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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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AnastasiilS Grün

Sieges allein in den Künsten des Exerzierplatzes. Man jagte nach Gunst und
Gnade; für den stolzen Freimut eines Blücher und Aork blieb kein Raum.
Und da der König des seltsamen Glaubens lebte, daß nur der Edelmann Ehre
im Leibe habe, so machten sich ein unleidlicher Übermut und Überhebung in
den Offizierkorps breit. Dem alten König entging dies alles; er sah nur mit
Genugtuung, wie sein Land wirtschaftlich erstarkte, und bezeichnete jetzt das
Ideal des Heerwesens mit den wunderlichen Worten: "Der friedliche Bürger
soll gar nicht merken, wenn die Nation sich schlägt." Er dachte wohl an sieg¬
reiche Offensivkriege, nicht an eine feindliche Überschwemmung des Landes.
Jedenfalls schnitt er damit dem Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht, diesem
lebendigen Zusammenhang zwischen Staat, Volk und Heer mit ihrem gemein¬
samen Interesse, den Lebensnerv durch. So geriet also schon unter dem großen
König eine Säule nach der andern, die den Staatsbäu trugen, langsam ins
Wanken. Sein Tod nahm dann die stärkste Stütze fort, das straffe, harte,
persönliche Regiment, wodurch es ihm gelungen war, die von ihm geschaffne
stolze Stellung seines Staates aufrecht und das innere Getriebe der Maschine
in gutem Gange zu erhalten. Weil aber sein Selbstregiment alle Zweige des
Staatswesens umfaßte: Diplomatie, Verwaltung, Justiz, Heerwesen, eine un-
geheure Bürde von Arbeit lind Verantwortlichkeit, die zu tragen eben nur ihm,
seiner unbegrenzten Arbeitsfreudigkeit, seinem Pflichtgefühle möglich war, so
mußte mit seinem Ableben notwendig auch der Geist erlöschen, der seiner
Schöpfung Leben und Lebensfähigkeit eingehaucht hatte.

(Schluß folgt)




^postasie
Anastasius Grün
Lin Gedenkblatt zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages
w. Berg von ^t^
Nicht jeder hat ein Liebchen,
Doch jeder hat ein Vaterland.
Ameise. Grün

! esterreich vor hundert Jahre!, -- der Staat Metternichs un¬
seligen Angedenkens! Welche trübseligen Bilder wecken diese
Worte! Wie kurzsichtig und armselig war doch diese Pseudo-
staatsknnst der Restaurationszeit, die überall in Deutschland schwer
Iwie ein Alp, am schwersten aber in Österreich lastete! Wahrung
der Monarchie durch Erhaltung der Ruhe und des bestehenden Zustandes
unter allen Umstünden und mit allen Mitteln -- das war ihr Ziel. Und
darum unterband man jede Weiterentwicklung, jede freie Regung des Geistes,
darum hielt man alle auf konstitutionelle und nationale Einigung zielenden
Bestrebungen nieder unter dem eisernen Drucke einer willkürlichen Polizei¬
herrschaft. Die Ruhe eines Kirchhofs schien sich auf das unglückliche Öster¬
reich niedergesenkt zu haben, alles Leben unter dumpfen? Drucke erstorben zu


AnastasiilS Grün

Sieges allein in den Künsten des Exerzierplatzes. Man jagte nach Gunst und
Gnade; für den stolzen Freimut eines Blücher und Aork blieb kein Raum.
Und da der König des seltsamen Glaubens lebte, daß nur der Edelmann Ehre
im Leibe habe, so machten sich ein unleidlicher Übermut und Überhebung in
den Offizierkorps breit. Dem alten König entging dies alles; er sah nur mit
Genugtuung, wie sein Land wirtschaftlich erstarkte, und bezeichnete jetzt das
Ideal des Heerwesens mit den wunderlichen Worten: „Der friedliche Bürger
soll gar nicht merken, wenn die Nation sich schlägt." Er dachte wohl an sieg¬
reiche Offensivkriege, nicht an eine feindliche Überschwemmung des Landes.
Jedenfalls schnitt er damit dem Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht, diesem
lebendigen Zusammenhang zwischen Staat, Volk und Heer mit ihrem gemein¬
samen Interesse, den Lebensnerv durch. So geriet also schon unter dem großen
König eine Säule nach der andern, die den Staatsbäu trugen, langsam ins
Wanken. Sein Tod nahm dann die stärkste Stütze fort, das straffe, harte,
persönliche Regiment, wodurch es ihm gelungen war, die von ihm geschaffne
stolze Stellung seines Staates aufrecht und das innere Getriebe der Maschine
in gutem Gange zu erhalten. Weil aber sein Selbstregiment alle Zweige des
Staatswesens umfaßte: Diplomatie, Verwaltung, Justiz, Heerwesen, eine un-
geheure Bürde von Arbeit lind Verantwortlichkeit, die zu tragen eben nur ihm,
seiner unbegrenzten Arbeitsfreudigkeit, seinem Pflichtgefühle möglich war, so
mußte mit seinem Ableben notwendig auch der Geist erlöschen, der seiner
Schöpfung Leben und Lebensfähigkeit eingehaucht hatte.

(Schluß folgt)




^postasie
Anastasius Grün
Lin Gedenkblatt zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages
w. Berg von ^t^
Nicht jeder hat ein Liebchen,
Doch jeder hat ein Vaterland.
Ameise. Grün

! esterreich vor hundert Jahre!, — der Staat Metternichs un¬
seligen Angedenkens! Welche trübseligen Bilder wecken diese
Worte! Wie kurzsichtig und armselig war doch diese Pseudo-
staatsknnst der Restaurationszeit, die überall in Deutschland schwer
Iwie ein Alp, am schwersten aber in Österreich lastete! Wahrung
der Monarchie durch Erhaltung der Ruhe und des bestehenden Zustandes
unter allen Umstünden und mit allen Mitteln — das war ihr Ziel. Und
darum unterband man jede Weiterentwicklung, jede freie Regung des Geistes,
darum hielt man alle auf konstitutionelle und nationale Einigung zielenden
Bestrebungen nieder unter dem eisernen Drucke einer willkürlichen Polizei¬
herrschaft. Die Ruhe eines Kirchhofs schien sich auf das unglückliche Öster¬
reich niedergesenkt zu haben, alles Leben unter dumpfen? Drucke erstorben zu


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[0022] AnastasiilS Grün Sieges allein in den Künsten des Exerzierplatzes. Man jagte nach Gunst und Gnade; für den stolzen Freimut eines Blücher und Aork blieb kein Raum. Und da der König des seltsamen Glaubens lebte, daß nur der Edelmann Ehre im Leibe habe, so machten sich ein unleidlicher Übermut und Überhebung in den Offizierkorps breit. Dem alten König entging dies alles; er sah nur mit Genugtuung, wie sein Land wirtschaftlich erstarkte, und bezeichnete jetzt das Ideal des Heerwesens mit den wunderlichen Worten: „Der friedliche Bürger soll gar nicht merken, wenn die Nation sich schlägt." Er dachte wohl an sieg¬ reiche Offensivkriege, nicht an eine feindliche Überschwemmung des Landes. Jedenfalls schnitt er damit dem Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht, diesem lebendigen Zusammenhang zwischen Staat, Volk und Heer mit ihrem gemein¬ samen Interesse, den Lebensnerv durch. So geriet also schon unter dem großen König eine Säule nach der andern, die den Staatsbäu trugen, langsam ins Wanken. Sein Tod nahm dann die stärkste Stütze fort, das straffe, harte, persönliche Regiment, wodurch es ihm gelungen war, die von ihm geschaffne stolze Stellung seines Staates aufrecht und das innere Getriebe der Maschine in gutem Gange zu erhalten. Weil aber sein Selbstregiment alle Zweige des Staatswesens umfaßte: Diplomatie, Verwaltung, Justiz, Heerwesen, eine un- geheure Bürde von Arbeit lind Verantwortlichkeit, die zu tragen eben nur ihm, seiner unbegrenzten Arbeitsfreudigkeit, seinem Pflichtgefühle möglich war, so mußte mit seinem Ableben notwendig auch der Geist erlöschen, der seiner Schöpfung Leben und Lebensfähigkeit eingehaucht hatte. (Schluß folgt) ^postasie Anastasius Grün Lin Gedenkblatt zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages w. Berg von ^t^ Nicht jeder hat ein Liebchen, Doch jeder hat ein Vaterland. Ameise. Grün ! esterreich vor hundert Jahre!, — der Staat Metternichs un¬ seligen Angedenkens! Welche trübseligen Bilder wecken diese Worte! Wie kurzsichtig und armselig war doch diese Pseudo- staatsknnst der Restaurationszeit, die überall in Deutschland schwer Iwie ein Alp, am schwersten aber in Österreich lastete! Wahrung der Monarchie durch Erhaltung der Ruhe und des bestehenden Zustandes unter allen Umstünden und mit allen Mitteln — das war ihr Ziel. Und darum unterband man jede Weiterentwicklung, jede freie Regung des Geistes, darum hielt man alle auf konstitutionelle und nationale Einigung zielenden Bestrebungen nieder unter dem eisernen Drucke einer willkürlichen Polizei¬ herrschaft. Die Ruhe eines Kirchhofs schien sich auf das unglückliche Öster¬ reich niedergesenkt zu haben, alles Leben unter dumpfen? Drucke erstorben zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/22>, abgerufen am 26.12.2024.