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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

dieses dritten Teiles -- nur der Schluß -- fällt aus der Romanform in die Form
der Biographie. Sturmfried ist von Anfang bis zu Ende nichts als Biographie.
Das einzige Romanhafte darin ist eine Episode, die des Pfarrers ein wenig leicht¬
fertige Schwester liefern muß. Man kann es ja den Katholiken, deren Geistliche
in den Witzblättern und auch in so manchem ernsthaften Blatte als Dummköpfe,
als lasterhafte Menschen, als Erbschleicher, als halbe oder ganze Verbrecher dar¬
gestellt zu werden Pflegen, man kann es ihnen nicht verargen, daß sie gern von
Geistlichen lesen, die Mustermenschen gewesen sind. Aber wenn ein Schriftsteller,
der ihnen diese Freude bereiten will, keinen wirklichen Roman erdichten kann, in
dem solche vorkommen, dann soll er doch lieber gleich Biographien von Priestern
schreiben, die wirklich gelebt haben. Es gibt ja zum Glück genug solche Männer,
die der Welt zu zeigen sich die Katholiken nicht schämen dürfen.

Den Anzeigen und Reklamen nach zu urteilen, hat Achleitner mit seinen
Romanen bis jetzt großartigen Erfolg gehabt. Wenn die übrigen dem Sturmfried
gleichen, und wenn sie typisch sind für die heutige katholische Novellistik, dann muß
man diese in der Tat minderwertig nennen. Hinter der protestantischen hat sie
ja immer zurückgestanden, aber vor vierzig Jahren hatten die deutschen Katholiken
doch noch die Hahn-Hahn -- freilich eine Konvertitin -- und eine Anzahl guter
Ausländer und Ausländerinnen: eine Lady Georgina Fullerton, die Deutsch-
Spanierin, die unter dem Namen Fernau Caballero schrieb, und Hendrik Conscience,
dem die Fachleute seinen verdienten Platz in der Weltliteratur eingeräumt haben.
In den sechziger Jahren aber kam dann der widerliche Fanatiker Konrad von
Bolanden mit seinen historischen Tendenzromanen, und jetzt haben sie ihren Ach¬
leitner. Fanatiker ist der nicht, aber kindlich oder vielmehr kindisch bigott und ein
lederner Philister.

Nachträglich habe ich desselben Verfassers "Jerusalem, ein Zeitbild aus der
heiligen Stadt" durchgeblättert, worin die Erlebnisse eines jungen Franzosen in
Jerusalem erzählt und Wirken und Leiden der dortigen Franziskaner ganz hübsch
geschildert werden. Dieses Buch macht schon deswegen einen bessern Eindruck, weil
es nicht den Anspruch erhebt <x. I, , für einen Roman gehalten zu werden.





Maßgebliches und Unmaßgebliches

dieses dritten Teiles — nur der Schluß — fällt aus der Romanform in die Form
der Biographie. Sturmfried ist von Anfang bis zu Ende nichts als Biographie.
Das einzige Romanhafte darin ist eine Episode, die des Pfarrers ein wenig leicht¬
fertige Schwester liefern muß. Man kann es ja den Katholiken, deren Geistliche
in den Witzblättern und auch in so manchem ernsthaften Blatte als Dummköpfe,
als lasterhafte Menschen, als Erbschleicher, als halbe oder ganze Verbrecher dar¬
gestellt zu werden Pflegen, man kann es ihnen nicht verargen, daß sie gern von
Geistlichen lesen, die Mustermenschen gewesen sind. Aber wenn ein Schriftsteller,
der ihnen diese Freude bereiten will, keinen wirklichen Roman erdichten kann, in
dem solche vorkommen, dann soll er doch lieber gleich Biographien von Priestern
schreiben, die wirklich gelebt haben. Es gibt ja zum Glück genug solche Männer,
die der Welt zu zeigen sich die Katholiken nicht schämen dürfen.

Den Anzeigen und Reklamen nach zu urteilen, hat Achleitner mit seinen
Romanen bis jetzt großartigen Erfolg gehabt. Wenn die übrigen dem Sturmfried
gleichen, und wenn sie typisch sind für die heutige katholische Novellistik, dann muß
man diese in der Tat minderwertig nennen. Hinter der protestantischen hat sie
ja immer zurückgestanden, aber vor vierzig Jahren hatten die deutschen Katholiken
doch noch die Hahn-Hahn — freilich eine Konvertitin — und eine Anzahl guter
Ausländer und Ausländerinnen: eine Lady Georgina Fullerton, die Deutsch-
Spanierin, die unter dem Namen Fernau Caballero schrieb, und Hendrik Conscience,
dem die Fachleute seinen verdienten Platz in der Weltliteratur eingeräumt haben.
In den sechziger Jahren aber kam dann der widerliche Fanatiker Konrad von
Bolanden mit seinen historischen Tendenzromanen, und jetzt haben sie ihren Ach¬
leitner. Fanatiker ist der nicht, aber kindlich oder vielmehr kindisch bigott und ein
lederner Philister.

Nachträglich habe ich desselben Verfassers „Jerusalem, ein Zeitbild aus der
heiligen Stadt" durchgeblättert, worin die Erlebnisse eines jungen Franzosen in
Jerusalem erzählt und Wirken und Leiden der dortigen Franziskaner ganz hübsch
geschildert werden. Dieses Buch macht schon deswegen einen bessern Eindruck, weil
es nicht den Anspruch erhebt <x. I, , für einen Roman gehalten zu werden.





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[0356] Maßgebliches und Unmaßgebliches dieses dritten Teiles — nur der Schluß — fällt aus der Romanform in die Form der Biographie. Sturmfried ist von Anfang bis zu Ende nichts als Biographie. Das einzige Romanhafte darin ist eine Episode, die des Pfarrers ein wenig leicht¬ fertige Schwester liefern muß. Man kann es ja den Katholiken, deren Geistliche in den Witzblättern und auch in so manchem ernsthaften Blatte als Dummköpfe, als lasterhafte Menschen, als Erbschleicher, als halbe oder ganze Verbrecher dar¬ gestellt zu werden Pflegen, man kann es ihnen nicht verargen, daß sie gern von Geistlichen lesen, die Mustermenschen gewesen sind. Aber wenn ein Schriftsteller, der ihnen diese Freude bereiten will, keinen wirklichen Roman erdichten kann, in dem solche vorkommen, dann soll er doch lieber gleich Biographien von Priestern schreiben, die wirklich gelebt haben. Es gibt ja zum Glück genug solche Männer, die der Welt zu zeigen sich die Katholiken nicht schämen dürfen. Den Anzeigen und Reklamen nach zu urteilen, hat Achleitner mit seinen Romanen bis jetzt großartigen Erfolg gehabt. Wenn die übrigen dem Sturmfried gleichen, und wenn sie typisch sind für die heutige katholische Novellistik, dann muß man diese in der Tat minderwertig nennen. Hinter der protestantischen hat sie ja immer zurückgestanden, aber vor vierzig Jahren hatten die deutschen Katholiken doch noch die Hahn-Hahn — freilich eine Konvertitin — und eine Anzahl guter Ausländer und Ausländerinnen: eine Lady Georgina Fullerton, die Deutsch- Spanierin, die unter dem Namen Fernau Caballero schrieb, und Hendrik Conscience, dem die Fachleute seinen verdienten Platz in der Weltliteratur eingeräumt haben. In den sechziger Jahren aber kam dann der widerliche Fanatiker Konrad von Bolanden mit seinen historischen Tendenzromanen, und jetzt haben sie ihren Ach¬ leitner. Fanatiker ist der nicht, aber kindlich oder vielmehr kindisch bigott und ein lederner Philister. Nachträglich habe ich desselben Verfassers „Jerusalem, ein Zeitbild aus der heiligen Stadt" durchgeblättert, worin die Erlebnisse eines jungen Franzosen in Jerusalem erzählt und Wirken und Leiden der dortigen Franziskaner ganz hübsch geschildert werden. Dieses Buch macht schon deswegen einen bessern Eindruck, weil es nicht den Anspruch erhebt <x. I, , für einen Roman gehalten zu werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/356>, abgerufen am 30.06.2024.