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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Bosnien und die Herzegowina
Max Reisten Reiseeindrücke von
(Schluß)

is Österreich-Ungarn die türkische Erbschaft in Bosnien antrat,
standen dort eine halbe Million Mohammedaner einer ganzen
Million Christen gegenüber. Die ganze Tiefe des gegen¬
seitigen Hasses geht schon daraus hervor, daß die Christen
ihre islamitischen Landsleute, die jetzt noch denselben Dialekt
sprechen, noch immer als Türken bezeichnen, während doch fast kein osmisches
Blut mehr im Lande ist. Über die historische Berechtigung dieses Hasses kann
nach dem gesagten kein Zweifel sein. Unklar und weder aus Vernunftgründen
noch aus geschichtlichen Gründen zu verstehn ist es, daß sich die 700000 griechisch¬
orientalischen und die 350000 katholischen Christen mit ähnlichen Gefühlen be¬
trachten. Das einzige, was sich darüber sagen läßt, ist, daß man kein Recht
hat, gerade in Bosnien von den verschiednen christlichen Konfessionen zu ver¬
langen, daß sie sich vertragen sollen, wenn das doch anderwärts auch nirgends
der Fall ist!

Die meisten der Griechisch-Orientalischen sind in den letzten zwei Jahr¬
hunderten aus andern türkischen Provinzen, namentlich aus dem Sandschak
Novibasnr und aus Serbien eingewandert und werden deshalb im Lande nie
anders als als Serben bezeichnet, während sie sich selbst Orthodoxe nennen.
Die Serben erfreuten sich bei den Türken womöglich eines noch großem
Maßes von Verachtung als die Katholiken, wahrscheinlich schon deshalb, weil
ihr Patriarch Untertan des Sultans war, und zweitens wegen ihrer mehr als
geringwertigen Geistlichkeit.

In dieser Beziehung standen die Katholiken, vertreten durch die Franzis¬
kaner, viel besser da. Den Franziskanern war es gelungen, noch im Jahre 1463,
im Jahre der Eroberung, von dem Sultan ein Privilegium zu bekommen, das
ihren dreizehn Klöstern mit den zugehörenden 50000 Seelen freie Religions¬
übung zusicherte. Während der ganzen türkischen Herrschaft verstanden sich
die Franziskaner mit den Machthabern zu stellen, und sogar als sie bei dem
Aufstand im Jahre 1594 schwer kompromittiert worden waren, wurde ihnen das
Privilegium zwar beschnitten aber nicht ganz entzogen. Welche Künste sie dabei
angewandt haben, weiß ich nicht, daß sie sich aber der jeweiligen Situation
anzupassen verstanden haben, war mir alsbald klar, als ich in der jetzt noch
halb mohammedanischen Stadt Jajce die beiden ersten Franziskaner im Schnurr-
bart und mit dem Fes auf dem Kopf antraf. Ich muß gestehn, daß ich beim
ersten Anblick beinahe hinausgeplatzt wäre, nachher aber sagte ich mir: Warum


Grenzboten II 1906 19


Bosnien und die Herzegowina
Max Reisten Reiseeindrücke von
(Schluß)

is Österreich-Ungarn die türkische Erbschaft in Bosnien antrat,
standen dort eine halbe Million Mohammedaner einer ganzen
Million Christen gegenüber. Die ganze Tiefe des gegen¬
seitigen Hasses geht schon daraus hervor, daß die Christen
ihre islamitischen Landsleute, die jetzt noch denselben Dialekt
sprechen, noch immer als Türken bezeichnen, während doch fast kein osmisches
Blut mehr im Lande ist. Über die historische Berechtigung dieses Hasses kann
nach dem gesagten kein Zweifel sein. Unklar und weder aus Vernunftgründen
noch aus geschichtlichen Gründen zu verstehn ist es, daß sich die 700000 griechisch¬
orientalischen und die 350000 katholischen Christen mit ähnlichen Gefühlen be¬
trachten. Das einzige, was sich darüber sagen läßt, ist, daß man kein Recht
hat, gerade in Bosnien von den verschiednen christlichen Konfessionen zu ver¬
langen, daß sie sich vertragen sollen, wenn das doch anderwärts auch nirgends
der Fall ist!

Die meisten der Griechisch-Orientalischen sind in den letzten zwei Jahr¬
hunderten aus andern türkischen Provinzen, namentlich aus dem Sandschak
Novibasnr und aus Serbien eingewandert und werden deshalb im Lande nie
anders als als Serben bezeichnet, während sie sich selbst Orthodoxe nennen.
Die Serben erfreuten sich bei den Türken womöglich eines noch großem
Maßes von Verachtung als die Katholiken, wahrscheinlich schon deshalb, weil
ihr Patriarch Untertan des Sultans war, und zweitens wegen ihrer mehr als
geringwertigen Geistlichkeit.

In dieser Beziehung standen die Katholiken, vertreten durch die Franzis¬
kaner, viel besser da. Den Franziskanern war es gelungen, noch im Jahre 1463,
im Jahre der Eroberung, von dem Sultan ein Privilegium zu bekommen, das
ihren dreizehn Klöstern mit den zugehörenden 50000 Seelen freie Religions¬
übung zusicherte. Während der ganzen türkischen Herrschaft verstanden sich
die Franziskaner mit den Machthabern zu stellen, und sogar als sie bei dem
Aufstand im Jahre 1594 schwer kompromittiert worden waren, wurde ihnen das
Privilegium zwar beschnitten aber nicht ganz entzogen. Welche Künste sie dabei
angewandt haben, weiß ich nicht, daß sie sich aber der jeweiligen Situation
anzupassen verstanden haben, war mir alsbald klar, als ich in der jetzt noch
halb mohammedanischen Stadt Jajce die beiden ersten Franziskaner im Schnurr-
bart und mit dem Fes auf dem Kopf antraf. Ich muß gestehn, daß ich beim
ersten Anblick beinahe hinausgeplatzt wäre, nachher aber sagte ich mir: Warum


Grenzboten II 1906 19
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[0155] [Abbildung] Bosnien und die Herzegowina Max Reisten Reiseeindrücke von (Schluß) is Österreich-Ungarn die türkische Erbschaft in Bosnien antrat, standen dort eine halbe Million Mohammedaner einer ganzen Million Christen gegenüber. Die ganze Tiefe des gegen¬ seitigen Hasses geht schon daraus hervor, daß die Christen ihre islamitischen Landsleute, die jetzt noch denselben Dialekt sprechen, noch immer als Türken bezeichnen, während doch fast kein osmisches Blut mehr im Lande ist. Über die historische Berechtigung dieses Hasses kann nach dem gesagten kein Zweifel sein. Unklar und weder aus Vernunftgründen noch aus geschichtlichen Gründen zu verstehn ist es, daß sich die 700000 griechisch¬ orientalischen und die 350000 katholischen Christen mit ähnlichen Gefühlen be¬ trachten. Das einzige, was sich darüber sagen läßt, ist, daß man kein Recht hat, gerade in Bosnien von den verschiednen christlichen Konfessionen zu ver¬ langen, daß sie sich vertragen sollen, wenn das doch anderwärts auch nirgends der Fall ist! Die meisten der Griechisch-Orientalischen sind in den letzten zwei Jahr¬ hunderten aus andern türkischen Provinzen, namentlich aus dem Sandschak Novibasnr und aus Serbien eingewandert und werden deshalb im Lande nie anders als als Serben bezeichnet, während sie sich selbst Orthodoxe nennen. Die Serben erfreuten sich bei den Türken womöglich eines noch großem Maßes von Verachtung als die Katholiken, wahrscheinlich schon deshalb, weil ihr Patriarch Untertan des Sultans war, und zweitens wegen ihrer mehr als geringwertigen Geistlichkeit. In dieser Beziehung standen die Katholiken, vertreten durch die Franzis¬ kaner, viel besser da. Den Franziskanern war es gelungen, noch im Jahre 1463, im Jahre der Eroberung, von dem Sultan ein Privilegium zu bekommen, das ihren dreizehn Klöstern mit den zugehörenden 50000 Seelen freie Religions¬ übung zusicherte. Während der ganzen türkischen Herrschaft verstanden sich die Franziskaner mit den Machthabern zu stellen, und sogar als sie bei dem Aufstand im Jahre 1594 schwer kompromittiert worden waren, wurde ihnen das Privilegium zwar beschnitten aber nicht ganz entzogen. Welche Künste sie dabei angewandt haben, weiß ich nicht, daß sie sich aber der jeweiligen Situation anzupassen verstanden haben, war mir alsbald klar, als ich in der jetzt noch halb mohammedanischen Stadt Jajce die beiden ersten Franziskaner im Schnurr- bart und mit dem Fes auf dem Kopf antraf. Ich muß gestehn, daß ich beim ersten Anblick beinahe hinausgeplatzt wäre, nachher aber sagte ich mir: Warum Grenzboten II 1906 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/155>, abgerufen am 26.12.2024.