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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Schriften und Gedanken zur Flottenfrage

Kampf wider Junker und Pfaffen und gegen die Armee begann, während
gerade ein großer Teil der besten Österreicher, darunter zahlreiche Deutsche,
zum erstenmal wieder Freude über Erfolge österreichischer Waffen empfand.
In hellen Haufen verließen die deutschen Abgeordneten ihren Führer Herbst,
der sich gänzlich einig mit der Presse fühlte und nur noch das Ministerium
Auersperg stürzen wollte, worin er den Pfeiler der Politik der Staatsleitung
sah, und zu dessen "parlamentarischem" Sturz er schon mit den Italienern
und später mit den Jungtschechen Verbindungen angeknüpft hatte. Das
wurde zwar in der Presse rasch wieder vertuscht, aber Herbst sah sich genötigt,
um nicht allein zu bleibe", sich selbst in den "Neuen Fortschrittsklub" auf¬
nehmen zu lassen, der eigentlich entstanden war, um sich seiner Leitung zu
entziehn. Das geschah gerade zu der Zeit, wo die siegreichen Truppen aus
Bosnien zurückkehrten. Noch einmal suchte Herbst seine Leute zusammen¬
zuraffen, und es gelang ihm auch zum Teil, da der ganze Heerbann der
Presse sein Lob predigte. Die deutsche Bevölkerung hatte freilich die unzweifel¬
hafte Empfindung, daß sich die einstige große Verfassungspartei in ein poli¬
tisches Chaos aufgelöst habe, da ihr aber jegliche Leitung durch die Presse
fehlte, und ihr keine Führer erstanden, übertrug sich die Verwirrung auch auf
die Masse der Deutschvsterreicher und wurde noch größer, als das deutsche
Ministerium Auersperg, alles parlamentarischen Halts beraubt, seine Entlassung
nehmen mußte. Aus jenen Tagen stammt die heutige deutsche Parteiver¬
wirrung, die noch kein Ende gefunden hat und keins finden kann, weil gerade
die Presse, die die hauptsächliche Schuld trug, alle Ursache hatte, sich nicht
dazu zu bekennen, und darum die größten Anstrengungen machte, die deutschen
Leser über die wirkliche Lage zu täuschen und ihre Aufmerksamkeit auf andre
Dinge zu lenken. Die Nachfolger der alten dentschliberalen Partei sehen
noch heute keinen Vorteil darin, dem deutscheu Volke eine genaue Kenntnis
der innern Politik Österreichs zu verschaffen, und auch die gelehrte Geschicht¬
schreibung hat sich aus allerlei Bedenken gescheut, in ihren Darstellungen über
die kriegerischen Ereignisse der Jahre 1859 und 1866 hinauszugehn.

(Schluß folgt)




Schriften und Gedanken zur Flottenfrage
Georg Wislicenus Besprochen von

in Laufe des letzten Jahrzehnts haben sich die Ansichten des ge¬
bildeten Deutschen über die Flottenfrage fortwährend geklärt;
dank der Tatkraft unsers Kaisers hat diese Klärung gute Früchte
getragen: die deutsche Flotte hat seitdem sowohl an Stärke wie
an Kriegsfertigkeit gute Fortschritte gemacht. Aber weil es sich
dabei zunächst darum handelte, nicht nur die Versäumnisse früherer Jahrzehnte,
sondern geradezu die seepolitischen Fehler von Jahrhunderten gut zu machen,


Schriften und Gedanken zur Flottenfrage

Kampf wider Junker und Pfaffen und gegen die Armee begann, während
gerade ein großer Teil der besten Österreicher, darunter zahlreiche Deutsche,
zum erstenmal wieder Freude über Erfolge österreichischer Waffen empfand.
In hellen Haufen verließen die deutschen Abgeordneten ihren Führer Herbst,
der sich gänzlich einig mit der Presse fühlte und nur noch das Ministerium
Auersperg stürzen wollte, worin er den Pfeiler der Politik der Staatsleitung
sah, und zu dessen „parlamentarischem" Sturz er schon mit den Italienern
und später mit den Jungtschechen Verbindungen angeknüpft hatte. Das
wurde zwar in der Presse rasch wieder vertuscht, aber Herbst sah sich genötigt,
um nicht allein zu bleibe», sich selbst in den „Neuen Fortschrittsklub" auf¬
nehmen zu lassen, der eigentlich entstanden war, um sich seiner Leitung zu
entziehn. Das geschah gerade zu der Zeit, wo die siegreichen Truppen aus
Bosnien zurückkehrten. Noch einmal suchte Herbst seine Leute zusammen¬
zuraffen, und es gelang ihm auch zum Teil, da der ganze Heerbann der
Presse sein Lob predigte. Die deutsche Bevölkerung hatte freilich die unzweifel¬
hafte Empfindung, daß sich die einstige große Verfassungspartei in ein poli¬
tisches Chaos aufgelöst habe, da ihr aber jegliche Leitung durch die Presse
fehlte, und ihr keine Führer erstanden, übertrug sich die Verwirrung auch auf
die Masse der Deutschvsterreicher und wurde noch größer, als das deutsche
Ministerium Auersperg, alles parlamentarischen Halts beraubt, seine Entlassung
nehmen mußte. Aus jenen Tagen stammt die heutige deutsche Parteiver¬
wirrung, die noch kein Ende gefunden hat und keins finden kann, weil gerade
die Presse, die die hauptsächliche Schuld trug, alle Ursache hatte, sich nicht
dazu zu bekennen, und darum die größten Anstrengungen machte, die deutschen
Leser über die wirkliche Lage zu täuschen und ihre Aufmerksamkeit auf andre
Dinge zu lenken. Die Nachfolger der alten dentschliberalen Partei sehen
noch heute keinen Vorteil darin, dem deutscheu Volke eine genaue Kenntnis
der innern Politik Österreichs zu verschaffen, und auch die gelehrte Geschicht¬
schreibung hat sich aus allerlei Bedenken gescheut, in ihren Darstellungen über
die kriegerischen Ereignisse der Jahre 1859 und 1866 hinauszugehn.

(Schluß folgt)




Schriften und Gedanken zur Flottenfrage
Georg Wislicenus Besprochen von

in Laufe des letzten Jahrzehnts haben sich die Ansichten des ge¬
bildeten Deutschen über die Flottenfrage fortwährend geklärt;
dank der Tatkraft unsers Kaisers hat diese Klärung gute Früchte
getragen: die deutsche Flotte hat seitdem sowohl an Stärke wie
an Kriegsfertigkeit gute Fortschritte gemacht. Aber weil es sich
dabei zunächst darum handelte, nicht nur die Versäumnisse früherer Jahrzehnte,
sondern geradezu die seepolitischen Fehler von Jahrhunderten gut zu machen,


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[0260] Schriften und Gedanken zur Flottenfrage Kampf wider Junker und Pfaffen und gegen die Armee begann, während gerade ein großer Teil der besten Österreicher, darunter zahlreiche Deutsche, zum erstenmal wieder Freude über Erfolge österreichischer Waffen empfand. In hellen Haufen verließen die deutschen Abgeordneten ihren Führer Herbst, der sich gänzlich einig mit der Presse fühlte und nur noch das Ministerium Auersperg stürzen wollte, worin er den Pfeiler der Politik der Staatsleitung sah, und zu dessen „parlamentarischem" Sturz er schon mit den Italienern und später mit den Jungtschechen Verbindungen angeknüpft hatte. Das wurde zwar in der Presse rasch wieder vertuscht, aber Herbst sah sich genötigt, um nicht allein zu bleibe», sich selbst in den „Neuen Fortschrittsklub" auf¬ nehmen zu lassen, der eigentlich entstanden war, um sich seiner Leitung zu entziehn. Das geschah gerade zu der Zeit, wo die siegreichen Truppen aus Bosnien zurückkehrten. Noch einmal suchte Herbst seine Leute zusammen¬ zuraffen, und es gelang ihm auch zum Teil, da der ganze Heerbann der Presse sein Lob predigte. Die deutsche Bevölkerung hatte freilich die unzweifel¬ hafte Empfindung, daß sich die einstige große Verfassungspartei in ein poli¬ tisches Chaos aufgelöst habe, da ihr aber jegliche Leitung durch die Presse fehlte, und ihr keine Führer erstanden, übertrug sich die Verwirrung auch auf die Masse der Deutschvsterreicher und wurde noch größer, als das deutsche Ministerium Auersperg, alles parlamentarischen Halts beraubt, seine Entlassung nehmen mußte. Aus jenen Tagen stammt die heutige deutsche Parteiver¬ wirrung, die noch kein Ende gefunden hat und keins finden kann, weil gerade die Presse, die die hauptsächliche Schuld trug, alle Ursache hatte, sich nicht dazu zu bekennen, und darum die größten Anstrengungen machte, die deutschen Leser über die wirkliche Lage zu täuschen und ihre Aufmerksamkeit auf andre Dinge zu lenken. Die Nachfolger der alten dentschliberalen Partei sehen noch heute keinen Vorteil darin, dem deutscheu Volke eine genaue Kenntnis der innern Politik Österreichs zu verschaffen, und auch die gelehrte Geschicht¬ schreibung hat sich aus allerlei Bedenken gescheut, in ihren Darstellungen über die kriegerischen Ereignisse der Jahre 1859 und 1866 hinauszugehn. (Schluß folgt) Schriften und Gedanken zur Flottenfrage Georg Wislicenus Besprochen von in Laufe des letzten Jahrzehnts haben sich die Ansichten des ge¬ bildeten Deutschen über die Flottenfrage fortwährend geklärt; dank der Tatkraft unsers Kaisers hat diese Klärung gute Früchte getragen: die deutsche Flotte hat seitdem sowohl an Stärke wie an Kriegsfertigkeit gute Fortschritte gemacht. Aber weil es sich dabei zunächst darum handelte, nicht nur die Versäumnisse früherer Jahrzehnte, sondern geradezu die seepolitischen Fehler von Jahrhunderten gut zu machen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/260>, abgerufen am 23.07.2024.