Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Menschenfrühling

Ewigkeit zurück, was man dem Augenblicke ausgeschlagen hat. Ein solches
Gesetz, wenn es einmal da war, konnte in xsrxswuin konserviert werden. Ist
es einmal abgeschafft, so ist es unwiederbringlich verloren, es sei denn, daß große
Notstände zu Maßnahmen ähnlicher Art führen. Es gehört nun ein starker
Glaube dazu, der Hoffnung Raum zu geben, daß die Diäten zu einer solchen
Umgestaltung des Reichstags führen werden, die entweder auf den Rückgang der
Sozialdemokratie im Hause stark einwirkt oder gesetzgeberische Maßnahmen gegen
sie ermöglicht. Wie jede Hochflut wird ohne Zweifel auch die sozialdemo¬
kratische einmal verlaufen, freilich nicht, ohne viel unwiederbringlichen Schade"
zurückzulassen. Aufgabe einer weisen Politik wird es somit immer bleiben,
diesen so weit aus seinen Ufern getretner Strom mit allen zulässigen Mitteln,
die Aussicht auf Erfolg bieten, wieder in den Lauf einzudämmen, der dem
berechtigten Kern der sozialen Bewegung entspricht, und der in unsrer fast bis
ins unendliche ausgedehnten sozialpolitischen Gesetzgebung längst seine Richtung
erhalten hat.

Fürst Bülows Erkrankung hat ihm deutlicher, als es vielleicht so bald bei
einem andern Anlaß möglich gewesen wäre, gezeigt, daß er über einen großen
Schatz von Vertrauen in der Nation verfügt, bei den Fürsten, den Regierungen
und vor allen Dingen im Reichstage, ganz abgesehen von dem Vertrauen des
Kaisers, über das er selbst wohl der beste Richter ist. Er wird daraus um so
mehr den Entschluß geschöpft habe", die wiedergewonnene Vollkraft weiter dafür
einzusetzen,- den Reichskanzlerposten mit dein Geiste seines Schöpfers zu erfülle":
der verantwortliche politische Führer unsers Volkes zu sein. Fürst Bülow ist
sicher, daß die Nation aufatmen wird, wenn sie ihn erst wieder in voller Ge¬
sundheit auf seinem Stuhl im Reichstage sieht, und wenn die auf allen Lippen
schwebende Frage: Wer leitet? ihre endgiltige und befriedigende Antwort ge¬
sunden haben wird. Er ist der Staatsmann, der mit diesem kostbaren Pfunde
Hugo Jacobi zu wuchern weiß.__




Menschenfrühling
Charlotte Niese von(Fortsetzung)
9

i ar das dieselbe Stadt mit den roten Dächern, den kleinen Häusern
und den holprigen Straßen? War sie immer so klein gewesen, und
das Schloß dort oben so unansehnlich und schlecht gehalten?

Die Dämmerung des Sommersonntngs schlich schon durch die
Gassen. Die Leute saßen vor der Tür und erzählten sich etwas,
>und Doktor Sudeck rief den herrschaftlichen Wagen um, daß er bei
ihm anhielte. Wenn Anneli darin wäre, sollte sie vorläufig nicht auf das Schloß,
sondern bei Sudecks im Hause bleiben.

Bei Sudecks! Anneli konnte sich kaum besinnen, da saß sie schon in Christels
^iebklstnbchen, ihr Koffer wurde die Treppen hinaufgebracht, und Cäsar schnüffelte
""f dem Hnusboden umher. Er war halb Teckel, halb Rattenfänger, daher hatte


Menschenfrühling

Ewigkeit zurück, was man dem Augenblicke ausgeschlagen hat. Ein solches
Gesetz, wenn es einmal da war, konnte in xsrxswuin konserviert werden. Ist
es einmal abgeschafft, so ist es unwiederbringlich verloren, es sei denn, daß große
Notstände zu Maßnahmen ähnlicher Art führen. Es gehört nun ein starker
Glaube dazu, der Hoffnung Raum zu geben, daß die Diäten zu einer solchen
Umgestaltung des Reichstags führen werden, die entweder auf den Rückgang der
Sozialdemokratie im Hause stark einwirkt oder gesetzgeberische Maßnahmen gegen
sie ermöglicht. Wie jede Hochflut wird ohne Zweifel auch die sozialdemo¬
kratische einmal verlaufen, freilich nicht, ohne viel unwiederbringlichen Schade»
zurückzulassen. Aufgabe einer weisen Politik wird es somit immer bleiben,
diesen so weit aus seinen Ufern getretner Strom mit allen zulässigen Mitteln,
die Aussicht auf Erfolg bieten, wieder in den Lauf einzudämmen, der dem
berechtigten Kern der sozialen Bewegung entspricht, und der in unsrer fast bis
ins unendliche ausgedehnten sozialpolitischen Gesetzgebung längst seine Richtung
erhalten hat.

Fürst Bülows Erkrankung hat ihm deutlicher, als es vielleicht so bald bei
einem andern Anlaß möglich gewesen wäre, gezeigt, daß er über einen großen
Schatz von Vertrauen in der Nation verfügt, bei den Fürsten, den Regierungen
und vor allen Dingen im Reichstage, ganz abgesehen von dem Vertrauen des
Kaisers, über das er selbst wohl der beste Richter ist. Er wird daraus um so
mehr den Entschluß geschöpft habe», die wiedergewonnene Vollkraft weiter dafür
einzusetzen,- den Reichskanzlerposten mit dein Geiste seines Schöpfers zu erfülle»:
der verantwortliche politische Führer unsers Volkes zu sein. Fürst Bülow ist
sicher, daß die Nation aufatmen wird, wenn sie ihn erst wieder in voller Ge¬
sundheit auf seinem Stuhl im Reichstage sieht, und wenn die auf allen Lippen
schwebende Frage: Wer leitet? ihre endgiltige und befriedigende Antwort ge¬
sunden haben wird. Er ist der Staatsmann, der mit diesem kostbaren Pfunde
Hugo Jacobi zu wuchern weiß.__




Menschenfrühling
Charlotte Niese von(Fortsetzung)
9

i ar das dieselbe Stadt mit den roten Dächern, den kleinen Häusern
und den holprigen Straßen? War sie immer so klein gewesen, und
das Schloß dort oben so unansehnlich und schlecht gehalten?

Die Dämmerung des Sommersonntngs schlich schon durch die
Gassen. Die Leute saßen vor der Tür und erzählten sich etwas,
>und Doktor Sudeck rief den herrschaftlichen Wagen um, daß er bei
ihm anhielte. Wenn Anneli darin wäre, sollte sie vorläufig nicht auf das Schloß,
sondern bei Sudecks im Hause bleiben.

Bei Sudecks! Anneli konnte sich kaum besinnen, da saß sie schon in Christels
^iebklstnbchen, ihr Koffer wurde die Treppen hinaufgebracht, und Cäsar schnüffelte
""f dem Hnusboden umher. Er war halb Teckel, halb Rattenfänger, daher hatte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0283" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299324"/>
          <fw type="header" place="top"> Menschenfrühling</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1217" prev="#ID_1216"> Ewigkeit zurück, was man dem Augenblicke ausgeschlagen hat. Ein solches<lb/>
Gesetz, wenn es einmal da war, konnte in xsrxswuin konserviert werden. Ist<lb/>
es einmal abgeschafft, so ist es unwiederbringlich verloren, es sei denn, daß große<lb/>
Notstände zu Maßnahmen ähnlicher Art führen. Es gehört nun ein starker<lb/>
Glaube dazu, der Hoffnung Raum zu geben, daß die Diäten zu einer solchen<lb/>
Umgestaltung des Reichstags führen werden, die entweder auf den Rückgang der<lb/>
Sozialdemokratie im Hause stark einwirkt oder gesetzgeberische Maßnahmen gegen<lb/>
sie ermöglicht. Wie jede Hochflut wird ohne Zweifel auch die sozialdemo¬<lb/>
kratische einmal verlaufen, freilich nicht, ohne viel unwiederbringlichen Schade»<lb/>
zurückzulassen. Aufgabe einer weisen Politik wird es somit immer bleiben,<lb/>
diesen so weit aus seinen Ufern getretner Strom mit allen zulässigen Mitteln,<lb/>
die Aussicht auf Erfolg bieten, wieder in den Lauf einzudämmen, der dem<lb/>
berechtigten Kern der sozialen Bewegung entspricht, und der in unsrer fast bis<lb/>
ins unendliche ausgedehnten sozialpolitischen Gesetzgebung längst seine Richtung<lb/>
erhalten hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1218"> Fürst Bülows Erkrankung hat ihm deutlicher, als es vielleicht so bald bei<lb/>
einem andern Anlaß möglich gewesen wäre, gezeigt, daß er über einen großen<lb/>
Schatz von Vertrauen in der Nation verfügt, bei den Fürsten, den Regierungen<lb/>
und vor allen Dingen im Reichstage, ganz abgesehen von dem Vertrauen des<lb/>
Kaisers, über das er selbst wohl der beste Richter ist. Er wird daraus um so<lb/>
mehr den Entschluß geschöpft habe», die wiedergewonnene Vollkraft weiter dafür<lb/>
einzusetzen,- den Reichskanzlerposten mit dein Geiste seines Schöpfers zu erfülle»:<lb/>
der verantwortliche politische Führer unsers Volkes zu sein. Fürst Bülow ist<lb/>
sicher, daß die Nation aufatmen wird, wenn sie ihn erst wieder in voller Ge¬<lb/>
sundheit auf seinem Stuhl im Reichstage sieht, und wenn die auf allen Lippen<lb/>
schwebende Frage: Wer leitet? ihre endgiltige und befriedigende Antwort ge¬<lb/>
sunden haben wird. Er ist der Staatsmann, der mit diesem kostbaren Pfunde<lb/><note type="byline"> Hugo Jacobi</note> zu wuchern weiß.__ </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Menschenfrühling<lb/><note type="byline"> Charlotte Niese</note> von(Fortsetzung)</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 9</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1219"> i ar das dieselbe Stadt mit den roten Dächern, den kleinen Häusern<lb/>
und den holprigen Straßen? War sie immer so klein gewesen, und<lb/>
das Schloß dort oben so unansehnlich und schlecht gehalten?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1220"> Die Dämmerung des Sommersonntngs schlich schon durch die<lb/>
Gassen. Die Leute saßen vor der Tür und erzählten sich etwas,<lb/>
&gt;und Doktor Sudeck rief den herrschaftlichen Wagen um, daß er bei<lb/>
ihm anhielte. Wenn Anneli darin wäre, sollte sie vorläufig nicht auf das Schloß,<lb/>
sondern bei Sudecks im Hause bleiben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1221" next="#ID_1222"> Bei Sudecks! Anneli konnte sich kaum besinnen, da saß sie schon in Christels<lb/>
^iebklstnbchen, ihr Koffer wurde die Treppen hinaufgebracht, und Cäsar schnüffelte<lb/>
""f dem Hnusboden umher.  Er war halb Teckel, halb Rattenfänger, daher hatte</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0283] Menschenfrühling Ewigkeit zurück, was man dem Augenblicke ausgeschlagen hat. Ein solches Gesetz, wenn es einmal da war, konnte in xsrxswuin konserviert werden. Ist es einmal abgeschafft, so ist es unwiederbringlich verloren, es sei denn, daß große Notstände zu Maßnahmen ähnlicher Art führen. Es gehört nun ein starker Glaube dazu, der Hoffnung Raum zu geben, daß die Diäten zu einer solchen Umgestaltung des Reichstags führen werden, die entweder auf den Rückgang der Sozialdemokratie im Hause stark einwirkt oder gesetzgeberische Maßnahmen gegen sie ermöglicht. Wie jede Hochflut wird ohne Zweifel auch die sozialdemo¬ kratische einmal verlaufen, freilich nicht, ohne viel unwiederbringlichen Schade» zurückzulassen. Aufgabe einer weisen Politik wird es somit immer bleiben, diesen so weit aus seinen Ufern getretner Strom mit allen zulässigen Mitteln, die Aussicht auf Erfolg bieten, wieder in den Lauf einzudämmen, der dem berechtigten Kern der sozialen Bewegung entspricht, und der in unsrer fast bis ins unendliche ausgedehnten sozialpolitischen Gesetzgebung längst seine Richtung erhalten hat. Fürst Bülows Erkrankung hat ihm deutlicher, als es vielleicht so bald bei einem andern Anlaß möglich gewesen wäre, gezeigt, daß er über einen großen Schatz von Vertrauen in der Nation verfügt, bei den Fürsten, den Regierungen und vor allen Dingen im Reichstage, ganz abgesehen von dem Vertrauen des Kaisers, über das er selbst wohl der beste Richter ist. Er wird daraus um so mehr den Entschluß geschöpft habe», die wiedergewonnene Vollkraft weiter dafür einzusetzen,- den Reichskanzlerposten mit dein Geiste seines Schöpfers zu erfülle»: der verantwortliche politische Führer unsers Volkes zu sein. Fürst Bülow ist sicher, daß die Nation aufatmen wird, wenn sie ihn erst wieder in voller Ge¬ sundheit auf seinem Stuhl im Reichstage sieht, und wenn die auf allen Lippen schwebende Frage: Wer leitet? ihre endgiltige und befriedigende Antwort ge¬ sunden haben wird. Er ist der Staatsmann, der mit diesem kostbaren Pfunde Hugo Jacobi zu wuchern weiß.__ Menschenfrühling Charlotte Niese von(Fortsetzung) 9 i ar das dieselbe Stadt mit den roten Dächern, den kleinen Häusern und den holprigen Straßen? War sie immer so klein gewesen, und das Schloß dort oben so unansehnlich und schlecht gehalten? Die Dämmerung des Sommersonntngs schlich schon durch die Gassen. Die Leute saßen vor der Tür und erzählten sich etwas, >und Doktor Sudeck rief den herrschaftlichen Wagen um, daß er bei ihm anhielte. Wenn Anneli darin wäre, sollte sie vorläufig nicht auf das Schloß, sondern bei Sudecks im Hause bleiben. Bei Sudecks! Anneli konnte sich kaum besinnen, da saß sie schon in Christels ^iebklstnbchen, ihr Koffer wurde die Treppen hinaufgebracht, und Cäsar schnüffelte ""f dem Hnusboden umher. Er war halb Teckel, halb Rattenfänger, daher hatte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/283
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/283>, abgerufen am 26.12.2024.