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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

sehr schnell aus, denn die Großmutter gab ihr keinen Heller für die Kirmes, die
war nicht für Feste. Kleine Mädchen dürfen nicht vergnügungssüchtig sein, sagte
sie. Nur der Mele schenkte ihr ein paar Cents. Aber der Großvater! Ja frei¬
lich, der Großvater! Fintjes blasses, begehrliches Kindergesicht strahlte auf. Ja,
der kam sicher zur Kirmes heute. Der schöne, vornehme, lustige Großvater aus
dem Greisenhospiz. Aus dem breitstraßigen, reinlichen, schönen Brüssel, aus dem
großen, großen, weißen stillen Hause mit den vielen blanken Fenstern kam der.
Denn da wohnte er. Nicht wie sie, im alten Quartier des Marolles, wo es
immer schmutzig und armselig war. Er hatte es gut. Er ging immer schön schwarz
gekleidet, und bei den großartigsten Leichenbegängnissen durften er und all die
andern alten Männer aus dem Hospiz mit im Zuge gehn und bekamen noch Geld
obendrein. Der hatte es gut! Ob sie, die schmutzige kleine Kellerratte, auch einmal
im Alter in das große Weiße Haus in der vornehmen Straße kommen würde?
Und dürfte dann mit den Leichenbegängnissen gehn, dicht hinter dem Totenwagen, auf
dem die vielen weißen duftenden, herrlichen Blumenkränze lagen? O, die Kränze!
Fintje!

Ach da rief die Großmutter, nun sollte sie sicher in der rauchigen Küche
Handlangerdienste tun.

Fintje!

Ja da hilft kein sich Taubstellen und kein Sträuben, die Großmutter zwingt
sie doch. Die zwingt ja auch die großen starken Leute. Und die Großmutter
nimmt keine Rücksicht auf die Kirmes! Wenn nur der Großvater heute Nach¬
mittag --

Ja, Großmutter, ich komm, ich komm!

Eilig schoß Fintje ins Haus hinein. Da drinnen sah es aus wie an jedem
Tage. Aber Papa Toone wollte heute zur Feier der Kirmes zu dem getrockneten
Fisch noch Koekebakke gebacken haben, und die Großmutter schalt, weil Fintje nicht
schnell genug mit dem Feueranmachen in dem rauchenden Herde zustande kam.

Großmutter, glaubst du, daß er heute Nachmittag kommt, der Großvater?

Der? Ja, der wird Wohl kommen! Wo ein Vergnügen winkt, da kommt er,
der alte Loustic, der Jakke d'el Trap! So hat ers immer gehalten sein Leben
lang: wenig Arbeit und viel Vergnügen. Und so war sein Sohn Pieje, dein
Vater auch, und wenn du nicht meines Truitje Kind wärst, ich rührte wahrlich
keinen Finger um dich. Da könntest du zusehen, welches Waisenhaus dich aus
Barmherzigkeit großzöge. Der Jakke, dein Großvater, kath sicher nicht, der läßt
sich lieber selbst auf andrer Leute Kosten verpflegen, der --

Aber er schenkt mir ein Zuckerherz!

Jawohl, ein Zuckerherz! Könntest du ein Jahr lang von einem Zuckerherz
leben, du unverständiges, flatterhaftes Ding? Wer gibt dir Obdach und Nahrung?
Der feine Herr aus dem Hospiz? Nein. Die häßliche, ungute Alte, die sie die
Hexe nennen, deine Großmutter. Auf die Schönheit kommts nicht an im Leben,
sondern auf den Willen und die Tat. Mit dem Willen zwingt man die Leute,
das merke dir. nicht mit schönen Worten und schönem Gesicht. Wollte Gott, du
bliebst so häßlich, wie du jetzt bist, du rothaariger Irrwisch. Und nun marsch
vorwärts! Nun lehr die Treppe herunter. Flink, Fintje, flink. Kleine Mädchen
müssen immer arbeiten!


2

Die beiden Alten aus dem Greisenhospiz, Jakke d'el Trap und sein Freund
Jefke Blaes, gingen zur Kirmes.

Der alte d'el Trap, den sie im Hospiz Jakke des Marolles hießen, weil er
aus dem Quartier des Marolles stammte und jedem, der es hören wollte, von
diesem interessanten Heimatviertel vorschwärmte, der sprach schon seit Wochen von
der Kirmes, bei der er nicht fehlen dürfe. Die andern Alten zogen ihn auf mit
seiner Kirmes, er aber schmunzelte verschmitzt: die waren ja nur neidisch !


Im alten Brüssel

sehr schnell aus, denn die Großmutter gab ihr keinen Heller für die Kirmes, die
war nicht für Feste. Kleine Mädchen dürfen nicht vergnügungssüchtig sein, sagte
sie. Nur der Mele schenkte ihr ein paar Cents. Aber der Großvater! Ja frei¬
lich, der Großvater! Fintjes blasses, begehrliches Kindergesicht strahlte auf. Ja,
der kam sicher zur Kirmes heute. Der schöne, vornehme, lustige Großvater aus
dem Greisenhospiz. Aus dem breitstraßigen, reinlichen, schönen Brüssel, aus dem
großen, großen, weißen stillen Hause mit den vielen blanken Fenstern kam der.
Denn da wohnte er. Nicht wie sie, im alten Quartier des Marolles, wo es
immer schmutzig und armselig war. Er hatte es gut. Er ging immer schön schwarz
gekleidet, und bei den großartigsten Leichenbegängnissen durften er und all die
andern alten Männer aus dem Hospiz mit im Zuge gehn und bekamen noch Geld
obendrein. Der hatte es gut! Ob sie, die schmutzige kleine Kellerratte, auch einmal
im Alter in das große Weiße Haus in der vornehmen Straße kommen würde?
Und dürfte dann mit den Leichenbegängnissen gehn, dicht hinter dem Totenwagen, auf
dem die vielen weißen duftenden, herrlichen Blumenkränze lagen? O, die Kränze!
Fintje!

Ach da rief die Großmutter, nun sollte sie sicher in der rauchigen Küche
Handlangerdienste tun.

Fintje!

Ja da hilft kein sich Taubstellen und kein Sträuben, die Großmutter zwingt
sie doch. Die zwingt ja auch die großen starken Leute. Und die Großmutter
nimmt keine Rücksicht auf die Kirmes! Wenn nur der Großvater heute Nach¬
mittag —

Ja, Großmutter, ich komm, ich komm!

Eilig schoß Fintje ins Haus hinein. Da drinnen sah es aus wie an jedem
Tage. Aber Papa Toone wollte heute zur Feier der Kirmes zu dem getrockneten
Fisch noch Koekebakke gebacken haben, und die Großmutter schalt, weil Fintje nicht
schnell genug mit dem Feueranmachen in dem rauchenden Herde zustande kam.

Großmutter, glaubst du, daß er heute Nachmittag kommt, der Großvater?

Der? Ja, der wird Wohl kommen! Wo ein Vergnügen winkt, da kommt er,
der alte Loustic, der Jakke d'el Trap! So hat ers immer gehalten sein Leben
lang: wenig Arbeit und viel Vergnügen. Und so war sein Sohn Pieje, dein
Vater auch, und wenn du nicht meines Truitje Kind wärst, ich rührte wahrlich
keinen Finger um dich. Da könntest du zusehen, welches Waisenhaus dich aus
Barmherzigkeit großzöge. Der Jakke, dein Großvater, kath sicher nicht, der läßt
sich lieber selbst auf andrer Leute Kosten verpflegen, der —

Aber er schenkt mir ein Zuckerherz!

Jawohl, ein Zuckerherz! Könntest du ein Jahr lang von einem Zuckerherz
leben, du unverständiges, flatterhaftes Ding? Wer gibt dir Obdach und Nahrung?
Der feine Herr aus dem Hospiz? Nein. Die häßliche, ungute Alte, die sie die
Hexe nennen, deine Großmutter. Auf die Schönheit kommts nicht an im Leben,
sondern auf den Willen und die Tat. Mit dem Willen zwingt man die Leute,
das merke dir. nicht mit schönen Worten und schönem Gesicht. Wollte Gott, du
bliebst so häßlich, wie du jetzt bist, du rothaariger Irrwisch. Und nun marsch
vorwärts! Nun lehr die Treppe herunter. Flink, Fintje, flink. Kleine Mädchen
müssen immer arbeiten!


2

Die beiden Alten aus dem Greisenhospiz, Jakke d'el Trap und sein Freund
Jefke Blaes, gingen zur Kirmes.

Der alte d'el Trap, den sie im Hospiz Jakke des Marolles hießen, weil er
aus dem Quartier des Marolles stammte und jedem, der es hören wollte, von
diesem interessanten Heimatviertel vorschwärmte, der sprach schon seit Wochen von
der Kirmes, bei der er nicht fehlen dürfe. Die andern Alten zogen ihn auf mit
seiner Kirmes, er aber schmunzelte verschmitzt: die waren ja nur neidisch !


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[0059] Im alten Brüssel sehr schnell aus, denn die Großmutter gab ihr keinen Heller für die Kirmes, die war nicht für Feste. Kleine Mädchen dürfen nicht vergnügungssüchtig sein, sagte sie. Nur der Mele schenkte ihr ein paar Cents. Aber der Großvater! Ja frei¬ lich, der Großvater! Fintjes blasses, begehrliches Kindergesicht strahlte auf. Ja, der kam sicher zur Kirmes heute. Der schöne, vornehme, lustige Großvater aus dem Greisenhospiz. Aus dem breitstraßigen, reinlichen, schönen Brüssel, aus dem großen, großen, weißen stillen Hause mit den vielen blanken Fenstern kam der. Denn da wohnte er. Nicht wie sie, im alten Quartier des Marolles, wo es immer schmutzig und armselig war. Er hatte es gut. Er ging immer schön schwarz gekleidet, und bei den großartigsten Leichenbegängnissen durften er und all die andern alten Männer aus dem Hospiz mit im Zuge gehn und bekamen noch Geld obendrein. Der hatte es gut! Ob sie, die schmutzige kleine Kellerratte, auch einmal im Alter in das große Weiße Haus in der vornehmen Straße kommen würde? Und dürfte dann mit den Leichenbegängnissen gehn, dicht hinter dem Totenwagen, auf dem die vielen weißen duftenden, herrlichen Blumenkränze lagen? O, die Kränze! Fintje! Ach da rief die Großmutter, nun sollte sie sicher in der rauchigen Küche Handlangerdienste tun. Fintje! Ja da hilft kein sich Taubstellen und kein Sträuben, die Großmutter zwingt sie doch. Die zwingt ja auch die großen starken Leute. Und die Großmutter nimmt keine Rücksicht auf die Kirmes! Wenn nur der Großvater heute Nach¬ mittag — Ja, Großmutter, ich komm, ich komm! Eilig schoß Fintje ins Haus hinein. Da drinnen sah es aus wie an jedem Tage. Aber Papa Toone wollte heute zur Feier der Kirmes zu dem getrockneten Fisch noch Koekebakke gebacken haben, und die Großmutter schalt, weil Fintje nicht schnell genug mit dem Feueranmachen in dem rauchenden Herde zustande kam. Großmutter, glaubst du, daß er heute Nachmittag kommt, der Großvater? Der? Ja, der wird Wohl kommen! Wo ein Vergnügen winkt, da kommt er, der alte Loustic, der Jakke d'el Trap! So hat ers immer gehalten sein Leben lang: wenig Arbeit und viel Vergnügen. Und so war sein Sohn Pieje, dein Vater auch, und wenn du nicht meines Truitje Kind wärst, ich rührte wahrlich keinen Finger um dich. Da könntest du zusehen, welches Waisenhaus dich aus Barmherzigkeit großzöge. Der Jakke, dein Großvater, kath sicher nicht, der läßt sich lieber selbst auf andrer Leute Kosten verpflegen, der — Aber er schenkt mir ein Zuckerherz! Jawohl, ein Zuckerherz! Könntest du ein Jahr lang von einem Zuckerherz leben, du unverständiges, flatterhaftes Ding? Wer gibt dir Obdach und Nahrung? Der feine Herr aus dem Hospiz? Nein. Die häßliche, ungute Alte, die sie die Hexe nennen, deine Großmutter. Auf die Schönheit kommts nicht an im Leben, sondern auf den Willen und die Tat. Mit dem Willen zwingt man die Leute, das merke dir. nicht mit schönen Worten und schönem Gesicht. Wollte Gott, du bliebst so häßlich, wie du jetzt bist, du rothaariger Irrwisch. Und nun marsch vorwärts! Nun lehr die Treppe herunter. Flink, Fintje, flink. Kleine Mädchen müssen immer arbeiten! 2 Die beiden Alten aus dem Greisenhospiz, Jakke d'el Trap und sein Freund Jefke Blaes, gingen zur Kirmes. Der alte d'el Trap, den sie im Hospiz Jakke des Marolles hießen, weil er aus dem Quartier des Marolles stammte und jedem, der es hören wollte, von diesem interessanten Heimatviertel vorschwärmte, der sprach schon seit Wochen von der Kirmes, bei der er nicht fehlen dürfe. Die andern Alten zogen ihn auf mit seiner Kirmes, er aber schmunzelte verschmitzt: die waren ja nur neidisch !

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/59>, abgerufen am 22.12.2024.