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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Lohne

im Deutschen kein Sohn der Ätiopissa zur Sühne der gefallnen Söhne des
Titus hingeopfert wird. Dadurch als" ladet sich Titus keine berechtigte Rache
der Königin ans, während Tamora doch einigermaßen zur Blutrache be¬
rechtigt ist.

Hat nun der deutsche Bearbeiter diese Änderungen alle von sich aus vor¬
genommen, oder fand er irgendwo ein Vorbild, wobei man vor allem an ein
älteres Spiel denken wird? Die Frage bleibt darum so schwer zu entscheiden,
weil wir so gut wie nichts über Shakespeares Quellen wissen. (Vgl. darüber
die eingehende Monographie "Über Titus Andronims" von A. Schröer.
Marburg i. H., 1891. S. 19 bis 24.) Schröer kommt zu dem Ergebnis, daß
wir eine Quelle über die Fabel nicht kennen. Früher glaubte man sie in
einer Ballade, die in demselben Jahre als der älteste Druck (also 1594) ver¬
öffentlicht wurde, gefunden zu haben. Die Ballade steht auch bei Percy (in
der besten Ausgabe, die wir davou haben, die von A. Schröer, Berlin,
E. Felder, 1893. l, 159 bis 164). Doch beruht, trotz einigen Abweichungen,
die Ballade wohl ans Shakespeares Stück, während das Verhältnis bei der
Ballade <u>! >un"> tuo .Isw ol Viznies zum Kaufmann von Venedig möglicher¬
weise umgekehrt war und diese von Shakespeare benutzt wurde (abgedruckt bei
Schröer S. 150 bis 157).*)

Nach dein Gesagten ist wohl nicht anzunehmen, daß der neuaufgcfundne
Quarto für die Quellenfragcn und für das Verhältnis von Shakespeare zum
deutschen Text von Wichtigkeit sein wird. Dagegen stellt er des Dichters
Text fest und ist, wie erwähnt worden ist, neben dem Druck vom zweiten Teil
Heinrichs VI. die älteste Veröffentlichung eines Shakespearischen Dramas.

Neuerdings erfährt man aus den Zeitungen, daß die Buchhandlung vou
Sothcmn and Co. das Exemplar nach Amerika verkauft haben soll für
3000 Pfund Sterling. Leider hat sich also doch das Britische Mnscmu dieses
Unikum entgehn lassen! Hoffentlich kommt es in eine zugängliche Bücher-
sammlung!




(Lo5me
von Ivilhelm Lcicmann

uf einer Reise durch Paraguay lernte ich einmal ein Gemeinwesen
kennen, das mutete mich an wie ein Wirklichkeit gewordnes Stück
Bellamyschcr Phantasien.

Abseits von dem Schienenstrang, der von der Hauptstadt
Asuncion nach Südosten ins Innere des Landes führt, liegt zwischen
den kleinen Flüssen Capivary und Pirapv die nach sozialistischen Grundsätzen er¬
richtete englisch-australische Ackerbankolonie Cosme. Gleichberechtigung der Mit-



*) Über eine angebliche Borlage des Dichters in William Painters ?"is"v ok?IsWurs
(1SKK), Band !>, vgl. Creizenach n. n, O, S, ü und besonders Schröer a. a. O, S, 14f. und
Anmerlmlg dazu.
Lohne

im Deutschen kein Sohn der Ätiopissa zur Sühne der gefallnen Söhne des
Titus hingeopfert wird. Dadurch als» ladet sich Titus keine berechtigte Rache
der Königin ans, während Tamora doch einigermaßen zur Blutrache be¬
rechtigt ist.

Hat nun der deutsche Bearbeiter diese Änderungen alle von sich aus vor¬
genommen, oder fand er irgendwo ein Vorbild, wobei man vor allem an ein
älteres Spiel denken wird? Die Frage bleibt darum so schwer zu entscheiden,
weil wir so gut wie nichts über Shakespeares Quellen wissen. (Vgl. darüber
die eingehende Monographie „Über Titus Andronims" von A. Schröer.
Marburg i. H., 1891. S. 19 bis 24.) Schröer kommt zu dem Ergebnis, daß
wir eine Quelle über die Fabel nicht kennen. Früher glaubte man sie in
einer Ballade, die in demselben Jahre als der älteste Druck (also 1594) ver¬
öffentlicht wurde, gefunden zu haben. Die Ballade steht auch bei Percy (in
der besten Ausgabe, die wir davou haben, die von A. Schröer, Berlin,
E. Felder, 1893. l, 159 bis 164). Doch beruht, trotz einigen Abweichungen,
die Ballade wohl ans Shakespeares Stück, während das Verhältnis bei der
Ballade <u>! >un»> tuo .Isw ol Viznies zum Kaufmann von Venedig möglicher¬
weise umgekehrt war und diese von Shakespeare benutzt wurde (abgedruckt bei
Schröer S. 150 bis 157).*)

Nach dein Gesagten ist wohl nicht anzunehmen, daß der neuaufgcfundne
Quarto für die Quellenfragcn und für das Verhältnis von Shakespeare zum
deutschen Text von Wichtigkeit sein wird. Dagegen stellt er des Dichters
Text fest und ist, wie erwähnt worden ist, neben dem Druck vom zweiten Teil
Heinrichs VI. die älteste Veröffentlichung eines Shakespearischen Dramas.

Neuerdings erfährt man aus den Zeitungen, daß die Buchhandlung vou
Sothcmn and Co. das Exemplar nach Amerika verkauft haben soll für
3000 Pfund Sterling. Leider hat sich also doch das Britische Mnscmu dieses
Unikum entgehn lassen! Hoffentlich kommt es in eine zugängliche Bücher-
sammlung!




(Lo5me
von Ivilhelm Lcicmann

uf einer Reise durch Paraguay lernte ich einmal ein Gemeinwesen
kennen, das mutete mich an wie ein Wirklichkeit gewordnes Stück
Bellamyschcr Phantasien.

Abseits von dem Schienenstrang, der von der Hauptstadt
Asuncion nach Südosten ins Innere des Landes führt, liegt zwischen
den kleinen Flüssen Capivary und Pirapv die nach sozialistischen Grundsätzen er¬
richtete englisch-australische Ackerbankolonie Cosme. Gleichberechtigung der Mit-



*) Über eine angebliche Borlage des Dichters in William Painters ?»is«v ok?IsWurs
(1SKK), Band !>, vgl. Creizenach n. n, O, S, ü und besonders Schröer a. a. O, S, 14f. und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/153>, abgerufen am 05.02.2025.