wir, daß sich die Richtung, die durch grobe persönliche Angriffe
mif die Vertreter andrer Anschauungen und dadurch, daß sie die Meinungsverschieden¬
heiten auf das parteipolitische und konfessionelle Gebiet hinüberspielte, der Sache zu
nützen wähnte, durch ihre Maßlosigkeit selbst vernichtet hat.


Prinz Eugen.

Von dem verdienstlichen Unternehmen einer Anzahl katho¬
lischer Gelehrten und Schriftsteller Weltgeschichte in Charakterbildern, heraus¬
gegeben von Kampers, Meckle und Spahn (Mainz, Kirchheimsche Verlagsbuch-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Im Aprilheft der „Neuen Rundschau" sagt Carl Jentsch in einem geistreichen
Aufsah über „Parlamente und Parteien im Deutschen Reiche": „Jeder wahrhaft
vornehme, d. h. durch Bildung und edlen Charakter hervorragende Mann ist liberal
und konservativ zugleich. Er ist liberal, d. h. er hat die Eigenschaften des freien
Mannes: Unabhängigkeitssinn, einen weiten Blick, ein edles Herz. Er kennt die Welt
und freut sich ihrer Mannigfaltigkeit, der Fülle der in ihr waltenden Kräfte. Es
fällt ihm nicht ein, die reiche lebendige Wirklichkeit zur toten Maschine oder zum
pedantischen Fachwerk, zu einem gekünstelter Schema verkrüppeln zu wollen. Er
läßt, so viel an ihm liegt, alle Kräfte spielen, gönnt die Bewegungsfreiheit, die er
für sich in Anspruch nimmt, allen anderen und läßt Freiheitsbeschränkungen nur
zu, soweit es die harte Notwendigkeit fordert. Und er ist zugleich konservativ,
d. h. er denkt nicht daran, Wohnhäuser, Staatseinrichtungen und Volksgewohnheiten
niederzureißen, in denen sich die Leute wohl fühlen; er denkt nicht daran, Be¬
stehendes zu ändern, solange es haltbar ist und seinen Zweck erfüllt, ändert nur,
was schadhaft, unhaltbar oder unbrauchbar geworden ist. Verbesserungen, die not¬
wendig erscheinen, lehnt er natürlich nicht ab, sondern betreibt sie selbst, ist also
auch Fortschrittsmaun." Carl Jentsch bezeichnet die Summe dieser Eigenschaften
als den Habitus des englischen Staatsmannes alten Stils. Mir erschien sie wie
eine Charakteristik der den Bayrischen Landesverband leitenden Männer. Ich habe
dieser Charakteristik nur eines beizufügen: Es gibt Männer, in denen sich der gute
Wille eines ganzen Stammes, einer großen Sache zu dienen, verkörpert. Solche
Männer stehn an der Spitze des Bayrischen Landesverbandes. Was sich zum Segen
für das große Vaterland an Parteien, die sich sonst befehden, im bayrischen Flotten-
Verein zusammengefunden hat, Jungliberale, Altdeutsche und Ultramontane, National¬
soziale und Konservative, alle stehn einig hinter ihnen. Daß sie von Blättern, die
sonst ohne Verblendung der vaterländischen Sache dienen, nun aber im Dienste der
extremen Richtung des Flottenvereins auf Irrwege geraten sind, in ihrem ersten
Vorsitzenden, dem Freiherrn von Würtzburg, persönlich angegriffen worden sind, daß
man ihnen als der „ultramontan-offiziösen" Richtung geraten hat, einen eignen
Flottenverein zu gründen mit Freiherrn von Würtzburg an der Spitze, hat — sicher
auch in ihren Augen — nichts zu bedeuten neben der den Vaterlandsfreund be¬
drückenden und empörenden Tatsache, daß ein Organ der extremen Richtung, die
»Rheinisch-Westfälische Zeitung", den von dem Prinzen Heinrich ausgesprochnen
Wunsch, der Flottenveretn möge persönliche und korporative Friktionen vermeiden
und erzieherisch auf die im Binnenlande wohnende Bevölkerung wirken, in einem
Tone bespricht, der dem „Simplicissimus" anstünde. Daß das in einem nationalen
Blatte möglich war, zeigt, daß eine gewisse Richtung im Flottenverein, die sich als
Fronde gefällt, seit dem vorigen Jahre Fortschritte gemacht hat. Im 23. Hefte
des Jahrgangs 1905 der Grenzboten hat bei einer Besprechung der vorjährigen
Hauptversammlung des Flottenvereins ein Freund des Vereins mißbilligend auf die
Schroffheit hingewiesen, womit der Verein damals seine Unabhängigkeit betonte.
Heute muß man mit Entrüstung feststellen, daß ein nationales Blatt den von
einer großen Zahl der Vereinsmitglieder geteilten Wunsch des Vereinsschutzherrn
in hämischen Wendungen bespricht.

Diese Tatsache trübt den Blick auf die erfreuliche, durch die Annahme einer
maßvollen Resolution besiegelte Rückkehr des Flvttenvereins auf die zum Ziele
führende Bahn. Hoffen wir, daß sich die Richtung, die durch grobe persönliche Angriffe
mif die Vertreter andrer Anschauungen und dadurch, daß sie die Meinungsverschieden¬
heiten auf das parteipolitische und konfessionelle Gebiet hinüberspielte, der Sache zu
nützen wähnte, durch ihre Maßlosigkeit selbst vernichtet hat.


Prinz Eugen.

Von dem verdienstlichen Unternehmen einer Anzahl katho¬
lischer Gelehrten und Schriftsteller Weltgeschichte in Charakterbildern, heraus¬
gegeben von Kampers, Meckle und Spahn (Mainz, Kirchheimsche Verlagsbuch-


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[0567] Maßgebliches und Unmaßgebliches Im Aprilheft der „Neuen Rundschau" sagt Carl Jentsch in einem geistreichen Aufsah über „Parlamente und Parteien im Deutschen Reiche": „Jeder wahrhaft vornehme, d. h. durch Bildung und edlen Charakter hervorragende Mann ist liberal und konservativ zugleich. Er ist liberal, d. h. er hat die Eigenschaften des freien Mannes: Unabhängigkeitssinn, einen weiten Blick, ein edles Herz. Er kennt die Welt und freut sich ihrer Mannigfaltigkeit, der Fülle der in ihr waltenden Kräfte. Es fällt ihm nicht ein, die reiche lebendige Wirklichkeit zur toten Maschine oder zum pedantischen Fachwerk, zu einem gekünstelter Schema verkrüppeln zu wollen. Er läßt, so viel an ihm liegt, alle Kräfte spielen, gönnt die Bewegungsfreiheit, die er für sich in Anspruch nimmt, allen anderen und läßt Freiheitsbeschränkungen nur zu, soweit es die harte Notwendigkeit fordert. Und er ist zugleich konservativ, d. h. er denkt nicht daran, Wohnhäuser, Staatseinrichtungen und Volksgewohnheiten niederzureißen, in denen sich die Leute wohl fühlen; er denkt nicht daran, Be¬ stehendes zu ändern, solange es haltbar ist und seinen Zweck erfüllt, ändert nur, was schadhaft, unhaltbar oder unbrauchbar geworden ist. Verbesserungen, die not¬ wendig erscheinen, lehnt er natürlich nicht ab, sondern betreibt sie selbst, ist also auch Fortschrittsmaun." Carl Jentsch bezeichnet die Summe dieser Eigenschaften als den Habitus des englischen Staatsmannes alten Stils. Mir erschien sie wie eine Charakteristik der den Bayrischen Landesverband leitenden Männer. Ich habe dieser Charakteristik nur eines beizufügen: Es gibt Männer, in denen sich der gute Wille eines ganzen Stammes, einer großen Sache zu dienen, verkörpert. Solche Männer stehn an der Spitze des Bayrischen Landesverbandes. Was sich zum Segen für das große Vaterland an Parteien, die sich sonst befehden, im bayrischen Flotten- Verein zusammengefunden hat, Jungliberale, Altdeutsche und Ultramontane, National¬ soziale und Konservative, alle stehn einig hinter ihnen. Daß sie von Blättern, die sonst ohne Verblendung der vaterländischen Sache dienen, nun aber im Dienste der extremen Richtung des Flottenvereins auf Irrwege geraten sind, in ihrem ersten Vorsitzenden, dem Freiherrn von Würtzburg, persönlich angegriffen worden sind, daß man ihnen als der „ultramontan-offiziösen" Richtung geraten hat, einen eignen Flottenverein zu gründen mit Freiherrn von Würtzburg an der Spitze, hat — sicher auch in ihren Augen — nichts zu bedeuten neben der den Vaterlandsfreund be¬ drückenden und empörenden Tatsache, daß ein Organ der extremen Richtung, die »Rheinisch-Westfälische Zeitung", den von dem Prinzen Heinrich ausgesprochnen Wunsch, der Flottenveretn möge persönliche und korporative Friktionen vermeiden und erzieherisch auf die im Binnenlande wohnende Bevölkerung wirken, in einem Tone bespricht, der dem „Simplicissimus" anstünde. Daß das in einem nationalen Blatte möglich war, zeigt, daß eine gewisse Richtung im Flottenverein, die sich als Fronde gefällt, seit dem vorigen Jahre Fortschritte gemacht hat. Im 23. Hefte des Jahrgangs 1905 der Grenzboten hat bei einer Besprechung der vorjährigen Hauptversammlung des Flottenvereins ein Freund des Vereins mißbilligend auf die Schroffheit hingewiesen, womit der Verein damals seine Unabhängigkeit betonte. Heute muß man mit Entrüstung feststellen, daß ein nationales Blatt den von einer großen Zahl der Vereinsmitglieder geteilten Wunsch des Vereinsschutzherrn in hämischen Wendungen bespricht. Diese Tatsache trübt den Blick auf die erfreuliche, durch die Annahme einer maßvollen Resolution besiegelte Rückkehr des Flvttenvereins auf die zum Ziele führende Bahn. Hoffen wir, daß sich die Richtung, die durch grobe persönliche Angriffe mif die Vertreter andrer Anschauungen und dadurch, daß sie die Meinungsverschieden¬ heiten auf das parteipolitische und konfessionelle Gebiet hinüberspielte, der Sache zu nützen wähnte, durch ihre Maßlosigkeit selbst vernichtet hat. Prinz Eugen. Von dem verdienstlichen Unternehmen einer Anzahl katho¬ lischer Gelehrten und Schriftsteller Weltgeschichte in Charakterbildern, heraus¬ gegeben von Kampers, Meckle und Spahn (Mainz, Kirchheimsche Verlagsbuch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/567>, abgerufen am 26.12.2024.