Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.veutschösterreichische Parteien gegen die liberale Richtung hatte seinen eigentlichen Schwerpunkt in Tirol, Daran änderte sich bis gegen Ende der siebziger Jahre wenig, und es veutschösterreichische Parteien gegen die liberale Richtung hatte seinen eigentlichen Schwerpunkt in Tirol, Daran änderte sich bis gegen Ende der siebziger Jahre wenig, und es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87737"/> <fw type="header" place="top"> veutschösterreichische Parteien</fw><lb/> <p xml:id="ID_1115" prev="#ID_1114"> gegen die liberale Richtung hatte seinen eigentlichen Schwerpunkt in Tirol,<lb/> und daher kam es auch, daß die ausschlaggebende Tiroler Gruppe, die auf<lb/> dem alttirolischen Standpunkte stand, an den alten Landesprivilegien festhielt<lb/> und zunächst für den tiroler Landtag einen größern Einfluß verlangte, als<lb/> ihm durch die Verfassung von 1867 eingeräumt worden war. Dieser tirolische<lb/> Standpunkt wurde später uuter dem Ministerium Taasfe die besondre Ursache,<lb/> warum sich die Klerikalen, so wenig sie sonst mit den föderalistischen Be¬<lb/> strebungen der Tschechen einverstanden waren, den Slawen näherten und mit<lb/> ihnen den „eisernen Ring der Rechten" bildeten, an dessen Widerstand alle<lb/> Bestrebungen der Deutschliberalen, wieder zur Herrschaft zu gelangen, scheiterten.<lb/> Ursprünglich waren die österreichischen Deutschklerikalen ebenso eifrige Zentra¬<lb/> lisier! wie die Deutschliberalen, ihr bedeutendster Kopf, der Wiener Kardinal<lb/> Rauscher, gehörte zu deu glänzendsten Verteidigern der Einheit des Kaiser-<lb/> ftaats. Unter der Geistlichkeit hatte er zwar sehr zahlreiche Gesinnungs¬<lb/> genossen, aber keine befähigten Mitstreiter. Die Nachlässigkeit, mit der von<lb/> Metternich an die Ausbildung des Klerus betrieben worden war, rächte sich,<lb/> denn die wenigen geistlichen Stimmen, die sich erhoben, waren den gewandten<lb/> Federn der Wiener Blätter nicht gewachsen; sie wurden einfach überschrien und<lb/> lächerlich gemacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1116" next="#ID_1117"> Daran änderte sich bis gegen Ende der siebziger Jahre wenig, und es<lb/> schien, als würde die Herrschaft der Deutschliberalen von ewiger Dauer sein,<lb/> obgleich der deutschen Wählerschaft weder der wirtschaftliche noch der kirchliche<lb/> Verlauf der Dinge volle Befriedigung gewährte und auch die Vernachlässigung<lb/> des nationalen Gedankens Bedenken erregte. Schon hatten sich einzelne<lb/> Klubs der Abgeordneten von der Gesamtheit der „Verfassungspartei" abge¬<lb/> trennt, doch kamen sie zu keinem Einfluß, weil sie für ihren Standpunkt keine<lb/> Unterstützung in der Presse fanden. Der eigentliche Zerfall bahnte sich erst<lb/> während der Balkanwirren an, als die Wiener und die Budapester liberale<lb/> Presse mit wahrem Fanatismus für die greuliche türkische Wirtschaft eintrat<lb/> und die Monarchie nötigen wollte, den Russen in den Arm zu fallen. Nun<lb/> lebten aber doch gute Dentschösterreicher genug, die wußten, daß die historische<lb/> Politik der Habsburgischen Monarchie der Türkei gegenüber in ruhmreichen<lb/> Tagen eine ganz entgegengesetzte Richtung eingehalten hatte, und die wieder<lb/> aufzunehmen um so mehr geraten schien, als nach dem Wiedererstehn des<lb/> deutscheu Kaisertums und der Errichtung des Königreichs Italien eine große<lb/> Politik nach Westen hin so gut wie ausgeschlossen war. In den leitenden<lb/> Kreisen war man begreiflicherweise derselben Meinung, aber die übermächtig<lb/> gewordne Presse übertönte alles und riß die Deutschliberalen zu einer Oppv-<lb/> sitionspolitik mit sich fort, die ihnen verderblich werden mußte. Als schlie߬<lb/> lich Österreich vom Berliner Kongreß das Mandat zur Okkupation Bosniens<lb/> erhalten hatte, wogegen die Deutschliberalen den heftigsten Widerstand leisteten,<lb/> brach der überspannte Bogen, um so mehr da Tisza klug genug war, seinen<lb/> Magyaren in ihrer ebenso übereifriger Türkenschwärmerei Halt zu gebieten.<lb/> Die Deutschliberalen standen gänzlich vereinzelt da, obgleich sie sich noch<lb/> immer für die Herren der Situation hielten, und ihre Presse einen wütenden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0259]
veutschösterreichische Parteien
gegen die liberale Richtung hatte seinen eigentlichen Schwerpunkt in Tirol,
und daher kam es auch, daß die ausschlaggebende Tiroler Gruppe, die auf
dem alttirolischen Standpunkte stand, an den alten Landesprivilegien festhielt
und zunächst für den tiroler Landtag einen größern Einfluß verlangte, als
ihm durch die Verfassung von 1867 eingeräumt worden war. Dieser tirolische
Standpunkt wurde später uuter dem Ministerium Taasfe die besondre Ursache,
warum sich die Klerikalen, so wenig sie sonst mit den föderalistischen Be¬
strebungen der Tschechen einverstanden waren, den Slawen näherten und mit
ihnen den „eisernen Ring der Rechten" bildeten, an dessen Widerstand alle
Bestrebungen der Deutschliberalen, wieder zur Herrschaft zu gelangen, scheiterten.
Ursprünglich waren die österreichischen Deutschklerikalen ebenso eifrige Zentra¬
lisier! wie die Deutschliberalen, ihr bedeutendster Kopf, der Wiener Kardinal
Rauscher, gehörte zu deu glänzendsten Verteidigern der Einheit des Kaiser-
ftaats. Unter der Geistlichkeit hatte er zwar sehr zahlreiche Gesinnungs¬
genossen, aber keine befähigten Mitstreiter. Die Nachlässigkeit, mit der von
Metternich an die Ausbildung des Klerus betrieben worden war, rächte sich,
denn die wenigen geistlichen Stimmen, die sich erhoben, waren den gewandten
Federn der Wiener Blätter nicht gewachsen; sie wurden einfach überschrien und
lächerlich gemacht.
Daran änderte sich bis gegen Ende der siebziger Jahre wenig, und es
schien, als würde die Herrschaft der Deutschliberalen von ewiger Dauer sein,
obgleich der deutschen Wählerschaft weder der wirtschaftliche noch der kirchliche
Verlauf der Dinge volle Befriedigung gewährte und auch die Vernachlässigung
des nationalen Gedankens Bedenken erregte. Schon hatten sich einzelne
Klubs der Abgeordneten von der Gesamtheit der „Verfassungspartei" abge¬
trennt, doch kamen sie zu keinem Einfluß, weil sie für ihren Standpunkt keine
Unterstützung in der Presse fanden. Der eigentliche Zerfall bahnte sich erst
während der Balkanwirren an, als die Wiener und die Budapester liberale
Presse mit wahrem Fanatismus für die greuliche türkische Wirtschaft eintrat
und die Monarchie nötigen wollte, den Russen in den Arm zu fallen. Nun
lebten aber doch gute Dentschösterreicher genug, die wußten, daß die historische
Politik der Habsburgischen Monarchie der Türkei gegenüber in ruhmreichen
Tagen eine ganz entgegengesetzte Richtung eingehalten hatte, und die wieder
aufzunehmen um so mehr geraten schien, als nach dem Wiedererstehn des
deutscheu Kaisertums und der Errichtung des Königreichs Italien eine große
Politik nach Westen hin so gut wie ausgeschlossen war. In den leitenden
Kreisen war man begreiflicherweise derselben Meinung, aber die übermächtig
gewordne Presse übertönte alles und riß die Deutschliberalen zu einer Oppv-
sitionspolitik mit sich fort, die ihnen verderblich werden mußte. Als schlie߬
lich Österreich vom Berliner Kongreß das Mandat zur Okkupation Bosniens
erhalten hatte, wogegen die Deutschliberalen den heftigsten Widerstand leisteten,
brach der überspannte Bogen, um so mehr da Tisza klug genug war, seinen
Magyaren in ihrer ebenso übereifriger Türkenschwärmerei Halt zu gebieten.
Die Deutschliberalen standen gänzlich vereinzelt da, obgleich sie sich noch
immer für die Herren der Situation hielten, und ihre Presse einen wütenden
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