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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Ronstcmtinopolitcmische Reiseerlebnisse

Ansteckungskraft, Drei Soldaten, die dort standen, fingen, da sie ihren Oberst¬
leutnant so brav heulen sahen, ebenfalls an zu Heulen, aber ohne den rechten Takt
und Ton, und bald heulte und tanzte die halbe Zuschauerschaft nach besten Kräften
mit. Man hörte jetzt nur noch it, lau und un in wirrem Durcheinander, die
Regellosigkeit nahm überHand, und das Schauspiel artete in eine einzige wüste
Tanz- und Heulorgie aus. Doch fing nun schon die physische Kraft an zu er¬
lahmen, besonders bei den ältern Heulbrüderu. Viele leuchten und schwankten, und
der Speichel floß ihnen ans dem Munde, Dicht vor mir stand ein Kerl, den seine
beiden Nachbarn halten mußten, damit er nicht fiele; aber trotzdem warf er immer
noch den Kopf nach mir herum und schleuderte mir bei jeder Wendung ein keuchendes
du! ins Gesicht -- ein ganz unheimlicher Geselle! Zuletzt hörte sich die Sache wie
ein nachgemachter Bcchnzng an, wenn die Kinder ans der Straße "Eisenbahners"
spielen. Man stampfte mit den Füßen und schrie dazu Im, im, bu, gerade wie es
die Lokomotive macht. Das dauerte auch uoch fort währeud der nun folgenden
Tretheilungen, die an phantastischem Reiz noch weit über die modernen Gebets¬
heilungen gehn.

Eine verschleierte Fran brachte ein etwa einjähriges Kind in den Saal und
legte es auf ein Lammfell zu den Füßen des Scheiks nieder. Dieser tastete mit
dem einen Fuße, der einen leichten Lederschuh trug, auf dem Unterleibe des Kindes
herum, bis er die richtige Stelle gefunden hatte, und trat dann plötzlich mit beiden
Füßen auf den kleinen, zarten Leib, sodas; Frau Hauschild einen leichten Schreckens-
ruf ausstieß. Einen Augenblick blieb er stehn -- er muß durch die lange Übung
die Anatomie des menschlichen Leibes genau gelernt haben --, dann trat er zurück,
die Mutter hob das kranke Kind auf, er blies es an -- und es war genesen.
Dann folgten andre Kinder, die größern küßten ihm nach der Zeremonie die Hand,
zuletzt legten sich Erwachsne dem heilenden Derwisch zu Füßen, auch ein Soldat
ließ auf sich herumtreten. Der wissenschaftlich erzogne Mitteleuropäer ist geneigt,
über solche abergläubischen Torheiten die Achseln zu zucken. Es ist aber gar nicht
zu bezweifeln, daß diese heilige Tretzeremonie in vielen Fällen tatsächlich hilft.
Denn durch sie wird die stärkste Suggestion hervorgebracht, die es nur geben kann,
und der feste Glaube an Heilung ist bekanntlich schon die halbe Heilung.

Als wir endlich nach zwei guten Stunden aus dem fürchterlichen Dunste dieses
Derwischklosters herausträte" unter den Schatten der Zypressen, da schlürften wir
voll Entzücken wieder den köstlichen, würzigen Duft ein. Das, was wir soeben
gesehen hatten, wirkte aber noch lange in uns nach. Es war barbarisch, kraß, fast
fürchterlich gewesen, aber doch nicht ohne einen Zug von Großartigkeit. Ein solcher
zwei Stunden dauernder Heultanz ist eine religiöse Kraftleistung allerersten Ranges.
Allah wäre kein Gott, sondern ein Teufel, wenn er nicht gnädig herabsehen wollte
auf solch heißes Bemühen um seine Gunst.


5. Die Heimfahrt

schneller, als ich gedacht, näherten sich die Tage meines Aufenthalts in der mäch¬
tigen Bospornsstadt ihrem Ende. Mein Genosse war schon mit dem Österreichischen
Lloyd nach Athen zurückgereist, und auch für mich wurde es die höchste Zeit, um
die Abreise zu denken. Leider durfte ich nicht den großen, aber schönen Umweg über
Griechenland und Italien machen, sondern mußte auf dem kürzesten Wege mit der
Eisenbahn zurückkehren, denn mein Urlaub neigte sich ganz bedenklich zu seinem Ende.
Ich versah mich also mit Proviant für zwei Tage, darunter auch mit deutscher
Wurst von einem deutschen Fleischer, und beglich im Hotel meine Rechnung. Dellio
riet mir beim Abschied, nicht mit einer Droschke, sondern mit der Pferdebahn auf
den Bahnhof zu fahren. Der Hauat (Lastträger) des Gasthofes werde mir mein
Gepäck für zehn Piaster dorthin tragen. So geschah es. Der kleine Armenier -- er
war dem Blutbade vou 1897 entronnen -- befestigte meine Sachen an die beiden
Enden einer langen Tragstange, legte diese wie ein Joch auf seine Schultern und


Ronstcmtinopolitcmische Reiseerlebnisse

Ansteckungskraft, Drei Soldaten, die dort standen, fingen, da sie ihren Oberst¬
leutnant so brav heulen sahen, ebenfalls an zu Heulen, aber ohne den rechten Takt
und Ton, und bald heulte und tanzte die halbe Zuschauerschaft nach besten Kräften
mit. Man hörte jetzt nur noch it, lau und un in wirrem Durcheinander, die
Regellosigkeit nahm überHand, und das Schauspiel artete in eine einzige wüste
Tanz- und Heulorgie aus. Doch fing nun schon die physische Kraft an zu er¬
lahmen, besonders bei den ältern Heulbrüderu. Viele leuchten und schwankten, und
der Speichel floß ihnen ans dem Munde, Dicht vor mir stand ein Kerl, den seine
beiden Nachbarn halten mußten, damit er nicht fiele; aber trotzdem warf er immer
noch den Kopf nach mir herum und schleuderte mir bei jeder Wendung ein keuchendes
du! ins Gesicht — ein ganz unheimlicher Geselle! Zuletzt hörte sich die Sache wie
ein nachgemachter Bcchnzng an, wenn die Kinder ans der Straße „Eisenbahners"
spielen. Man stampfte mit den Füßen und schrie dazu Im, im, bu, gerade wie es
die Lokomotive macht. Das dauerte auch uoch fort währeud der nun folgenden
Tretheilungen, die an phantastischem Reiz noch weit über die modernen Gebets¬
heilungen gehn.

Eine verschleierte Fran brachte ein etwa einjähriges Kind in den Saal und
legte es auf ein Lammfell zu den Füßen des Scheiks nieder. Dieser tastete mit
dem einen Fuße, der einen leichten Lederschuh trug, auf dem Unterleibe des Kindes
herum, bis er die richtige Stelle gefunden hatte, und trat dann plötzlich mit beiden
Füßen auf den kleinen, zarten Leib, sodas; Frau Hauschild einen leichten Schreckens-
ruf ausstieß. Einen Augenblick blieb er stehn — er muß durch die lange Übung
die Anatomie des menschlichen Leibes genau gelernt haben —, dann trat er zurück,
die Mutter hob das kranke Kind auf, er blies es an — und es war genesen.
Dann folgten andre Kinder, die größern küßten ihm nach der Zeremonie die Hand,
zuletzt legten sich Erwachsne dem heilenden Derwisch zu Füßen, auch ein Soldat
ließ auf sich herumtreten. Der wissenschaftlich erzogne Mitteleuropäer ist geneigt,
über solche abergläubischen Torheiten die Achseln zu zucken. Es ist aber gar nicht
zu bezweifeln, daß diese heilige Tretzeremonie in vielen Fällen tatsächlich hilft.
Denn durch sie wird die stärkste Suggestion hervorgebracht, die es nur geben kann,
und der feste Glaube an Heilung ist bekanntlich schon die halbe Heilung.

Als wir endlich nach zwei guten Stunden aus dem fürchterlichen Dunste dieses
Derwischklosters herausträte» unter den Schatten der Zypressen, da schlürften wir
voll Entzücken wieder den köstlichen, würzigen Duft ein. Das, was wir soeben
gesehen hatten, wirkte aber noch lange in uns nach. Es war barbarisch, kraß, fast
fürchterlich gewesen, aber doch nicht ohne einen Zug von Großartigkeit. Ein solcher
zwei Stunden dauernder Heultanz ist eine religiöse Kraftleistung allerersten Ranges.
Allah wäre kein Gott, sondern ein Teufel, wenn er nicht gnädig herabsehen wollte
auf solch heißes Bemühen um seine Gunst.


5. Die Heimfahrt

schneller, als ich gedacht, näherten sich die Tage meines Aufenthalts in der mäch¬
tigen Bospornsstadt ihrem Ende. Mein Genosse war schon mit dem Österreichischen
Lloyd nach Athen zurückgereist, und auch für mich wurde es die höchste Zeit, um
die Abreise zu denken. Leider durfte ich nicht den großen, aber schönen Umweg über
Griechenland und Italien machen, sondern mußte auf dem kürzesten Wege mit der
Eisenbahn zurückkehren, denn mein Urlaub neigte sich ganz bedenklich zu seinem Ende.
Ich versah mich also mit Proviant für zwei Tage, darunter auch mit deutscher
Wurst von einem deutschen Fleischer, und beglich im Hotel meine Rechnung. Dellio
riet mir beim Abschied, nicht mit einer Droschke, sondern mit der Pferdebahn auf
den Bahnhof zu fahren. Der Hauat (Lastträger) des Gasthofes werde mir mein
Gepäck für zehn Piaster dorthin tragen. So geschah es. Der kleine Armenier — er
war dem Blutbade vou 1897 entronnen — befestigte meine Sachen an die beiden
Enden einer langen Tragstange, legte diese wie ein Joch auf seine Schultern und


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[0757] Ronstcmtinopolitcmische Reiseerlebnisse Ansteckungskraft, Drei Soldaten, die dort standen, fingen, da sie ihren Oberst¬ leutnant so brav heulen sahen, ebenfalls an zu Heulen, aber ohne den rechten Takt und Ton, und bald heulte und tanzte die halbe Zuschauerschaft nach besten Kräften mit. Man hörte jetzt nur noch it, lau und un in wirrem Durcheinander, die Regellosigkeit nahm überHand, und das Schauspiel artete in eine einzige wüste Tanz- und Heulorgie aus. Doch fing nun schon die physische Kraft an zu er¬ lahmen, besonders bei den ältern Heulbrüderu. Viele leuchten und schwankten, und der Speichel floß ihnen ans dem Munde, Dicht vor mir stand ein Kerl, den seine beiden Nachbarn halten mußten, damit er nicht fiele; aber trotzdem warf er immer noch den Kopf nach mir herum und schleuderte mir bei jeder Wendung ein keuchendes du! ins Gesicht — ein ganz unheimlicher Geselle! Zuletzt hörte sich die Sache wie ein nachgemachter Bcchnzng an, wenn die Kinder ans der Straße „Eisenbahners" spielen. Man stampfte mit den Füßen und schrie dazu Im, im, bu, gerade wie es die Lokomotive macht. Das dauerte auch uoch fort währeud der nun folgenden Tretheilungen, die an phantastischem Reiz noch weit über die modernen Gebets¬ heilungen gehn. Eine verschleierte Fran brachte ein etwa einjähriges Kind in den Saal und legte es auf ein Lammfell zu den Füßen des Scheiks nieder. Dieser tastete mit dem einen Fuße, der einen leichten Lederschuh trug, auf dem Unterleibe des Kindes herum, bis er die richtige Stelle gefunden hatte, und trat dann plötzlich mit beiden Füßen auf den kleinen, zarten Leib, sodas; Frau Hauschild einen leichten Schreckens- ruf ausstieß. Einen Augenblick blieb er stehn — er muß durch die lange Übung die Anatomie des menschlichen Leibes genau gelernt haben —, dann trat er zurück, die Mutter hob das kranke Kind auf, er blies es an — und es war genesen. Dann folgten andre Kinder, die größern küßten ihm nach der Zeremonie die Hand, zuletzt legten sich Erwachsne dem heilenden Derwisch zu Füßen, auch ein Soldat ließ auf sich herumtreten. Der wissenschaftlich erzogne Mitteleuropäer ist geneigt, über solche abergläubischen Torheiten die Achseln zu zucken. Es ist aber gar nicht zu bezweifeln, daß diese heilige Tretzeremonie in vielen Fällen tatsächlich hilft. Denn durch sie wird die stärkste Suggestion hervorgebracht, die es nur geben kann, und der feste Glaube an Heilung ist bekanntlich schon die halbe Heilung. Als wir endlich nach zwei guten Stunden aus dem fürchterlichen Dunste dieses Derwischklosters herausträte» unter den Schatten der Zypressen, da schlürften wir voll Entzücken wieder den köstlichen, würzigen Duft ein. Das, was wir soeben gesehen hatten, wirkte aber noch lange in uns nach. Es war barbarisch, kraß, fast fürchterlich gewesen, aber doch nicht ohne einen Zug von Großartigkeit. Ein solcher zwei Stunden dauernder Heultanz ist eine religiöse Kraftleistung allerersten Ranges. Allah wäre kein Gott, sondern ein Teufel, wenn er nicht gnädig herabsehen wollte auf solch heißes Bemühen um seine Gunst. 5. Die Heimfahrt schneller, als ich gedacht, näherten sich die Tage meines Aufenthalts in der mäch¬ tigen Bospornsstadt ihrem Ende. Mein Genosse war schon mit dem Österreichischen Lloyd nach Athen zurückgereist, und auch für mich wurde es die höchste Zeit, um die Abreise zu denken. Leider durfte ich nicht den großen, aber schönen Umweg über Griechenland und Italien machen, sondern mußte auf dem kürzesten Wege mit der Eisenbahn zurückkehren, denn mein Urlaub neigte sich ganz bedenklich zu seinem Ende. Ich versah mich also mit Proviant für zwei Tage, darunter auch mit deutscher Wurst von einem deutschen Fleischer, und beglich im Hotel meine Rechnung. Dellio riet mir beim Abschied, nicht mit einer Droschke, sondern mit der Pferdebahn auf den Bahnhof zu fahren. Der Hauat (Lastträger) des Gasthofes werde mir mein Gepäck für zehn Piaster dorthin tragen. So geschah es. Der kleine Armenier — er war dem Blutbade vou 1897 entronnen — befestigte meine Sachen an die beiden Enden einer langen Tragstange, legte diese wie ein Joch auf seine Schultern und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/757>, abgerufen am 26.06.2024.