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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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achsen nährt auf seinen 14992 Quadratkilometern vier Millionen
Einwohner, also nur um ein Drittel weniger als das territorial
fünfmal größere Bayern und dreimal mehr, als in Preußen durch¬
schnittlich auf den Quadratkilometer kommen. Seine Bevölkerung
ist nicht bloß die dichteste unter den deutschen Staaten, die Stadt¬
staaten ausgenommen, sondern sie ist die dichteste unter den europäischen Staaten
überhaupt. Ebenso steht Sachsen mit seinem jährlichen Bevölkerungszuwachs
unter den europäischen Staaten obenan. Durchquert man Sachsen auf dem
Schienenstränge, sei es von Norden nach Süden oder von Osten nach Westen,
so wird der Blick selten die letzten Häuser einer Ortschaft verlassen, ohne daß
bei einer Augenwendnng schon die ersten einer neuen Ortschaft in das Blickfeld
träten. Ortschaft reiht sich in buntem Wechsel an Ortschaft. Man wird diese
Erscheinung erklärlicher finden, wenn wir hinzufügen, daß im Laufe der letzten
Jahrzehnte im Durchschnitt jährlich für nicht weniger als zweihundert Millionen
Mark neue Gebäude in Sachsen errichtet worden sind. Vollziehn sich die Ver¬
hältnisse in derselben Weise weiter, so wird der Zeitpunkt nicht mehr fern sein,
wo Sachsen in der Tat dem Durchreisenden nahezu den Eindruck einer einzigen
großen Stadt machen wird. Dabei ist Sachsen nicht einmal vom Boden sonder-
luh bevorzugt, ja was seine klimatischen Verhältnisse anlangt, ist es infolge
der orographischen Beschaffenheit des Landes rauher, als es seine geographische
Lage veranlaßt. Und die Erklärung für diese sonst kaum ihresgleichen auf¬
weisende Erscheinung: derselbe Sachse, den man so gern als energielosen, als
kraft- und saftlosen Schwächling und Menschen von engstem geistigen Horizont
darzustellen liebt, derselbe Sachse hat es ans dem Gebiete des Erwerbslebens,
hat es auf dem Gebiete der Förderung und der vorteilhaften Ausgestaltung seiner
äußern Daseinsbedingungen durch seinen Unternehmungsgeist, durch seinen Fleiß
und seine Ausdauer fast allen andern zuvorgetan. Von den natürlichen Ver¬
hältnissen seines Landes nur wenig begünstigt, hat sich der Sachse früher und
intensiver als andre Völker ans die Pflege der Erwerbszweige geworfen, die
der Benutzung der Dampfkraft und der fabrikmäßigen Herstellung der wirt¬
schaftlichen Güter Ersatz für die menschliche Arbeitskraft wie für die unzureichende


Grenzboten I 190S 48


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achsen nährt auf seinen 14992 Quadratkilometern vier Millionen
Einwohner, also nur um ein Drittel weniger als das territorial
fünfmal größere Bayern und dreimal mehr, als in Preußen durch¬
schnittlich auf den Quadratkilometer kommen. Seine Bevölkerung
ist nicht bloß die dichteste unter den deutschen Staaten, die Stadt¬
staaten ausgenommen, sondern sie ist die dichteste unter den europäischen Staaten
überhaupt. Ebenso steht Sachsen mit seinem jährlichen Bevölkerungszuwachs
unter den europäischen Staaten obenan. Durchquert man Sachsen auf dem
Schienenstränge, sei es von Norden nach Süden oder von Osten nach Westen,
so wird der Blick selten die letzten Häuser einer Ortschaft verlassen, ohne daß
bei einer Augenwendnng schon die ersten einer neuen Ortschaft in das Blickfeld
träten. Ortschaft reiht sich in buntem Wechsel an Ortschaft. Man wird diese
Erscheinung erklärlicher finden, wenn wir hinzufügen, daß im Laufe der letzten
Jahrzehnte im Durchschnitt jährlich für nicht weniger als zweihundert Millionen
Mark neue Gebäude in Sachsen errichtet worden sind. Vollziehn sich die Ver¬
hältnisse in derselben Weise weiter, so wird der Zeitpunkt nicht mehr fern sein,
wo Sachsen in der Tat dem Durchreisenden nahezu den Eindruck einer einzigen
großen Stadt machen wird. Dabei ist Sachsen nicht einmal vom Boden sonder-
luh bevorzugt, ja was seine klimatischen Verhältnisse anlangt, ist es infolge
der orographischen Beschaffenheit des Landes rauher, als es seine geographische
Lage veranlaßt. Und die Erklärung für diese sonst kaum ihresgleichen auf¬
weisende Erscheinung: derselbe Sachse, den man so gern als energielosen, als
kraft- und saftlosen Schwächling und Menschen von engstem geistigen Horizont
darzustellen liebt, derselbe Sachse hat es ans dem Gebiete des Erwerbslebens,
hat es auf dem Gebiete der Förderung und der vorteilhaften Ausgestaltung seiner
äußern Daseinsbedingungen durch seinen Unternehmungsgeist, durch seinen Fleiß
und seine Ausdauer fast allen andern zuvorgetan. Von den natürlichen Ver¬
hältnissen seines Landes nur wenig begünstigt, hat sich der Sachse früher und
intensiver als andre Völker ans die Pflege der Erwerbszweige geworfen, die
der Benutzung der Dampfkraft und der fabrikmäßigen Herstellung der wirt¬
schaftlichen Güter Ersatz für die menschliche Arbeitskraft wie für die unzureichende


Grenzboten I 190S 48
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[0365] [Abbildung] ^axonica 3 achsen nährt auf seinen 14992 Quadratkilometern vier Millionen Einwohner, also nur um ein Drittel weniger als das territorial fünfmal größere Bayern und dreimal mehr, als in Preußen durch¬ schnittlich auf den Quadratkilometer kommen. Seine Bevölkerung ist nicht bloß die dichteste unter den deutschen Staaten, die Stadt¬ staaten ausgenommen, sondern sie ist die dichteste unter den europäischen Staaten überhaupt. Ebenso steht Sachsen mit seinem jährlichen Bevölkerungszuwachs unter den europäischen Staaten obenan. Durchquert man Sachsen auf dem Schienenstränge, sei es von Norden nach Süden oder von Osten nach Westen, so wird der Blick selten die letzten Häuser einer Ortschaft verlassen, ohne daß bei einer Augenwendnng schon die ersten einer neuen Ortschaft in das Blickfeld träten. Ortschaft reiht sich in buntem Wechsel an Ortschaft. Man wird diese Erscheinung erklärlicher finden, wenn wir hinzufügen, daß im Laufe der letzten Jahrzehnte im Durchschnitt jährlich für nicht weniger als zweihundert Millionen Mark neue Gebäude in Sachsen errichtet worden sind. Vollziehn sich die Ver¬ hältnisse in derselben Weise weiter, so wird der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, wo Sachsen in der Tat dem Durchreisenden nahezu den Eindruck einer einzigen großen Stadt machen wird. Dabei ist Sachsen nicht einmal vom Boden sonder- luh bevorzugt, ja was seine klimatischen Verhältnisse anlangt, ist es infolge der orographischen Beschaffenheit des Landes rauher, als es seine geographische Lage veranlaßt. Und die Erklärung für diese sonst kaum ihresgleichen auf¬ weisende Erscheinung: derselbe Sachse, den man so gern als energielosen, als kraft- und saftlosen Schwächling und Menschen von engstem geistigen Horizont darzustellen liebt, derselbe Sachse hat es ans dem Gebiete des Erwerbslebens, hat es auf dem Gebiete der Förderung und der vorteilhaften Ausgestaltung seiner äußern Daseinsbedingungen durch seinen Unternehmungsgeist, durch seinen Fleiß und seine Ausdauer fast allen andern zuvorgetan. Von den natürlichen Ver¬ hältnissen seines Landes nur wenig begünstigt, hat sich der Sachse früher und intensiver als andre Völker ans die Pflege der Erwerbszweige geworfen, die der Benutzung der Dampfkraft und der fabrikmäßigen Herstellung der wirt¬ schaftlichen Güter Ersatz für die menschliche Arbeitskraft wie für die unzureichende Grenzboten I 190S 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/365>, abgerufen am 23.07.2024.