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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Werke über die Sprache

den vermehrten Aufgaben gewachsen zeigen und eine leitende Stellung in
unserm öffentlichen Leben behaupten. Aber nur denn wird ein besoldeter
Beamtenstand diese Stellung einnehmen können, wenn er mit seinem in der
Regel geringen Besitze sowohl die Arbeitsgewohnheiten der untern Stände wie
den ganzen Reichtum der Bildung und die Weite der Weltanschauung vereinigt,
die in andern Ländern fast immer nur ein großes Vermögen ermöglicht. Möchte
die Zivilvcrwaltung deshalb ein wenig dem glänzenden Beispiele der Leiter des
Kriegswesens folgen, die nicht nur für die Übung ihrer Veamteu im praktischen
Dienste, sondern auch für ihre wissenschaftliche Ausbildung in immer vermehrtem
Maße Sorge tragen."




Zwei Werke über die Sprache
(Schluß)

le Beobachtung der Tiere und der Kinder zeigt uns, wie die
I Sprachlaute entstehn, und auch von einzelnen Worten läßt sich
genau nachweisen, wie sie entstanden sind. Nnturlaute, Schreie
!und Ausrufe, die ein Affekt hervorgebracht hat, sind noch heute
^WL> ein wenn auch nur sehr kleiner Bestandteil unsers Sprachschatzes:
wir nennen sie Jnterjektionen. Einen bedeutend größern Bestandteil machen
die Lautnachahmungen aus. Wundt unterscheidet Nachahmung des Lautes und
Nachahmung durch den Laut. Nicht allein Tierstimmen, sondern auch Ge¬
räusche werden nachgeahmt, durch Wörter wie klatschen, klirren, donnern. Man
dürfe sich jedoch, meint Wundt, die Sache nicht so vorstellen, als ob solche
Wörter ursprünglich zur Bezeichnung dieser Geräusche und der sie hervor¬
bringenden Tiere oder Gegenstünde erfunden worden seien. Sondern sie seien
entstanden als unwillkürliche Artikulationsbewegungen, die der wahrgenommne
Schall erzeugt habe; der dabei entstandne Laut sei eine unbeabsichtigte Neben¬
wirkung gewesen, und erst später habe sich in einzelnen Fällen der Trieb nach
Mitteilung der durch die Nachahmung entstandnen Laute zur Bezeichnung von
Vorgängen und Dingen bemächtigt. Das erste ist also die durch den Eindruck
hervorgcrufne Lautgebärde. Auf derselben Führte bewegt sich Mauthner.
"Wer im fremden Lande, dessen Sprache er nicht kennt, "groß" sagen will,
wird die Arme weit öffnen. Wer dort "klein" sagen will, wird die Handfläche
nahe zusammenbringen. Wie nun, wenn sich auch der ganze Stimmapparat
gern an der Gestikulation beteiligte? Wie, wenn Stimmritze und Mund sich
eng zusammenschlossen, also "i" sagten, um einen kleinen Raum nachzuahmen,
Stimmritze und Mund, sich weiter öffnend, "o" sagten, um großen Reinen nach¬
zuahmen? Wie, wenn das bereits eine Metapher wäre? Wenn dann der Laut
vom Raum auf die Zeit, auf Farben usw. übertragen würde?" Durch den
Laut werden Gesichtsbilder nachgeahmt; mit Wörtern wie baumeln, torkeln,
wimmeln versuchen wir den Eindruck wiederzugeben, deu eine geschaute Bewegung
auf uns gemacht hat. Auch hier ist der Sprachlaut weder beabsichtigt noch


Zwei Werke über die Sprache

den vermehrten Aufgaben gewachsen zeigen und eine leitende Stellung in
unserm öffentlichen Leben behaupten. Aber nur denn wird ein besoldeter
Beamtenstand diese Stellung einnehmen können, wenn er mit seinem in der
Regel geringen Besitze sowohl die Arbeitsgewohnheiten der untern Stände wie
den ganzen Reichtum der Bildung und die Weite der Weltanschauung vereinigt,
die in andern Ländern fast immer nur ein großes Vermögen ermöglicht. Möchte
die Zivilvcrwaltung deshalb ein wenig dem glänzenden Beispiele der Leiter des
Kriegswesens folgen, die nicht nur für die Übung ihrer Veamteu im praktischen
Dienste, sondern auch für ihre wissenschaftliche Ausbildung in immer vermehrtem
Maße Sorge tragen."




Zwei Werke über die Sprache
(Schluß)

le Beobachtung der Tiere und der Kinder zeigt uns, wie die
I Sprachlaute entstehn, und auch von einzelnen Worten läßt sich
genau nachweisen, wie sie entstanden sind. Nnturlaute, Schreie
!und Ausrufe, die ein Affekt hervorgebracht hat, sind noch heute
^WL> ein wenn auch nur sehr kleiner Bestandteil unsers Sprachschatzes:
wir nennen sie Jnterjektionen. Einen bedeutend größern Bestandteil machen
die Lautnachahmungen aus. Wundt unterscheidet Nachahmung des Lautes und
Nachahmung durch den Laut. Nicht allein Tierstimmen, sondern auch Ge¬
räusche werden nachgeahmt, durch Wörter wie klatschen, klirren, donnern. Man
dürfe sich jedoch, meint Wundt, die Sache nicht so vorstellen, als ob solche
Wörter ursprünglich zur Bezeichnung dieser Geräusche und der sie hervor¬
bringenden Tiere oder Gegenstünde erfunden worden seien. Sondern sie seien
entstanden als unwillkürliche Artikulationsbewegungen, die der wahrgenommne
Schall erzeugt habe; der dabei entstandne Laut sei eine unbeabsichtigte Neben¬
wirkung gewesen, und erst später habe sich in einzelnen Fällen der Trieb nach
Mitteilung der durch die Nachahmung entstandnen Laute zur Bezeichnung von
Vorgängen und Dingen bemächtigt. Das erste ist also die durch den Eindruck
hervorgcrufne Lautgebärde. Auf derselben Führte bewegt sich Mauthner.
„Wer im fremden Lande, dessen Sprache er nicht kennt, »groß« sagen will,
wird die Arme weit öffnen. Wer dort »klein« sagen will, wird die Handfläche
nahe zusammenbringen. Wie nun, wenn sich auch der ganze Stimmapparat
gern an der Gestikulation beteiligte? Wie, wenn Stimmritze und Mund sich
eng zusammenschlossen, also »i« sagten, um einen kleinen Raum nachzuahmen,
Stimmritze und Mund, sich weiter öffnend, »o« sagten, um großen Reinen nach¬
zuahmen? Wie, wenn das bereits eine Metapher wäre? Wenn dann der Laut
vom Raum auf die Zeit, auf Farben usw. übertragen würde?" Durch den
Laut werden Gesichtsbilder nachgeahmt; mit Wörtern wie baumeln, torkeln,
wimmeln versuchen wir den Eindruck wiederzugeben, deu eine geschaute Bewegung
auf uns gemacht hat. Auch hier ist der Sprachlaut weder beabsichtigt noch


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[0688] Zwei Werke über die Sprache den vermehrten Aufgaben gewachsen zeigen und eine leitende Stellung in unserm öffentlichen Leben behaupten. Aber nur denn wird ein besoldeter Beamtenstand diese Stellung einnehmen können, wenn er mit seinem in der Regel geringen Besitze sowohl die Arbeitsgewohnheiten der untern Stände wie den ganzen Reichtum der Bildung und die Weite der Weltanschauung vereinigt, die in andern Ländern fast immer nur ein großes Vermögen ermöglicht. Möchte die Zivilvcrwaltung deshalb ein wenig dem glänzenden Beispiele der Leiter des Kriegswesens folgen, die nicht nur für die Übung ihrer Veamteu im praktischen Dienste, sondern auch für ihre wissenschaftliche Ausbildung in immer vermehrtem Maße Sorge tragen." Zwei Werke über die Sprache (Schluß) le Beobachtung der Tiere und der Kinder zeigt uns, wie die I Sprachlaute entstehn, und auch von einzelnen Worten läßt sich genau nachweisen, wie sie entstanden sind. Nnturlaute, Schreie !und Ausrufe, die ein Affekt hervorgebracht hat, sind noch heute ^WL> ein wenn auch nur sehr kleiner Bestandteil unsers Sprachschatzes: wir nennen sie Jnterjektionen. Einen bedeutend größern Bestandteil machen die Lautnachahmungen aus. Wundt unterscheidet Nachahmung des Lautes und Nachahmung durch den Laut. Nicht allein Tierstimmen, sondern auch Ge¬ räusche werden nachgeahmt, durch Wörter wie klatschen, klirren, donnern. Man dürfe sich jedoch, meint Wundt, die Sache nicht so vorstellen, als ob solche Wörter ursprünglich zur Bezeichnung dieser Geräusche und der sie hervor¬ bringenden Tiere oder Gegenstünde erfunden worden seien. Sondern sie seien entstanden als unwillkürliche Artikulationsbewegungen, die der wahrgenommne Schall erzeugt habe; der dabei entstandne Laut sei eine unbeabsichtigte Neben¬ wirkung gewesen, und erst später habe sich in einzelnen Fällen der Trieb nach Mitteilung der durch die Nachahmung entstandnen Laute zur Bezeichnung von Vorgängen und Dingen bemächtigt. Das erste ist also die durch den Eindruck hervorgcrufne Lautgebärde. Auf derselben Führte bewegt sich Mauthner. „Wer im fremden Lande, dessen Sprache er nicht kennt, »groß« sagen will, wird die Arme weit öffnen. Wer dort »klein« sagen will, wird die Handfläche nahe zusammenbringen. Wie nun, wenn sich auch der ganze Stimmapparat gern an der Gestikulation beteiligte? Wie, wenn Stimmritze und Mund sich eng zusammenschlossen, also »i« sagten, um einen kleinen Raum nachzuahmen, Stimmritze und Mund, sich weiter öffnend, »o« sagten, um großen Reinen nach¬ zuahmen? Wie, wenn das bereits eine Metapher wäre? Wenn dann der Laut vom Raum auf die Zeit, auf Farben usw. übertragen würde?" Durch den Laut werden Gesichtsbilder nachgeahmt; mit Wörtern wie baumeln, torkeln, wimmeln versuchen wir den Eindruck wiederzugeben, deu eine geschaute Bewegung auf uns gemacht hat. Auch hier ist der Sprachlaut weder beabsichtigt noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/688>, abgerufen am 23.07.2024.