Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches hätten. Denn es kamm kaum ein wichtigeres Ereignis in unsrer Zeit geben als die Der unmittelbar vor dem Zusammentritt der neuen Volksvertretung vollzogne Der sür den Berliner Botschafter"öfter designiert gewesene Gesandte von Js- Religion und Naturwissenschaft. Die Berichte über den gegenwärtigen Maßgebliches und Unmaßgebliches hätten. Denn es kamm kaum ein wichtigeres Ereignis in unsrer Zeit geben als die Der unmittelbar vor dem Zusammentritt der neuen Volksvertretung vollzogne Der sür den Berliner Botschafter»öfter designiert gewesene Gesandte von Js- Religion und Naturwissenschaft. Die Berichte über den gegenwärtigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299392"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1587" prev="#ID_1586"> hätten. Denn es kamm kaum ein wichtigeres Ereignis in unsrer Zeit geben als die<lb/> Konstitutionalisierung des weiten russischen Reiches. Der Wurf kann gelingen, wenn<lb/> die neue russische Volksvertretung davon absieht, sich eine Verfassung nach belgischen<lb/> oder nach englischem Muster zu geben, sondern wenn sie dessen eingedenk bleibt, daß<lb/> Rußlands Verfassung eine russische, im Boden der sozialen und der politischen Ent¬<lb/> wicklung Rußlands wurzelnde sein und bleiben muß. Auf diesem Boden wird man<lb/> sich auch mit der Regierung verstehn und zu einem gemeinsamen Arbeiten mit ihr<lb/> zusammenfinden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1588"> Der unmittelbar vor dem Zusammentritt der neuen Volksvertretung vollzogne<lb/> Ministerwechsel hat den Zweck, diese Aufgabe zu erleichtern, indem man den Er¬<lb/> wählten des russischen Volks neue Männer gegenüberstellt, die durch keine Zusagen<lb/> engagiert sind, in der innern Entwicklung bisher keine leitende und keine Verant¬<lb/> wortliche Stellung gehabt haben und damit ein ziemlich weites Gebiet aus der<lb/> Diskussion ausschalten. Die Hauptschwierigkeit wird darin bestehn, ob sich die<lb/> Volksvertretung zu mäßigen vermag, und ob sie den fortdauernden innern Wirren<lb/> als Dämpfer oder als Zentrum dienen wird. Die Neigung, aus der Duma einen<lb/> Konvent zu machen, ist reichlich vorhanden, die Unruhen werden von den Extremen<lb/> auf beiden Seiten gefördert werden. Die Revolutionäre der verschleimen Färbungen<lb/> haben ein Interesse daran, Rußland nicht zu einer verfassungsmäßigen Ruhe und<lb/> Ordnung kommen zu lassen, die Reaktionäre dagegen möchten beweisen, daß anders<lb/> als mit einem energischen und schonungsloser Absolutismus in Rußland überhaupt<lb/> nicht zu regieren sei. Es wird sich nun zeigen, ob Rußland über die Männer ver¬<lb/> fügt, die notwendig sind, es aus der absolutistischen Vergangenheit und dem Sumpf<lb/> der innern Wirren in ein neues Zeitalter hiuüberzuführen. Deutschland, dem an<lb/> einem politisch und wirtschaftlich zerrütteten Nußland nicht gelegen sein kann, geleitet<lb/> seinen Nachbar mit den besten Wünschen in diesen neuen Abschnitt seiner Geschichte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1589"> Der sür den Berliner Botschafter»öfter designiert gewesene Gesandte von Js-<lb/> wolsky, der an Stelle des Grafen Lambsdorff die auswärtige Politik Rußlands<lb/> leiten soll, war in den Ruf gekommen, Vertreter eines freundnachbarlichen Zu-<lb/> sammengehns mit Deutschland zu sein. Er hat auf dem Kopenhagner Posten tief<lb/> in die europäischen Verhältnisse hineinsehen können und kommt aus dem praktischen<lb/> Leben, während Graf Lambsdorff nie einen Gesandtenposten bekleidet hatte, sondern<lb/> ausschließlich Aktenmensch war. Als Botschafter in Berlin würde er wahrscheinlich<lb/> sein Möglichstes daran gewandt haben, wirklich gute Beziehungen zwischen Deutsch¬<lb/> land und Rußland herzustellen. In Petersburg siud leicht andre Gesichtspunkte und<lb/> andre Einflüsse maßgebend. Wir können das abwarten. Inzwischen mag die bekannte<lb/> Wendung des Fürsten Gortschakow, die allerdings nicht von ihm. sondern vom Staatsrat<lb/> Jomini stammen soll, aber viele Jahre lang für Rußland die Bedeutung eines Pro¬<lb/> gramms hatte, auf die deutsche Politik Anwendung finden: I^IIoingSiiiz hö rseumllsl<lb/><note type="byline"> »H»</note> Deutschland kann nichts besseres tun. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> <head> Religion und Naturwissenschaft.</head> <p xml:id="ID_1590" next="#ID_1591"> Die Berichte über den gegenwärtigen<lb/> Stand der biologischen Forschung, die Dr. E. Dennert unter dem Titel: Vom<lb/> Sterbelager des Darwinismus herausgegeben hat, haben natürlich die<lb/> Jenaer Herren arg verschnupft. Sachlich haben sie freilich dagegen nichts von<lb/> Bedeutung einwenden können. Die Aufsätze haben eine zweite Anflöge erlebt, und<lb/> der Verfasser hat ihnen unter demselben Titel eine neue Folge (Stuttgart, Max<lb/> Kielmann, 1906) nachgeschickt. Auch vou den seit 1902 erschienenen Schriften,<lb/> über die hier berichtet wird, lehnen die meisten den Darwinismus (nicht die Ent¬<lb/> wicklungslehre) mehr oder weniger entschieden ab. Dennert hat unter anderen eine<lb/> berücksichtigt, deren Verfasser kein Biologe von Fach ist, die aber sehr interessant<lb/> ist: der bekannte Edelanarchist Fürst Krapotkin beweist, daß der Kampf ums Dnsein<lb/> un Tierreich Ausnahme, die Regel vielmehr gegenseitige Hilfeleistung, Solidarität<lb/> 'se. Zu den wenigen Schriften ans dem entgegengesetzte^ Lager gehört eine Apo¬<lb/> logie des Darwinismus von Dr. Plate, und gerade diese enthält eine augenfällige</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0351]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
hätten. Denn es kamm kaum ein wichtigeres Ereignis in unsrer Zeit geben als die
Konstitutionalisierung des weiten russischen Reiches. Der Wurf kann gelingen, wenn
die neue russische Volksvertretung davon absieht, sich eine Verfassung nach belgischen
oder nach englischem Muster zu geben, sondern wenn sie dessen eingedenk bleibt, daß
Rußlands Verfassung eine russische, im Boden der sozialen und der politischen Ent¬
wicklung Rußlands wurzelnde sein und bleiben muß. Auf diesem Boden wird man
sich auch mit der Regierung verstehn und zu einem gemeinsamen Arbeiten mit ihr
zusammenfinden.
Der unmittelbar vor dem Zusammentritt der neuen Volksvertretung vollzogne
Ministerwechsel hat den Zweck, diese Aufgabe zu erleichtern, indem man den Er¬
wählten des russischen Volks neue Männer gegenüberstellt, die durch keine Zusagen
engagiert sind, in der innern Entwicklung bisher keine leitende und keine Verant¬
wortliche Stellung gehabt haben und damit ein ziemlich weites Gebiet aus der
Diskussion ausschalten. Die Hauptschwierigkeit wird darin bestehn, ob sich die
Volksvertretung zu mäßigen vermag, und ob sie den fortdauernden innern Wirren
als Dämpfer oder als Zentrum dienen wird. Die Neigung, aus der Duma einen
Konvent zu machen, ist reichlich vorhanden, die Unruhen werden von den Extremen
auf beiden Seiten gefördert werden. Die Revolutionäre der verschleimen Färbungen
haben ein Interesse daran, Rußland nicht zu einer verfassungsmäßigen Ruhe und
Ordnung kommen zu lassen, die Reaktionäre dagegen möchten beweisen, daß anders
als mit einem energischen und schonungsloser Absolutismus in Rußland überhaupt
nicht zu regieren sei. Es wird sich nun zeigen, ob Rußland über die Männer ver¬
fügt, die notwendig sind, es aus der absolutistischen Vergangenheit und dem Sumpf
der innern Wirren in ein neues Zeitalter hiuüberzuführen. Deutschland, dem an
einem politisch und wirtschaftlich zerrütteten Nußland nicht gelegen sein kann, geleitet
seinen Nachbar mit den besten Wünschen in diesen neuen Abschnitt seiner Geschichte.
Der sür den Berliner Botschafter»öfter designiert gewesene Gesandte von Js-
wolsky, der an Stelle des Grafen Lambsdorff die auswärtige Politik Rußlands
leiten soll, war in den Ruf gekommen, Vertreter eines freundnachbarlichen Zu-
sammengehns mit Deutschland zu sein. Er hat auf dem Kopenhagner Posten tief
in die europäischen Verhältnisse hineinsehen können und kommt aus dem praktischen
Leben, während Graf Lambsdorff nie einen Gesandtenposten bekleidet hatte, sondern
ausschließlich Aktenmensch war. Als Botschafter in Berlin würde er wahrscheinlich
sein Möglichstes daran gewandt haben, wirklich gute Beziehungen zwischen Deutsch¬
land und Rußland herzustellen. In Petersburg siud leicht andre Gesichtspunkte und
andre Einflüsse maßgebend. Wir können das abwarten. Inzwischen mag die bekannte
Wendung des Fürsten Gortschakow, die allerdings nicht von ihm. sondern vom Staatsrat
Jomini stammen soll, aber viele Jahre lang für Rußland die Bedeutung eines Pro¬
gramms hatte, auf die deutsche Politik Anwendung finden: I^IIoingSiiiz hö rseumllsl
»H» Deutschland kann nichts besseres tun.
Religion und Naturwissenschaft. Die Berichte über den gegenwärtigen
Stand der biologischen Forschung, die Dr. E. Dennert unter dem Titel: Vom
Sterbelager des Darwinismus herausgegeben hat, haben natürlich die
Jenaer Herren arg verschnupft. Sachlich haben sie freilich dagegen nichts von
Bedeutung einwenden können. Die Aufsätze haben eine zweite Anflöge erlebt, und
der Verfasser hat ihnen unter demselben Titel eine neue Folge (Stuttgart, Max
Kielmann, 1906) nachgeschickt. Auch vou den seit 1902 erschienenen Schriften,
über die hier berichtet wird, lehnen die meisten den Darwinismus (nicht die Ent¬
wicklungslehre) mehr oder weniger entschieden ab. Dennert hat unter anderen eine
berücksichtigt, deren Verfasser kein Biologe von Fach ist, die aber sehr interessant
ist: der bekannte Edelanarchist Fürst Krapotkin beweist, daß der Kampf ums Dnsein
un Tierreich Ausnahme, die Regel vielmehr gegenseitige Hilfeleistung, Solidarität
'se. Zu den wenigen Schriften ans dem entgegengesetzte^ Lager gehört eine Apo¬
logie des Darwinismus von Dr. Plate, und gerade diese enthält eine augenfällige
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