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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

diesem Buch wieder das alte Rätsel zum Vorschein, daß sich diese englische Unbefangen¬
heit in gewissen Punkten ganz gut mit nationaler Überschätzung und Beschränktheit
verträgt. Der englische gemeine Soldat, der sogenannte Tommy, ist dem aller
andern Länder überlegen. Wellington ist der größte Feldherr aller Zeiten, er allein
hat bei Waterloo Napoleon besiegt und damit die niedergeworfnen Nationen des
Kontinents befreit. Seite 25 wird sogar behauptet, daß der König von Preußen
(gegen 1850) Wellington für den Fall eines Kriegs mit Frankreich den Oberbefehl
über die Preußen die damals keinen tüchtigen General hatten", angetragen habe.
Wir bringen diese wie eine Räubergeschichte klingende Notiz hier zur Kenntnis,
weil sich Wolseley auf den Sohn des damaligen englischen Gesandten in Berlin
beruft. Ganz unfaßbar erscheint ferner, daß ein Feldmarschall über den Deutsch¬
französischen Krieg (II, 211) behaupten kann, die Reihenfolge seiner Ereignisse sei
von deutscher Seite sorgfältig berechnet gewesen. Da muß Wolseley annehmen, daß
Mac Mahon durch Suggestion Moltkes zur Abschweifung auf sedem veranlaßt
worden ist. Die Übersetzung ist nicht immer auf der Höhe. I usf ruzvvr a, Avod ssilor
kann man nicht mit "ich bin nie ein guter Seemann gewesen" wiedergeben.


Krauskopf und Sturmfried.

Dieser Tage wurde ich lebhaft an Weites
Krauskopf erinnert -- durch einen Roman von Arthur Achleituer, den mir der
Verlag von Kirchheim u. Co. in Mainz zugeschickt hatte: Gregorius Sturm¬
fried, ein Zeitbild aus dem Katholizismus der Gegenwart, in zwei Bänden. Beide
Erzählungen haben das große religiöse Problem zum Gegenstande. Aber welch ein
Unterschied! Der mit feinster Seelenkunde ausgerüstete Wette zeigt uns, wie sein
Held schon als Kind von den verschiednen religiösen Vorstellungen und Strömungen
seiner Umgebung im tiefsten Innern ergriffen, hin und her gezerrt und zeitweise
krank gemacht wird, und wie er sich als Jüngling durch die einander bekämpfenden
Gegensätze zu einem festen und vernünftigen Glauben durchringt; der Dichter zaubert
uns dabei eine Menge höchst anziehender origineller Gestalten und lebhaft erregende
tragische wie erheiternde komische Situntiouen vor, wobei er mit virtuoser Kunst jede
Person die ihrem Charakter angemessene Sprache reden läßt. Achleitners Held da¬
gegen ist als Kind schon fertig. Sein Glaube an deu römisch-katholischen Katechismus
schwankt und wankt in keinem Augenblick seines Lebens, er ist also von vorn¬
herein zum Romauhelden verdorben, denn der Roman hat nicht den fertigen Menschen
darzustellen, sondern zu zeigen, wie ein Mensch fertig wird. Mit solchem Glauben
ausgerüstet, tritt Sturmfried als Dorfpfarrer der Los von Rom-Bewegung, als
Pfarrer in einer Universitätsstadt dem Unglauben moderner Philosophen und Natur¬
wissenschafter entgegen und bekämpft sie mit den Argumenten und in der Sprache,
die wir alle Tage in der Zeitung finden. Ein nicht gelehrter aber von Nächsten¬
liebe erfüllter Kaplan hilft ihm dnrch Wohltätigkeit die Sozialdemokraten gewinnen
und durch eine zweckmäßige soziale Aktion bet Hochwasser den liberalen Stadtrat
beschämen. Zu einem großen Teil spielt die Geschichte in der "Kanzlei" des
Pfarrers, die mit solcher Wichtigkeit behandelt wird, daß man ordentlich Respekt
davor bekommt, und in der österreichischen Kanzleisprache reden die meisten der
auftretenden Personen. Im zweiten Teile wird Sturmfried auf jeder dritten Seite
einmal "Herr Stadtpfarrer" angeredet, manchmal auch "Hochwürden Herr Stadt¬
pfarrer", und der gespreizten Komplimente zwischen ihm und den "Exzellenzherren"
oder sonstigen Würdenträgern, die seine eigne Würde gehörig hervorheben, ist
kein Ende. Um den hochmütigen Professoren ebenbürtig zu werden, promoviert
er; die ganze Disputation wird uns mitgeteilt -- und was für eine Disputation'
Die eine seiner Thesen behauptet, daß mau Kreuzwegablässe mehrmals an einem
Tage gewinnen könne -- und zum Schluß werdeu seine Tugenden, sein Wirken
für das Heil der Seelen und seine Verdienste um die Kirche durch die Beförderung,
zum Domherrn belohnt. Eine gewisse entfernte Ähnlichkeit besteht zwischen Sturm¬
fried und dem dritten Teile von Krauskopf in einem einzelnen Stücke. Der Schluß


Maßgebliches und Unmaßgebliches

diesem Buch wieder das alte Rätsel zum Vorschein, daß sich diese englische Unbefangen¬
heit in gewissen Punkten ganz gut mit nationaler Überschätzung und Beschränktheit
verträgt. Der englische gemeine Soldat, der sogenannte Tommy, ist dem aller
andern Länder überlegen. Wellington ist der größte Feldherr aller Zeiten, er allein
hat bei Waterloo Napoleon besiegt und damit die niedergeworfnen Nationen des
Kontinents befreit. Seite 25 wird sogar behauptet, daß der König von Preußen
(gegen 1850) Wellington für den Fall eines Kriegs mit Frankreich den Oberbefehl
über die Preußen die damals keinen tüchtigen General hatten", angetragen habe.
Wir bringen diese wie eine Räubergeschichte klingende Notiz hier zur Kenntnis,
weil sich Wolseley auf den Sohn des damaligen englischen Gesandten in Berlin
beruft. Ganz unfaßbar erscheint ferner, daß ein Feldmarschall über den Deutsch¬
französischen Krieg (II, 211) behaupten kann, die Reihenfolge seiner Ereignisse sei
von deutscher Seite sorgfältig berechnet gewesen. Da muß Wolseley annehmen, daß
Mac Mahon durch Suggestion Moltkes zur Abschweifung auf sedem veranlaßt
worden ist. Die Übersetzung ist nicht immer auf der Höhe. I usf ruzvvr a, Avod ssilor
kann man nicht mit „ich bin nie ein guter Seemann gewesen" wiedergeben.


Krauskopf und Sturmfried.

Dieser Tage wurde ich lebhaft an Weites
Krauskopf erinnert — durch einen Roman von Arthur Achleituer, den mir der
Verlag von Kirchheim u. Co. in Mainz zugeschickt hatte: Gregorius Sturm¬
fried, ein Zeitbild aus dem Katholizismus der Gegenwart, in zwei Bänden. Beide
Erzählungen haben das große religiöse Problem zum Gegenstande. Aber welch ein
Unterschied! Der mit feinster Seelenkunde ausgerüstete Wette zeigt uns, wie sein
Held schon als Kind von den verschiednen religiösen Vorstellungen und Strömungen
seiner Umgebung im tiefsten Innern ergriffen, hin und her gezerrt und zeitweise
krank gemacht wird, und wie er sich als Jüngling durch die einander bekämpfenden
Gegensätze zu einem festen und vernünftigen Glauben durchringt; der Dichter zaubert
uns dabei eine Menge höchst anziehender origineller Gestalten und lebhaft erregende
tragische wie erheiternde komische Situntiouen vor, wobei er mit virtuoser Kunst jede
Person die ihrem Charakter angemessene Sprache reden läßt. Achleitners Held da¬
gegen ist als Kind schon fertig. Sein Glaube an deu römisch-katholischen Katechismus
schwankt und wankt in keinem Augenblick seines Lebens, er ist also von vorn¬
herein zum Romauhelden verdorben, denn der Roman hat nicht den fertigen Menschen
darzustellen, sondern zu zeigen, wie ein Mensch fertig wird. Mit solchem Glauben
ausgerüstet, tritt Sturmfried als Dorfpfarrer der Los von Rom-Bewegung, als
Pfarrer in einer Universitätsstadt dem Unglauben moderner Philosophen und Natur¬
wissenschafter entgegen und bekämpft sie mit den Argumenten und in der Sprache,
die wir alle Tage in der Zeitung finden. Ein nicht gelehrter aber von Nächsten¬
liebe erfüllter Kaplan hilft ihm dnrch Wohltätigkeit die Sozialdemokraten gewinnen
und durch eine zweckmäßige soziale Aktion bet Hochwasser den liberalen Stadtrat
beschämen. Zu einem großen Teil spielt die Geschichte in der „Kanzlei" des
Pfarrers, die mit solcher Wichtigkeit behandelt wird, daß man ordentlich Respekt
davor bekommt, und in der österreichischen Kanzleisprache reden die meisten der
auftretenden Personen. Im zweiten Teile wird Sturmfried auf jeder dritten Seite
einmal „Herr Stadtpfarrer" angeredet, manchmal auch „Hochwürden Herr Stadt¬
pfarrer", und der gespreizten Komplimente zwischen ihm und den „Exzellenzherren"
oder sonstigen Würdenträgern, die seine eigne Würde gehörig hervorheben, ist
kein Ende. Um den hochmütigen Professoren ebenbürtig zu werden, promoviert
er; die ganze Disputation wird uns mitgeteilt — und was für eine Disputation'
Die eine seiner Thesen behauptet, daß mau Kreuzwegablässe mehrmals an einem
Tage gewinnen könne — und zum Schluß werdeu seine Tugenden, sein Wirken
für das Heil der Seelen und seine Verdienste um die Kirche durch die Beförderung,
zum Domherrn belohnt. Eine gewisse entfernte Ähnlichkeit besteht zwischen Sturm¬
fried und dem dritten Teile von Krauskopf in einem einzelnen Stücke. Der Schluß


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[0355] Maßgebliches und Unmaßgebliches diesem Buch wieder das alte Rätsel zum Vorschein, daß sich diese englische Unbefangen¬ heit in gewissen Punkten ganz gut mit nationaler Überschätzung und Beschränktheit verträgt. Der englische gemeine Soldat, der sogenannte Tommy, ist dem aller andern Länder überlegen. Wellington ist der größte Feldherr aller Zeiten, er allein hat bei Waterloo Napoleon besiegt und damit die niedergeworfnen Nationen des Kontinents befreit. Seite 25 wird sogar behauptet, daß der König von Preußen (gegen 1850) Wellington für den Fall eines Kriegs mit Frankreich den Oberbefehl über die Preußen die damals keinen tüchtigen General hatten", angetragen habe. Wir bringen diese wie eine Räubergeschichte klingende Notiz hier zur Kenntnis, weil sich Wolseley auf den Sohn des damaligen englischen Gesandten in Berlin beruft. Ganz unfaßbar erscheint ferner, daß ein Feldmarschall über den Deutsch¬ französischen Krieg (II, 211) behaupten kann, die Reihenfolge seiner Ereignisse sei von deutscher Seite sorgfältig berechnet gewesen. Da muß Wolseley annehmen, daß Mac Mahon durch Suggestion Moltkes zur Abschweifung auf sedem veranlaßt worden ist. Die Übersetzung ist nicht immer auf der Höhe. I usf ruzvvr a, Avod ssilor kann man nicht mit „ich bin nie ein guter Seemann gewesen" wiedergeben. Krauskopf und Sturmfried. Dieser Tage wurde ich lebhaft an Weites Krauskopf erinnert — durch einen Roman von Arthur Achleituer, den mir der Verlag von Kirchheim u. Co. in Mainz zugeschickt hatte: Gregorius Sturm¬ fried, ein Zeitbild aus dem Katholizismus der Gegenwart, in zwei Bänden. Beide Erzählungen haben das große religiöse Problem zum Gegenstande. Aber welch ein Unterschied! Der mit feinster Seelenkunde ausgerüstete Wette zeigt uns, wie sein Held schon als Kind von den verschiednen religiösen Vorstellungen und Strömungen seiner Umgebung im tiefsten Innern ergriffen, hin und her gezerrt und zeitweise krank gemacht wird, und wie er sich als Jüngling durch die einander bekämpfenden Gegensätze zu einem festen und vernünftigen Glauben durchringt; der Dichter zaubert uns dabei eine Menge höchst anziehender origineller Gestalten und lebhaft erregende tragische wie erheiternde komische Situntiouen vor, wobei er mit virtuoser Kunst jede Person die ihrem Charakter angemessene Sprache reden läßt. Achleitners Held da¬ gegen ist als Kind schon fertig. Sein Glaube an deu römisch-katholischen Katechismus schwankt und wankt in keinem Augenblick seines Lebens, er ist also von vorn¬ herein zum Romauhelden verdorben, denn der Roman hat nicht den fertigen Menschen darzustellen, sondern zu zeigen, wie ein Mensch fertig wird. Mit solchem Glauben ausgerüstet, tritt Sturmfried als Dorfpfarrer der Los von Rom-Bewegung, als Pfarrer in einer Universitätsstadt dem Unglauben moderner Philosophen und Natur¬ wissenschafter entgegen und bekämpft sie mit den Argumenten und in der Sprache, die wir alle Tage in der Zeitung finden. Ein nicht gelehrter aber von Nächsten¬ liebe erfüllter Kaplan hilft ihm dnrch Wohltätigkeit die Sozialdemokraten gewinnen und durch eine zweckmäßige soziale Aktion bet Hochwasser den liberalen Stadtrat beschämen. Zu einem großen Teil spielt die Geschichte in der „Kanzlei" des Pfarrers, die mit solcher Wichtigkeit behandelt wird, daß man ordentlich Respekt davor bekommt, und in der österreichischen Kanzleisprache reden die meisten der auftretenden Personen. Im zweiten Teile wird Sturmfried auf jeder dritten Seite einmal „Herr Stadtpfarrer" angeredet, manchmal auch „Hochwürden Herr Stadt¬ pfarrer", und der gespreizten Komplimente zwischen ihm und den „Exzellenzherren" oder sonstigen Würdenträgern, die seine eigne Würde gehörig hervorheben, ist kein Ende. Um den hochmütigen Professoren ebenbürtig zu werden, promoviert er; die ganze Disputation wird uns mitgeteilt — und was für eine Disputation' Die eine seiner Thesen behauptet, daß mau Kreuzwegablässe mehrmals an einem Tage gewinnen könne — und zum Schluß werdeu seine Tugenden, sein Wirken für das Heil der Seelen und seine Verdienste um die Kirche durch die Beförderung, zum Domherrn belohnt. Eine gewisse entfernte Ähnlichkeit besteht zwischen Sturm¬ fried und dem dritten Teile von Krauskopf in einem einzelnen Stücke. Der Schluß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/355>, abgerufen am 27.06.2024.