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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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und befähigt werde, immer größere Getreide- und Viehmcngen zu liefern --
eine Aufgabe, der sie um so leichter wird gerecht werden können, wenn die
direkten Steuern und damit die Produktionskosten herabgesetzt werden. Jeden¬
falls müßte die preußische Negierung, ehe sie zu neuen direkten Reichssteuern
ihre Zustimmung gibt, zunächst dnrch eine Enquete genau ermitteln, wie sich
die Belastung der Landwirtschaft mit direkten Steuern in den einzelnen Provinzen
stellt, und zwar nicht die Gesamtbelastung aller Betriebe einer Provinz, sondern
die Belastung einzelner Betriebe im Verhältnis zu ihrem Reinertrage, da nur
diese Feststellung ein richtiges Bild von der Sachlage gibt.




Eine französische Kriegsphantasie

!s ist auffallend, daß die Kriegs gerächte nicht verstumme" wollen.
Die Marokkofrage bietet u. a. noch nicht genügenden Grund zu
dieser Beunruhigung der öffentlichen Meinung, denn die damit
verknüpften Interessen liegen, namentlich dem deutschen Empfinden,
!doch recht fern. Weit mehr Einfluß hat jedenfalls die Presse,
die sich in England wie in Frankreich darin gefällt, auf kriegerische Gelüste
Deutschlands hinzuweisen und gewisse Äußerungen, die an hoher Stelle ge¬
fallen sind, ganz unberechtigterweise als "Säbelgerassel" zu deuten. Wenn
man, wie der Verfasser dieser Zeilen, im Nordwesten der Schweiz, etwa gleich
weit entfernt von der deutschen und von der französischen Grenze lebt, da hat
man reichlich Gelegenheit, zu erfahren, wie lebhaft die Befürchtung vor einem
deutsch-französischen Kriege ist, und wie auf aller Zunge die Frage liegt: Wer
trügt die Schuld an diesen Zwistigkeiten? Wer rüstet? Wer wird beginnen?
Wird es überhaupt zum Kriege kommen? Diese Fragen kann man täglich
hören, und den politischen Anschauungen entsprechend, die nun einmal hier in
weiten Kreisen herrschen, hört man meist die Antwort, daß Deutschland die
Schuld trage, und daß Deutschland durchaus nichts gegen einen neuen Waffen¬
tanz mit Frankreich einzuwenden haben werde; vielfach geht man sogar so weit,
unsern Kaiser verantwortlich zu machen und ihm Kriegsgelüste zuzuschreiben.
Da hilft auch aller Hinweis auf die Friedensbestrebungen seiner ganzen Re-
gierungszeit, auf das Entgegenkommen, das er Frankreich gegenüber jederzeit
beobachtet hat, auf seine wiederholten Äußerungen noch in der jüngsten Zeit,
namentlich in der Thronrede bei der Eröffnung des Reichstags, nichts, sondern
man glaubt nun einmal, daß Kaiser Wilhelm gern des Schwertes Schärfe anch
einmal erproben möchte.

Wer hat nun aber eigentlich dieses Kriegsgeschrei veranlaßt, und wer trägt
die Schuld daran, daß man in weiten Kreisen an einen Krieg glaubt oder doch
geglaubt hat? Wenn wir diese Frage ganz unparteiisch beantworten wollen,
müssen wir die Schuld in der Hauptsache jenseits der französischen Grenze
finden und einen großen Teil der französischen Presse verantwortlich machen,


Line französische Ariegsphantaste

und befähigt werde, immer größere Getreide- und Viehmcngen zu liefern —
eine Aufgabe, der sie um so leichter wird gerecht werden können, wenn die
direkten Steuern und damit die Produktionskosten herabgesetzt werden. Jeden¬
falls müßte die preußische Negierung, ehe sie zu neuen direkten Reichssteuern
ihre Zustimmung gibt, zunächst dnrch eine Enquete genau ermitteln, wie sich
die Belastung der Landwirtschaft mit direkten Steuern in den einzelnen Provinzen
stellt, und zwar nicht die Gesamtbelastung aller Betriebe einer Provinz, sondern
die Belastung einzelner Betriebe im Verhältnis zu ihrem Reinertrage, da nur
diese Feststellung ein richtiges Bild von der Sachlage gibt.




Eine französische Kriegsphantasie

!s ist auffallend, daß die Kriegs gerächte nicht verstumme» wollen.
Die Marokkofrage bietet u. a. noch nicht genügenden Grund zu
dieser Beunruhigung der öffentlichen Meinung, denn die damit
verknüpften Interessen liegen, namentlich dem deutschen Empfinden,
!doch recht fern. Weit mehr Einfluß hat jedenfalls die Presse,
die sich in England wie in Frankreich darin gefällt, auf kriegerische Gelüste
Deutschlands hinzuweisen und gewisse Äußerungen, die an hoher Stelle ge¬
fallen sind, ganz unberechtigterweise als „Säbelgerassel" zu deuten. Wenn
man, wie der Verfasser dieser Zeilen, im Nordwesten der Schweiz, etwa gleich
weit entfernt von der deutschen und von der französischen Grenze lebt, da hat
man reichlich Gelegenheit, zu erfahren, wie lebhaft die Befürchtung vor einem
deutsch-französischen Kriege ist, und wie auf aller Zunge die Frage liegt: Wer
trügt die Schuld an diesen Zwistigkeiten? Wer rüstet? Wer wird beginnen?
Wird es überhaupt zum Kriege kommen? Diese Fragen kann man täglich
hören, und den politischen Anschauungen entsprechend, die nun einmal hier in
weiten Kreisen herrschen, hört man meist die Antwort, daß Deutschland die
Schuld trage, und daß Deutschland durchaus nichts gegen einen neuen Waffen¬
tanz mit Frankreich einzuwenden haben werde; vielfach geht man sogar so weit,
unsern Kaiser verantwortlich zu machen und ihm Kriegsgelüste zuzuschreiben.
Da hilft auch aller Hinweis auf die Friedensbestrebungen seiner ganzen Re-
gierungszeit, auf das Entgegenkommen, das er Frankreich gegenüber jederzeit
beobachtet hat, auf seine wiederholten Äußerungen noch in der jüngsten Zeit,
namentlich in der Thronrede bei der Eröffnung des Reichstags, nichts, sondern
man glaubt nun einmal, daß Kaiser Wilhelm gern des Schwertes Schärfe anch
einmal erproben möchte.

Wer hat nun aber eigentlich dieses Kriegsgeschrei veranlaßt, und wer trägt
die Schuld daran, daß man in weiten Kreisen an einen Krieg glaubt oder doch
geglaubt hat? Wenn wir diese Frage ganz unparteiisch beantworten wollen,
müssen wir die Schuld in der Hauptsache jenseits der französischen Grenze
finden und einen großen Teil der französischen Presse verantwortlich machen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/256>, abgerufen am 26.12.2024.