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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Christentum und Kirche in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

stärkt) im Nordwesten, "Cadiz, Tarifa, Algeciras im Süden, Cartagena, Valencia,
Barcelona im Osten. Dazu kommt noch Ceuta an der Küste Nordafrikas und
Mahon und Palma auf den Balearen. Portugal hat in Lissabon eine sehr
starke Zentralfestung ähnlich wie Belgien in Antwerpen und an der von
Lissabon nach Spanien führenden Eisenbahn die mit Außenwerken befestigte
Stadt Elvas. Und zum Schluß sei noch auf die als uneinnehmbar geltende
englische Felsenfeste Gibraltar hingewiesen, die jedenfalls, wenn sie auch die
Meerenge nicht durchaus sperrt, doch ebenso wie Malta ein wichtiger Stütz¬
punkt der englischen Flotte ist.

Es ist ein langer Weg, den wir durch ganz Europa zurückgelegt haben,
und diese große Menge durch das gegenseitige Mißtrauen geschaffner Festungen
und Schutzanlagen ist eigentlich ein düsteres Bild. Aber es ist auch ein Bild
großer selbständiger Macht und großen Reichtums, der sich hinter diesen Stahl¬
panzern und Wällen und Kanonen immer mehr und mehr anhäuft. Gewappnet
bis an die Zähne, trotzig einander drohend suchen die Staaten Europas nicht
den Krieg, sondern den dauernden, sichern Frieden.




Christentum und Kirche in Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft

UMn gewissen Kreisen ist die Meinung verbreitet, die konfessionelle
Spaltung gefährde das Deutsche Reich. Mir scheint diese Furcht
auf Einbildung zu beruhen. Den ihre Einheit rühmenden
Katholiken halten die Protestanten mit Recht entgegen, die Zer¬
klüftung des Protestantismus beweise nicht Schwäche, sondern
einen geistigen Reichtum, aus dem Kraft quelle. Warum sollte das nicht auch
vom ganzen deutschen Volke gelten, das sich außer den vielen protestantischen
Denk- und Glaubensrichtungen auch noch der katholischen erfreut? Wenn
Parteihaß einen Staat zerstörte, dann brächten die Protestanten das Zerstörungs¬
werk für sich allein fertig, denn die Simplicissimusleute und die konservativen
Protestanten, die Linksliberalen und die ostelbischen "Brotverteuerer", die
Sozialdemokraten und die "Scharfmacher" hassen einander weit grimmiger als
die gläubigen Protestanten und die Katholiken. Wäre Übereinstimmung des
ganzen Volkes in einem religiösen oder religionsfeindlichen Glauben die un¬
entbehrliche Grundlage des Staates, dann gingen wir auf alle Fülle der
Politischen Auflösung entgegen, denn durch die Vernichtung des Katholizismus
würde die Fülle der Glaubensmeinungen, der metaphysischen und ethischen
Theorien noch bunter werden, als sie so schon ist. Einheit erzwingen wollen
in einer Zeit, die zu immer stärkerer Differenzierung fortschreitet, ist Utopie.
Als Ziel der konfessionellen Entwicklung sollen wir nur eine Einigung im Auge
behalten, die sich darauf beschränkt, daß die positiv gerichteten religiösen Parteien
einander gegenseitig verstehn, einander die historische und die ideelle Berechtigung


Christentum und Kirche in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

stärkt) im Nordwesten, "Cadiz, Tarifa, Algeciras im Süden, Cartagena, Valencia,
Barcelona im Osten. Dazu kommt noch Ceuta an der Küste Nordafrikas und
Mahon und Palma auf den Balearen. Portugal hat in Lissabon eine sehr
starke Zentralfestung ähnlich wie Belgien in Antwerpen und an der von
Lissabon nach Spanien führenden Eisenbahn die mit Außenwerken befestigte
Stadt Elvas. Und zum Schluß sei noch auf die als uneinnehmbar geltende
englische Felsenfeste Gibraltar hingewiesen, die jedenfalls, wenn sie auch die
Meerenge nicht durchaus sperrt, doch ebenso wie Malta ein wichtiger Stütz¬
punkt der englischen Flotte ist.

Es ist ein langer Weg, den wir durch ganz Europa zurückgelegt haben,
und diese große Menge durch das gegenseitige Mißtrauen geschaffner Festungen
und Schutzanlagen ist eigentlich ein düsteres Bild. Aber es ist auch ein Bild
großer selbständiger Macht und großen Reichtums, der sich hinter diesen Stahl¬
panzern und Wällen und Kanonen immer mehr und mehr anhäuft. Gewappnet
bis an die Zähne, trotzig einander drohend suchen die Staaten Europas nicht
den Krieg, sondern den dauernden, sichern Frieden.




Christentum und Kirche in Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft

UMn gewissen Kreisen ist die Meinung verbreitet, die konfessionelle
Spaltung gefährde das Deutsche Reich. Mir scheint diese Furcht
auf Einbildung zu beruhen. Den ihre Einheit rühmenden
Katholiken halten die Protestanten mit Recht entgegen, die Zer¬
klüftung des Protestantismus beweise nicht Schwäche, sondern
einen geistigen Reichtum, aus dem Kraft quelle. Warum sollte das nicht auch
vom ganzen deutschen Volke gelten, das sich außer den vielen protestantischen
Denk- und Glaubensrichtungen auch noch der katholischen erfreut? Wenn
Parteihaß einen Staat zerstörte, dann brächten die Protestanten das Zerstörungs¬
werk für sich allein fertig, denn die Simplicissimusleute und die konservativen
Protestanten, die Linksliberalen und die ostelbischen „Brotverteuerer", die
Sozialdemokraten und die „Scharfmacher" hassen einander weit grimmiger als
die gläubigen Protestanten und die Katholiken. Wäre Übereinstimmung des
ganzen Volkes in einem religiösen oder religionsfeindlichen Glauben die un¬
entbehrliche Grundlage des Staates, dann gingen wir auf alle Fülle der
Politischen Auflösung entgegen, denn durch die Vernichtung des Katholizismus
würde die Fülle der Glaubensmeinungen, der metaphysischen und ethischen
Theorien noch bunter werden, als sie so schon ist. Einheit erzwingen wollen
in einer Zeit, die zu immer stärkerer Differenzierung fortschreitet, ist Utopie.
Als Ziel der konfessionellen Entwicklung sollen wir nur eine Einigung im Auge
behalten, die sich darauf beschränkt, daß die positiv gerichteten religiösen Parteien
einander gegenseitig verstehn, einander die historische und die ideelle Berechtigung


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[0205] Christentum und Kirche in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stärkt) im Nordwesten, "Cadiz, Tarifa, Algeciras im Süden, Cartagena, Valencia, Barcelona im Osten. Dazu kommt noch Ceuta an der Küste Nordafrikas und Mahon und Palma auf den Balearen. Portugal hat in Lissabon eine sehr starke Zentralfestung ähnlich wie Belgien in Antwerpen und an der von Lissabon nach Spanien führenden Eisenbahn die mit Außenwerken befestigte Stadt Elvas. Und zum Schluß sei noch auf die als uneinnehmbar geltende englische Felsenfeste Gibraltar hingewiesen, die jedenfalls, wenn sie auch die Meerenge nicht durchaus sperrt, doch ebenso wie Malta ein wichtiger Stütz¬ punkt der englischen Flotte ist. Es ist ein langer Weg, den wir durch ganz Europa zurückgelegt haben, und diese große Menge durch das gegenseitige Mißtrauen geschaffner Festungen und Schutzanlagen ist eigentlich ein düsteres Bild. Aber es ist auch ein Bild großer selbständiger Macht und großen Reichtums, der sich hinter diesen Stahl¬ panzern und Wällen und Kanonen immer mehr und mehr anhäuft. Gewappnet bis an die Zähne, trotzig einander drohend suchen die Staaten Europas nicht den Krieg, sondern den dauernden, sichern Frieden. Christentum und Kirche in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft UMn gewissen Kreisen ist die Meinung verbreitet, die konfessionelle Spaltung gefährde das Deutsche Reich. Mir scheint diese Furcht auf Einbildung zu beruhen. Den ihre Einheit rühmenden Katholiken halten die Protestanten mit Recht entgegen, die Zer¬ klüftung des Protestantismus beweise nicht Schwäche, sondern einen geistigen Reichtum, aus dem Kraft quelle. Warum sollte das nicht auch vom ganzen deutschen Volke gelten, das sich außer den vielen protestantischen Denk- und Glaubensrichtungen auch noch der katholischen erfreut? Wenn Parteihaß einen Staat zerstörte, dann brächten die Protestanten das Zerstörungs¬ werk für sich allein fertig, denn die Simplicissimusleute und die konservativen Protestanten, die Linksliberalen und die ostelbischen „Brotverteuerer", die Sozialdemokraten und die „Scharfmacher" hassen einander weit grimmiger als die gläubigen Protestanten und die Katholiken. Wäre Übereinstimmung des ganzen Volkes in einem religiösen oder religionsfeindlichen Glauben die un¬ entbehrliche Grundlage des Staates, dann gingen wir auf alle Fülle der Politischen Auflösung entgegen, denn durch die Vernichtung des Katholizismus würde die Fülle der Glaubensmeinungen, der metaphysischen und ethischen Theorien noch bunter werden, als sie so schon ist. Einheit erzwingen wollen in einer Zeit, die zu immer stärkerer Differenzierung fortschreitet, ist Utopie. Als Ziel der konfessionellen Entwicklung sollen wir nur eine Einigung im Auge behalten, die sich darauf beschränkt, daß die positiv gerichteten religiösen Parteien einander gegenseitig verstehn, einander die historische und die ideelle Berechtigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/205>, abgerufen am 27.06.2024.