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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Gin Kolonialprogramm
von A. Seidel
1

RA^x ZMW>eit dem Jnhre 1884 treibe" wir nun schon Kolonialpolitik. Eine
stattliche Spanne Zeit in unsrer modernen, rapide vorwärts eilenden
Weltentwicklung! Was haben wir seitdem erreicht? Die Periode
der Erwerbung schloß im großen und gauzeu mit dem Jnhre 18V0
lab. Seitdem hat die Regierung die Anfänge der Verwaltung ein¬
gerichtet, manches für die wirtschaftliche Hebung der Schutzgebiete getan, Leben
und Eigentum so gut wie möglich geschützt, hauptsächlich aber sich mit den Ein-
gebornen kriegerisch auseinandergesetzt. Erst der Araberaufstaud in Dcutschostafrikn,
später der Wahehefeldzug und kleinere Expeditionen, dann die Erhebung der
Witboihottentotten und neuerdings wieder der Aufstand der Bondelswarts und
der Hereros.

Die Ursache dieser Aufstände ist sehr einfach und ist überall dieselbe. Die
Eingebornen sind -- ohne Phrasen gesprochen -- ihres Landes und zum Teil
ihrer Freiheit beraubt, in ihren wirtschaftlichen Interessen gestört worden und
brechen los, wenn sie die ganze Größe ihres Mißgeschicks erfahren und einge¬
sehen haben und den Augenblick für günstig halten. Wie ich den Hererokrieg
vorhergesagt habe, so läßt sich weiter mit Sicherheit prophezeien, daß auch die
übrigen großen, noch nicht unterworfuen Volksstämme in den Kolonien im Laufe
der Zeit mit uns Abrechnung halten werden. Da sind noch die Ambos (Ovambv)
in Südwestafrika, die großen Jnlandstämme in Ostafrika, in Togo, besonders
aber in Kamerun usw. Kamerun wird in dieser Beziehung für uns eine be¬
sonders harte Nuß werden. Seien wir also beizeiten aus unsrer Hut!

Sogleich nach der Erwerbung der Schutzgebiete begann auch die Arbeit der
wissenschaftlichen Erforschung und andrerseits die der wirtschaftlichen Ausbeutung.
Die erste überwog zunächst für zehn bis fünfzehn Jahre, bis sich auf ihren
Schultern die praktische Erschließungsarbeit in größerm Umfange der Schutz¬
gebiete bemächtigte. Heute glauben viele Praktiker schon ganz ohne die Wissenschaft
auskommen zu können. Mit überspannten Erwartungen haben wir die Kolonien


Grenzboten II 1!)05 65


Gin Kolonialprogramm
von A. Seidel
1

RA^x ZMW>eit dem Jnhre 1884 treibe» wir nun schon Kolonialpolitik. Eine
stattliche Spanne Zeit in unsrer modernen, rapide vorwärts eilenden
Weltentwicklung! Was haben wir seitdem erreicht? Die Periode
der Erwerbung schloß im großen und gauzeu mit dem Jnhre 18V0
lab. Seitdem hat die Regierung die Anfänge der Verwaltung ein¬
gerichtet, manches für die wirtschaftliche Hebung der Schutzgebiete getan, Leben
und Eigentum so gut wie möglich geschützt, hauptsächlich aber sich mit den Ein-
gebornen kriegerisch auseinandergesetzt. Erst der Araberaufstaud in Dcutschostafrikn,
später der Wahehefeldzug und kleinere Expeditionen, dann die Erhebung der
Witboihottentotten und neuerdings wieder der Aufstand der Bondelswarts und
der Hereros.

Die Ursache dieser Aufstände ist sehr einfach und ist überall dieselbe. Die
Eingebornen sind — ohne Phrasen gesprochen — ihres Landes und zum Teil
ihrer Freiheit beraubt, in ihren wirtschaftlichen Interessen gestört worden und
brechen los, wenn sie die ganze Größe ihres Mißgeschicks erfahren und einge¬
sehen haben und den Augenblick für günstig halten. Wie ich den Hererokrieg
vorhergesagt habe, so läßt sich weiter mit Sicherheit prophezeien, daß auch die
übrigen großen, noch nicht unterworfuen Volksstämme in den Kolonien im Laufe
der Zeit mit uns Abrechnung halten werden. Da sind noch die Ambos (Ovambv)
in Südwestafrika, die großen Jnlandstämme in Ostafrika, in Togo, besonders
aber in Kamerun usw. Kamerun wird in dieser Beziehung für uns eine be¬
sonders harte Nuß werden. Seien wir also beizeiten aus unsrer Hut!

Sogleich nach der Erwerbung der Schutzgebiete begann auch die Arbeit der
wissenschaftlichen Erforschung und andrerseits die der wirtschaftlichen Ausbeutung.
Die erste überwog zunächst für zehn bis fünfzehn Jahre, bis sich auf ihren
Schultern die praktische Erschließungsarbeit in größerm Umfange der Schutz¬
gebiete bemächtigte. Heute glauben viele Praktiker schon ganz ohne die Wissenschaft
auskommen zu können. Mit überspannten Erwartungen haben wir die Kolonien


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[0517] [Abbildung] Gin Kolonialprogramm von A. Seidel 1 RA^x ZMW>eit dem Jnhre 1884 treibe» wir nun schon Kolonialpolitik. Eine stattliche Spanne Zeit in unsrer modernen, rapide vorwärts eilenden Weltentwicklung! Was haben wir seitdem erreicht? Die Periode der Erwerbung schloß im großen und gauzeu mit dem Jnhre 18V0 lab. Seitdem hat die Regierung die Anfänge der Verwaltung ein¬ gerichtet, manches für die wirtschaftliche Hebung der Schutzgebiete getan, Leben und Eigentum so gut wie möglich geschützt, hauptsächlich aber sich mit den Ein- gebornen kriegerisch auseinandergesetzt. Erst der Araberaufstaud in Dcutschostafrikn, später der Wahehefeldzug und kleinere Expeditionen, dann die Erhebung der Witboihottentotten und neuerdings wieder der Aufstand der Bondelswarts und der Hereros. Die Ursache dieser Aufstände ist sehr einfach und ist überall dieselbe. Die Eingebornen sind — ohne Phrasen gesprochen — ihres Landes und zum Teil ihrer Freiheit beraubt, in ihren wirtschaftlichen Interessen gestört worden und brechen los, wenn sie die ganze Größe ihres Mißgeschicks erfahren und einge¬ sehen haben und den Augenblick für günstig halten. Wie ich den Hererokrieg vorhergesagt habe, so läßt sich weiter mit Sicherheit prophezeien, daß auch die übrigen großen, noch nicht unterworfuen Volksstämme in den Kolonien im Laufe der Zeit mit uns Abrechnung halten werden. Da sind noch die Ambos (Ovambv) in Südwestafrika, die großen Jnlandstämme in Ostafrika, in Togo, besonders aber in Kamerun usw. Kamerun wird in dieser Beziehung für uns eine be¬ sonders harte Nuß werden. Seien wir also beizeiten aus unsrer Hut! Sogleich nach der Erwerbung der Schutzgebiete begann auch die Arbeit der wissenschaftlichen Erforschung und andrerseits die der wirtschaftlichen Ausbeutung. Die erste überwog zunächst für zehn bis fünfzehn Jahre, bis sich auf ihren Schultern die praktische Erschließungsarbeit in größerm Umfange der Schutz¬ gebiete bemächtigte. Heute glauben viele Praktiker schon ganz ohne die Wissenschaft auskommen zu können. Mit überspannten Erwartungen haben wir die Kolonien Grenzboten II 1!)05 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/517>, abgerufen am 05.02.2025.