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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Die Ästhetik als Norm der MenschimwKrdiguug

liehen Tätigkeit dieser Institute widmen, so dürften sie darin bleiben. Über¬
haupt liegt selbstverständlich dem Staate die Pflicht ob, die Klöster zu
überwachen, etwaigen Ausschreitungen entgegenzutreten und durch Handhabung
des Kouzcssionsrechts der Ausbreitung des Klosterwesens Grenzen zu ziehn.
Denn bei übermäßiger Ausbreitung schadet einerseits die Anhäufung von
Kapitalien und Grundbesitz in der Toten Hand, andrerseits der schwärmerische
und fanatische Geist, dem die Mönche und die Nonnen leicht verfallen, und
der ansteckend wirkt. Und mit vernünftiger Einschränkung wird den Orden selbst
und mittelbar der Kirche ein großer Dienst erwiesen. Denn bei übermäßiger
Ausdehnung wiederholt sich immer wieder der altbekannte Prozeß. Die von
den Mönchen gepflegte Bigotterie lockt den Gläubigen viel Geld aus der Tasche,
die Klöster werden reich, das Ordensleben wird eine Versorgung, die Frömmig¬
keit ein einträgliches und darum verlockendes Handwerk, und die Entbehrungen,
die es fordert, nimmt man hin in dem Gedanken, daß eben jeder Stand seine
Last und Plage hat. Und werden die Orden erst mächtig, dann können sich
ihre Mitglieder das Joch leicht machen, und von Plage ist keine Rede mehr.

Die evangelische Kirche hat sich der katholischen seit einiger Zeit in mehreren
Stücken angenähert, unter anderm durch das Institut der Diakonissen und
der Diakonen. Jetzt ist die Reihe an der katholischen, einen Schritt entgegen
zu tun und die lebenslänglichen Gelübde preiszugeben. Unter den Tatsachen,
die sie zu Reformen geneigter zu macheu geeignet sind, dürfte nach einigen
Jahrzehnten die Verschiebung des Zahlenverhältnisses zwischen ihren Bekennern
und deuen der andern Konfessionen den Ausschlag geben. Dank der größern
Fruchtbarkeit der Deutschen, der Angelsachsen und der meistens griechisch-katho¬
lischen Slawen werden die evangelische und die orientalische Kirche, jede einzeln,
mit ihrer Seelenzahl die römische Kirche bald eingeholt haben, die damit den
Anspruch auf den Namen Weltkirche oder katholische Kirche Kat exoelisu verliert.


I,


Die Ästhetik als Norm der Menschenwürdigung
Eduard Uönig von

en Herrschaftsbereich des ästhetischen Maßstabes hauptsächlich gegen¬
über dem der ethischen Norm in der Kulturgeschichte zu beobachten,
hat mir schon jahrelang als ein anziehendes und wichtiges Thema
vorgeschwebt. So will ich es denn jetzt wenigstens in bezug auf
solche Literaturgebiete tun, deren Studium mir am nächsten liegt.
Vielleicht findet sich später Gelegenheit, denselben Gedanken auf einem andern
Literaturgebiet zu verfolgen. Die richtige, das heißt die vergleichende und ge¬
schichtliche Losung eiues Problems kann ja überhaupt nur dann auf solide
Weise unternommen werden, wenn die einzelnen zu vergleichenden Gebiete erst
für sich selbst von dem fraglichen Standpunkt aus durchforscht worden sind.


Die Ästhetik als Norm der MenschimwKrdiguug

liehen Tätigkeit dieser Institute widmen, so dürften sie darin bleiben. Über¬
haupt liegt selbstverständlich dem Staate die Pflicht ob, die Klöster zu
überwachen, etwaigen Ausschreitungen entgegenzutreten und durch Handhabung
des Kouzcssionsrechts der Ausbreitung des Klosterwesens Grenzen zu ziehn.
Denn bei übermäßiger Ausbreitung schadet einerseits die Anhäufung von
Kapitalien und Grundbesitz in der Toten Hand, andrerseits der schwärmerische
und fanatische Geist, dem die Mönche und die Nonnen leicht verfallen, und
der ansteckend wirkt. Und mit vernünftiger Einschränkung wird den Orden selbst
und mittelbar der Kirche ein großer Dienst erwiesen. Denn bei übermäßiger
Ausdehnung wiederholt sich immer wieder der altbekannte Prozeß. Die von
den Mönchen gepflegte Bigotterie lockt den Gläubigen viel Geld aus der Tasche,
die Klöster werden reich, das Ordensleben wird eine Versorgung, die Frömmig¬
keit ein einträgliches und darum verlockendes Handwerk, und die Entbehrungen,
die es fordert, nimmt man hin in dem Gedanken, daß eben jeder Stand seine
Last und Plage hat. Und werden die Orden erst mächtig, dann können sich
ihre Mitglieder das Joch leicht machen, und von Plage ist keine Rede mehr.

Die evangelische Kirche hat sich der katholischen seit einiger Zeit in mehreren
Stücken angenähert, unter anderm durch das Institut der Diakonissen und
der Diakonen. Jetzt ist die Reihe an der katholischen, einen Schritt entgegen
zu tun und die lebenslänglichen Gelübde preiszugeben. Unter den Tatsachen,
die sie zu Reformen geneigter zu macheu geeignet sind, dürfte nach einigen
Jahrzehnten die Verschiebung des Zahlenverhältnisses zwischen ihren Bekennern
und deuen der andern Konfessionen den Ausschlag geben. Dank der größern
Fruchtbarkeit der Deutschen, der Angelsachsen und der meistens griechisch-katho¬
lischen Slawen werden die evangelische und die orientalische Kirche, jede einzeln,
mit ihrer Seelenzahl die römische Kirche bald eingeholt haben, die damit den
Anspruch auf den Namen Weltkirche oder katholische Kirche Kat exoelisu verliert.


I,


Die Ästhetik als Norm der Menschenwürdigung
Eduard Uönig von

en Herrschaftsbereich des ästhetischen Maßstabes hauptsächlich gegen¬
über dem der ethischen Norm in der Kulturgeschichte zu beobachten,
hat mir schon jahrelang als ein anziehendes und wichtiges Thema
vorgeschwebt. So will ich es denn jetzt wenigstens in bezug auf
solche Literaturgebiete tun, deren Studium mir am nächsten liegt.
Vielleicht findet sich später Gelegenheit, denselben Gedanken auf einem andern
Literaturgebiet zu verfolgen. Die richtige, das heißt die vergleichende und ge¬
schichtliche Losung eiues Problems kann ja überhaupt nur dann auf solide
Weise unternommen werden, wenn die einzelnen zu vergleichenden Gebiete erst
für sich selbst von dem fraglichen Standpunkt aus durchforscht worden sind.


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[0546] Die Ästhetik als Norm der MenschimwKrdiguug liehen Tätigkeit dieser Institute widmen, so dürften sie darin bleiben. Über¬ haupt liegt selbstverständlich dem Staate die Pflicht ob, die Klöster zu überwachen, etwaigen Ausschreitungen entgegenzutreten und durch Handhabung des Kouzcssionsrechts der Ausbreitung des Klosterwesens Grenzen zu ziehn. Denn bei übermäßiger Ausbreitung schadet einerseits die Anhäufung von Kapitalien und Grundbesitz in der Toten Hand, andrerseits der schwärmerische und fanatische Geist, dem die Mönche und die Nonnen leicht verfallen, und der ansteckend wirkt. Und mit vernünftiger Einschränkung wird den Orden selbst und mittelbar der Kirche ein großer Dienst erwiesen. Denn bei übermäßiger Ausdehnung wiederholt sich immer wieder der altbekannte Prozeß. Die von den Mönchen gepflegte Bigotterie lockt den Gläubigen viel Geld aus der Tasche, die Klöster werden reich, das Ordensleben wird eine Versorgung, die Frömmig¬ keit ein einträgliches und darum verlockendes Handwerk, und die Entbehrungen, die es fordert, nimmt man hin in dem Gedanken, daß eben jeder Stand seine Last und Plage hat. Und werden die Orden erst mächtig, dann können sich ihre Mitglieder das Joch leicht machen, und von Plage ist keine Rede mehr. Die evangelische Kirche hat sich der katholischen seit einiger Zeit in mehreren Stücken angenähert, unter anderm durch das Institut der Diakonissen und der Diakonen. Jetzt ist die Reihe an der katholischen, einen Schritt entgegen zu tun und die lebenslänglichen Gelübde preiszugeben. Unter den Tatsachen, die sie zu Reformen geneigter zu macheu geeignet sind, dürfte nach einigen Jahrzehnten die Verschiebung des Zahlenverhältnisses zwischen ihren Bekennern und deuen der andern Konfessionen den Ausschlag geben. Dank der größern Fruchtbarkeit der Deutschen, der Angelsachsen und der meistens griechisch-katho¬ lischen Slawen werden die evangelische und die orientalische Kirche, jede einzeln, mit ihrer Seelenzahl die römische Kirche bald eingeholt haben, die damit den Anspruch auf den Namen Weltkirche oder katholische Kirche Kat exoelisu verliert. I, Die Ästhetik als Norm der Menschenwürdigung Eduard Uönig von en Herrschaftsbereich des ästhetischen Maßstabes hauptsächlich gegen¬ über dem der ethischen Norm in der Kulturgeschichte zu beobachten, hat mir schon jahrelang als ein anziehendes und wichtiges Thema vorgeschwebt. So will ich es denn jetzt wenigstens in bezug auf solche Literaturgebiete tun, deren Studium mir am nächsten liegt. Vielleicht findet sich später Gelegenheit, denselben Gedanken auf einem andern Literaturgebiet zu verfolgen. Die richtige, das heißt die vergleichende und ge¬ schichtliche Losung eiues Problems kann ja überhaupt nur dann auf solide Weise unternommen werden, wenn die einzelnen zu vergleichenden Gebiete erst für sich selbst von dem fraglichen Standpunkt aus durchforscht worden sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/546>, abgerufen am 15.01.2025.