Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches bedarf da noch eines die preußische Verfassung abändernden Gesetzes, das auch Wohl Als ein sehr erfreulicher Fortschritt sind die parlamentarischen Studienreisen Die syrisch-arabische Eisenbahnverbindung und der türkisch-ägyp¬ tische Streit. Nordamerika und Australien waren viel früher mit einem dichten Maßgebliches und Unmaßgebliches bedarf da noch eines die preußische Verfassung abändernden Gesetzes, das auch Wohl Als ein sehr erfreulicher Fortschritt sind die parlamentarischen Studienreisen Die syrisch-arabische Eisenbahnverbindung und der türkisch-ägyp¬ tische Streit. Nordamerika und Australien waren viel früher mit einem dichten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299336"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1323" prev="#ID_1322"> bedarf da noch eines die preußische Verfassung abändernden Gesetzes, das auch Wohl<lb/> noch an den Landtag kommen wird, aber füglich erst erlassen werden kann, wenn<lb/> die Annahme der Vorlage im Reichstage gesichert ist. Wollte man den Grund¬<lb/> satz: „Reichsrecht bricht Landesrecht" ohne weiteres auf die deutschen Einzelver¬<lb/> fassungen ausdehnen, so könnte man in der letzten Konsequenz diese auf solchem<lb/> Wege einfach beseitigen, ebenso einzelne wichtige Bestimmungen, wie z. B. die der<lb/> preußischen Verfassung über die Regentschaftsfrage in Preußen, die ja im gegebnen<lb/> Falle auch für das Reich Giltigkeit hätten. Die Regelung der Reichstagsdiäten<lb/> wirst noch eine ganze Reihe von Fragen auf und ist mit der Überweisung eines<lb/> Fonds an den Präsidenten, wie mancher geglaubt hat, nicht abgemacht. Auch die<lb/> Regelung der Doppelmandate und der daran haftenden doppelten Diätenzahlung<lb/> ist nicht so einfach, wenngleich der Standpunkt der Regierungsvorlage, daß die<lb/> Reichsbestimmungen maßgebend bleiben sollen und die Landtage die ihrigen danach<lb/> zu modifizieren haben, richtig ist. Es gehören dazu aber gesetzgeberische Ma߬<lb/> nahmen in allen einzelnen deutschen Staaten. Auf alle Fälle muß einer doppelten<lb/> Diätenzahlung, von der mancher geträumt haben mag, beseitigt werden, wenn<lb/> nicht anders, dann durch Verbot der Doppelmandate.</p><lb/> <p xml:id="ID_1324"> Als ein sehr erfreulicher Fortschritt sind die parlamentarischen Studienreisen<lb/> in die Kolonien zu begrüßen. Wie aus der Tagespresse schon bekannt geworden<lb/> ist. werden sie in diesem Jahre in größerm Umfange nach Ostafrika und Kiautschou<lb/> stattfinden, Südwestafrika, das es am nötigsten hätte, soll leider erst im nächsten<lb/> Jahre an die Reihe kommen, dann auch die Südsee. Diese Reisen sind, ebenso<lb/> wie die im Borjahre nach Kamerun und nach Togo, durch die Deutsche Kolonial¬<lb/> gesellschaft organisiert worden, die sich damit ein nicht geringes Verdienst um die<lb/> Entwicklung unsrer Kolonien erworben hat, richtiger würde es aber vielleicht sein,<lb/> wenn diese Studienfahrten auf Reichskosten stattfanden. Die hierfür auszugebenden<lb/> Gelder wären zweifellos viel besser angelegt als die Entschädigungsbeträge für die<lb/> Beiwohnung der Plenarsitzungen. Da im Reichstage noch kein einziger Abgeordneter<lb/> vorhanden ist, der in den Kolonien als Beamter, Offizier, Kaufmann oder Farmer<lb/> gelebt hat, so bieten diese Reisen wenigstens einigen Ersatz, und sie werden für die<lb/> wirtschaftliche Erschließung der Schutzgebiete, für die Geneigtheit des Reichstags,<lb/> die Mittel zu dieser Erschließung, namentlich im Eisenbahnbau, zu bewilligen, von<lb/> großer Bedeutung sein. Wären solche Studienreisen z. B. nach Südwestafrika seit<lb/> zehn Jahren oder früher unternommen worden, so wären uns viele kostspielige und<lb/> blutige Ersahrungen wohl erspart geblieben. Als eine erfreuliche Folgeerscheinung der<lb/> verständigem Behandlung, die — vom Auftreten des Abgeordneten Erzberger ab¬<lb/> gesehen — die kolonialen Angelegenheiten während der gegenwärtigen Session im<lb/> Reichstage gefunden haben, darf die Tatsache gelten, daß namentlich für Ostafrika<lb/> mehrere neue Kolonialgesellschasten teils in der Bildung, teils in der Vorbereitung<lb/> begriffen sind. Besonders Hanf und Guttapercha scheinen viel Aussicht auf lohnenden<lb/> Gewinn zu bieten, Hanf durch die billige Herstellung, Guttapercha durch den enorm<lb/> ansteigenden Konsum infolge der Entwicklung des Automobilwesens. Wird erst<lb/> einmal die neue Organisation der kolonialen Zentralstelle in Berlin unter Dach und<lb/> Fach gebracht sein, so wird das Vertrauen in die kolonialen Unternehmungen noch<lb/> bedeutend anwachsen. Damit wird dann auch der Lebensbedingung der afrikanischen<lb/> Schutzgebiete, einem schnellern und systematischen Ausbau des Eisenbahnnetzes, vor¬<lb/><note type="byline"/> gearbeitet</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> <head> Die syrisch-arabische Eisenbahnverbindung und der türkisch-ägyp¬</head><lb/> </div> <div n="2"> <head> tische Streit.</head> <p xml:id="ID_1325" next="#ID_1326"> Nordamerika und Australien waren viel früher mit einem dichten<lb/> Eisenbahnnetz durchzogen als das Reich des Sultans, das doch auf uraltem Kultur¬<lb/> boden errichtet ist. Babylonien und Chaldäa, wo man die frühesten Wurzeln<lb/> '»erheblicher Kultur zu suchen hat. entbehren des verkehrbringenden Schienenwegs<lb/> «och heute, nicht weil es hoffnungslos wäre, das höchst fruchtbare Land wieder<lb/> zur Blüte zu bringen, sondern weil sich europäische Nationen um den Vorrang</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0295]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
bedarf da noch eines die preußische Verfassung abändernden Gesetzes, das auch Wohl
noch an den Landtag kommen wird, aber füglich erst erlassen werden kann, wenn
die Annahme der Vorlage im Reichstage gesichert ist. Wollte man den Grund¬
satz: „Reichsrecht bricht Landesrecht" ohne weiteres auf die deutschen Einzelver¬
fassungen ausdehnen, so könnte man in der letzten Konsequenz diese auf solchem
Wege einfach beseitigen, ebenso einzelne wichtige Bestimmungen, wie z. B. die der
preußischen Verfassung über die Regentschaftsfrage in Preußen, die ja im gegebnen
Falle auch für das Reich Giltigkeit hätten. Die Regelung der Reichstagsdiäten
wirst noch eine ganze Reihe von Fragen auf und ist mit der Überweisung eines
Fonds an den Präsidenten, wie mancher geglaubt hat, nicht abgemacht. Auch die
Regelung der Doppelmandate und der daran haftenden doppelten Diätenzahlung
ist nicht so einfach, wenngleich der Standpunkt der Regierungsvorlage, daß die
Reichsbestimmungen maßgebend bleiben sollen und die Landtage die ihrigen danach
zu modifizieren haben, richtig ist. Es gehören dazu aber gesetzgeberische Ma߬
nahmen in allen einzelnen deutschen Staaten. Auf alle Fälle muß einer doppelten
Diätenzahlung, von der mancher geträumt haben mag, beseitigt werden, wenn
nicht anders, dann durch Verbot der Doppelmandate.
Als ein sehr erfreulicher Fortschritt sind die parlamentarischen Studienreisen
in die Kolonien zu begrüßen. Wie aus der Tagespresse schon bekannt geworden
ist. werden sie in diesem Jahre in größerm Umfange nach Ostafrika und Kiautschou
stattfinden, Südwestafrika, das es am nötigsten hätte, soll leider erst im nächsten
Jahre an die Reihe kommen, dann auch die Südsee. Diese Reisen sind, ebenso
wie die im Borjahre nach Kamerun und nach Togo, durch die Deutsche Kolonial¬
gesellschaft organisiert worden, die sich damit ein nicht geringes Verdienst um die
Entwicklung unsrer Kolonien erworben hat, richtiger würde es aber vielleicht sein,
wenn diese Studienfahrten auf Reichskosten stattfanden. Die hierfür auszugebenden
Gelder wären zweifellos viel besser angelegt als die Entschädigungsbeträge für die
Beiwohnung der Plenarsitzungen. Da im Reichstage noch kein einziger Abgeordneter
vorhanden ist, der in den Kolonien als Beamter, Offizier, Kaufmann oder Farmer
gelebt hat, so bieten diese Reisen wenigstens einigen Ersatz, und sie werden für die
wirtschaftliche Erschließung der Schutzgebiete, für die Geneigtheit des Reichstags,
die Mittel zu dieser Erschließung, namentlich im Eisenbahnbau, zu bewilligen, von
großer Bedeutung sein. Wären solche Studienreisen z. B. nach Südwestafrika seit
zehn Jahren oder früher unternommen worden, so wären uns viele kostspielige und
blutige Ersahrungen wohl erspart geblieben. Als eine erfreuliche Folgeerscheinung der
verständigem Behandlung, die — vom Auftreten des Abgeordneten Erzberger ab¬
gesehen — die kolonialen Angelegenheiten während der gegenwärtigen Session im
Reichstage gefunden haben, darf die Tatsache gelten, daß namentlich für Ostafrika
mehrere neue Kolonialgesellschasten teils in der Bildung, teils in der Vorbereitung
begriffen sind. Besonders Hanf und Guttapercha scheinen viel Aussicht auf lohnenden
Gewinn zu bieten, Hanf durch die billige Herstellung, Guttapercha durch den enorm
ansteigenden Konsum infolge der Entwicklung des Automobilwesens. Wird erst
einmal die neue Organisation der kolonialen Zentralstelle in Berlin unter Dach und
Fach gebracht sein, so wird das Vertrauen in die kolonialen Unternehmungen noch
bedeutend anwachsen. Damit wird dann auch der Lebensbedingung der afrikanischen
Schutzgebiete, einem schnellern und systematischen Ausbau des Eisenbahnnetzes, vor¬
gearbeitet
Die syrisch-arabische Eisenbahnverbindung und der türkisch-ägyp¬
tische Streit. Nordamerika und Australien waren viel früher mit einem dichten
Eisenbahnnetz durchzogen als das Reich des Sultans, das doch auf uraltem Kultur¬
boden errichtet ist. Babylonien und Chaldäa, wo man die frühesten Wurzeln
'»erheblicher Kultur zu suchen hat. entbehren des verkehrbringenden Schienenwegs
«och heute, nicht weil es hoffnungslos wäre, das höchst fruchtbare Land wieder
zur Blüte zu bringen, sondern weil sich europäische Nationen um den Vorrang
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