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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Graf Hardenfalz -- der sagte auch, daß es ein ungewöhnlich schöner -- Hoch¬
heim er sei!

Endlich war man wieder vor der Apotheke. Es währte eine Weile, bis Stine
kam. Man hatte mehrmals klingeln müssen. Sie war im Eßzimmer bei einem fast
niedergebrannten Licht eingeschlafen und war ganz verwirrt und erschrocken auf¬
gewacht, als sie das Klingeln hörte. Als sie die Tür öffnete, wäre der Apotheker
beinahe über sie gefallen. Ein ungewöhnlich schöner Niersteiner, murmelte er vor
sich hin.

Geh hinauf, Lönberg! sagte seine Frau.

Aber das war leichter gesagt als getan; die Beine des Kanzleirats verrieten
einen entschiednen Widerwillen, die Treppe zu steigen; endlich gelangte er jedoch
mit Hilfe seiner Frau hinauf und schleppte sich weiter.

Desideria eilte in ihr Zimmer.

Helene sagte: Gute Nacht!

Fran Lönberg erwiderte: Sie müssen müde sein! und segelte majestätisch weiter.

Als Helene in ihrem Zimmer angelangt war und die Lampe angezündet hatte,
öffnete sie das Fenster.

Die Luft war ganz still, lautlos fiel der Schnee herab. Endlich war es
Winter!

Sie schloß das Fenster und ging schnell zu Bett.

Aber es währte eine ganze Weile, bis sie einschlief; das Blut war in zu
heftiger Wallung.

Und sie dachte: Wo nur Holmsted geblieben war! Sollte er meinen Scherz
mißverstanden haben? /<> .c. - , .>^ (Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel.

Das innere politische Leben Deutschlands hat in diesen letzten
Wochen und Monaten Erscheinungen gezeitigt, an denen als an der Signatur"
tsmxori8 der vaterlandsfreundliche Chronist nicht achtungslos vorübergehn darf. Es
sind nicht die Vorgänge an sich, die ja durch ihre regelmäßige Wiederkehr an Be¬
deutung nicht gerade gewinnen können, wohl aber der Charakter, den sie in diesem
Jahre angenommen haben, und der eine ernste Beachtung gebieterisch zur Pflicht
macht: der Straßburger Katholikentag, der Jenenser sozialdemokratische Parteitag
und der Mannheimer Kathedersozialistenkongreß. In Straßbnrg haben Kirche und
Zentrum vereint mit der ihnen eignen sammelnden und werbenden Kraft gearbeitet.
Diese sammelnde und werbende Kraft gehört zu den Grundzügen des katholischen
Wesens, namentlich des politisch organisierten Katholizismus. In den Vororten
Berlins reiht sich eine katholische Kirche an die andre, und in Lome, der Haupt¬
stadt unsrer Togokolonie, fanden die jetzt heimgekehrten Abgeordneten wohl eine
zweitürmige katholische Kirche mit einem Posauneubläserchor aus Negerjungen, aber
die evangelische soll erst in Angriff genommen werden, ein recht typischer Fall, wie der
Katholizismus überall in seiner propagandistischen Betdtigung dem Protestantismus
weit überlegen und voraus ist, allerdings auch bei weitem in der Opferwilligkeit
seiner Angehörigen für Kirchen- und Erziehungszwecke, ebenso für Politische. Der
Protestantismus in Deutschland vermag sich kaum kirchlich, geschweige denn politisch
zu organisieren, weil ihm die Unterordnung des Einzelnen unter die Allgemeinheit
nicht in demselben Maße eigen ist, und weil es seinen, innersten Wesen zuwider ist,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Graf Hardenfalz — der sagte auch, daß es ein ungewöhnlich schöner — Hoch¬
heim er sei!

Endlich war man wieder vor der Apotheke. Es währte eine Weile, bis Stine
kam. Man hatte mehrmals klingeln müssen. Sie war im Eßzimmer bei einem fast
niedergebrannten Licht eingeschlafen und war ganz verwirrt und erschrocken auf¬
gewacht, als sie das Klingeln hörte. Als sie die Tür öffnete, wäre der Apotheker
beinahe über sie gefallen. Ein ungewöhnlich schöner Niersteiner, murmelte er vor
sich hin.

Geh hinauf, Lönberg! sagte seine Frau.

Aber das war leichter gesagt als getan; die Beine des Kanzleirats verrieten
einen entschiednen Widerwillen, die Treppe zu steigen; endlich gelangte er jedoch
mit Hilfe seiner Frau hinauf und schleppte sich weiter.

Desideria eilte in ihr Zimmer.

Helene sagte: Gute Nacht!

Fran Lönberg erwiderte: Sie müssen müde sein! und segelte majestätisch weiter.

Als Helene in ihrem Zimmer angelangt war und die Lampe angezündet hatte,
öffnete sie das Fenster.

Die Luft war ganz still, lautlos fiel der Schnee herab. Endlich war es
Winter!

Sie schloß das Fenster und ging schnell zu Bett.

Aber es währte eine ganze Weile, bis sie einschlief; das Blut war in zu
heftiger Wallung.

Und sie dachte: Wo nur Holmsted geblieben war! Sollte er meinen Scherz
mißverstanden haben? /<> .c. - , .>^ (Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel.

Das innere politische Leben Deutschlands hat in diesen letzten
Wochen und Monaten Erscheinungen gezeitigt, an denen als an der Signatur»
tsmxori8 der vaterlandsfreundliche Chronist nicht achtungslos vorübergehn darf. Es
sind nicht die Vorgänge an sich, die ja durch ihre regelmäßige Wiederkehr an Be¬
deutung nicht gerade gewinnen können, wohl aber der Charakter, den sie in diesem
Jahre angenommen haben, und der eine ernste Beachtung gebieterisch zur Pflicht
macht: der Straßburger Katholikentag, der Jenenser sozialdemokratische Parteitag
und der Mannheimer Kathedersozialistenkongreß. In Straßbnrg haben Kirche und
Zentrum vereint mit der ihnen eignen sammelnden und werbenden Kraft gearbeitet.
Diese sammelnde und werbende Kraft gehört zu den Grundzügen des katholischen
Wesens, namentlich des politisch organisierten Katholizismus. In den Vororten
Berlins reiht sich eine katholische Kirche an die andre, und in Lome, der Haupt¬
stadt unsrer Togokolonie, fanden die jetzt heimgekehrten Abgeordneten wohl eine
zweitürmige katholische Kirche mit einem Posauneubläserchor aus Negerjungen, aber
die evangelische soll erst in Angriff genommen werden, ein recht typischer Fall, wie der
Katholizismus überall in seiner propagandistischen Betdtigung dem Protestantismus
weit überlegen und voraus ist, allerdings auch bei weitem in der Opferwilligkeit
seiner Angehörigen für Kirchen- und Erziehungszwecke, ebenso für Politische. Der
Protestantismus in Deutschland vermag sich kaum kirchlich, geschweige denn politisch
zu organisieren, weil ihm die Unterordnung des Einzelnen unter die Allgemeinheit
nicht in demselben Maße eigen ist, und weil es seinen, innersten Wesen zuwider ist,


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[0061] Maßgebliches und Unmaßgebliches Graf Hardenfalz — der sagte auch, daß es ein ungewöhnlich schöner — Hoch¬ heim er sei! Endlich war man wieder vor der Apotheke. Es währte eine Weile, bis Stine kam. Man hatte mehrmals klingeln müssen. Sie war im Eßzimmer bei einem fast niedergebrannten Licht eingeschlafen und war ganz verwirrt und erschrocken auf¬ gewacht, als sie das Klingeln hörte. Als sie die Tür öffnete, wäre der Apotheker beinahe über sie gefallen. Ein ungewöhnlich schöner Niersteiner, murmelte er vor sich hin. Geh hinauf, Lönberg! sagte seine Frau. Aber das war leichter gesagt als getan; die Beine des Kanzleirats verrieten einen entschiednen Widerwillen, die Treppe zu steigen; endlich gelangte er jedoch mit Hilfe seiner Frau hinauf und schleppte sich weiter. Desideria eilte in ihr Zimmer. Helene sagte: Gute Nacht! Fran Lönberg erwiderte: Sie müssen müde sein! und segelte majestätisch weiter. Als Helene in ihrem Zimmer angelangt war und die Lampe angezündet hatte, öffnete sie das Fenster. Die Luft war ganz still, lautlos fiel der Schnee herab. Endlich war es Winter! Sie schloß das Fenster und ging schnell zu Bett. Aber es währte eine ganze Weile, bis sie einschlief; das Blut war in zu heftiger Wallung. Und sie dachte: Wo nur Holmsted geblieben war! Sollte er meinen Scherz mißverstanden haben? /<> .c. - , .>^ (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel. Das innere politische Leben Deutschlands hat in diesen letzten Wochen und Monaten Erscheinungen gezeitigt, an denen als an der Signatur» tsmxori8 der vaterlandsfreundliche Chronist nicht achtungslos vorübergehn darf. Es sind nicht die Vorgänge an sich, die ja durch ihre regelmäßige Wiederkehr an Be¬ deutung nicht gerade gewinnen können, wohl aber der Charakter, den sie in diesem Jahre angenommen haben, und der eine ernste Beachtung gebieterisch zur Pflicht macht: der Straßburger Katholikentag, der Jenenser sozialdemokratische Parteitag und der Mannheimer Kathedersozialistenkongreß. In Straßbnrg haben Kirche und Zentrum vereint mit der ihnen eignen sammelnden und werbenden Kraft gearbeitet. Diese sammelnde und werbende Kraft gehört zu den Grundzügen des katholischen Wesens, namentlich des politisch organisierten Katholizismus. In den Vororten Berlins reiht sich eine katholische Kirche an die andre, und in Lome, der Haupt¬ stadt unsrer Togokolonie, fanden die jetzt heimgekehrten Abgeordneten wohl eine zweitürmige katholische Kirche mit einem Posauneubläserchor aus Negerjungen, aber die evangelische soll erst in Angriff genommen werden, ein recht typischer Fall, wie der Katholizismus überall in seiner propagandistischen Betdtigung dem Protestantismus weit überlegen und voraus ist, allerdings auch bei weitem in der Opferwilligkeit seiner Angehörigen für Kirchen- und Erziehungszwecke, ebenso für Politische. Der Protestantismus in Deutschland vermag sich kaum kirchlich, geschweige denn politisch zu organisieren, weil ihm die Unterordnung des Einzelnen unter die Allgemeinheit nicht in demselben Maße eigen ist, und weil es seinen, innersten Wesen zuwider ist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/61>, abgerufen am 15.01.2025.