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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Die Damen auf Markby

Ich versichere Ihnen, daß ich keinen Augenblick auch nur daran gedacht habe,
ängstlich zu sein, sagte sie lächelnd.

Also das reine Komödienspiel? Er hielt ihre Hand noch in der seinigen.

Lauter Komödie! antwortete sie lustig und überlegen. Gute Nacht, Erik, und
schönen Dank für den vergnügten Abend!


2

Am nächsten Morgen bei strahlendem Sonnenschein erwachte Elu Berkel mit
dem unklaren, aber angenehmen Gefühl, daß etwas Unterhaltendes, etwas Aben¬
teuerliches -- etwas Neues! irgendwo auf sie warte. Sie kleidete sich so sorg¬
fältig wie möglich an, sah länger in den Spiegel, als es sonst ihre Gewohnheit
war, trank in majestätischer Einsamkeit drunten in dem reizenden Eßzimmer ihren
Tee -- denn Kaffee wurde zu dieser Tageszeit offenbar nicht gegeben --, schrieb
Briefe, einen nach Hause und einen an Tante Ada, und wußte, nachdem sie diesen
geschlossen hatte, durchaus nicht, was sie nun weiter tuu sollte. Wenn nur wenigstens
Monsieur Erik zuhause gewesen wäre! ... Es war doch nicht so dumm, sich mit
ihm zu unterhalten, mit diesem Monsieur Erik -- ja, viel besser, als sie sich ge¬
dacht hatte. Bis jetzt hatte sie sich einen Fabrikanten oder "Grosseur" immer dick
und feist mit englischem Kotelettebart vorgestellt, breitschultrig und . . . und . . .
ja, ganz und gar nicht wie Erik. Aber das war natürlich etwas, was ihr der
Vater weisgemacht hatte.

"Vater" war Rittmeister bei den smaaländischen Husaren gewesen; einst war
er als ein schneidiger Kerl und eine fröhliche Seele bekannt gewesen, aber Schulden
und andre Widerwärtigkeiten hatten ihn leider gezwungen, seinen Abschied zu nehmen.
Durch Protektionen -- das war damals noch möglich -- hatte er den Posten
eines Bahnhofsvorstandes an einer neuerbauten smaaländischen Eisenbahnlinie er¬
halten. Allmählich hatte er sich einigermaßen beruhigt und sich -- mit der Frau
als Sündenbock, wenn es ihm zu schwer wurde -- in sein Schicksal gefunden;
nun war er militärisch korrekt innerhalb und weniger korrekt außerhalb des
Dienstes.

Er hatte sechs Töchter, die alle, dank des Privilegiums der freien Eisenbahn¬
fahrt für die ganze Familie, eine ziemlich sorgfältige Erziehung erhielten. Eleonore
-- sie hatte in der Taufe ostentativ einen der alten Bertelschen Familiennamen
bekommen -- oder Elu, wie sie meistens genannt wurde, war die zweitälteste.
Nachdem sie die achtklnssige Schule der nächsten Landstadt absolviert hatte und durch
ein wahres Hiinmelswunder davor bewahrt worden war, ihre Augen in halbdunkeln
Eisenbahncoupes mit Aufgnbeulerneu zu verderben, hatte sie sich, solange sie noch
daheim war, ihren Unterhalt selbst erworben, indem sie der heranwachsenden weib¬
lichen Jugend der Umgegend Musikunterricht gab.

Wie sehr verabscheute sie doch Leunsjö! Die ganze zugleich resignierte und
trotzig ungeduldige Abneigung des Vaters gegen diese "Sippschaft," wie er im
Familienkreise das Eisenbahnstädtchen verächtlich zu nennen Pflegte, hatte Elu ge¬
erbt. Das rote, langweilige Bahnhofgebände, wo so wenig Platz war, daß man,
wenn man ab und zu einmal Gäste hatte, den Wartesaal zweiter Klasse als eine
Art Salon benutzen mußte; die steile, stockdunkle Treppe in das "Bureau" hin¬
unter, wo der Assistent immer pfeifend über den ewig tickenden Telegraphenapparat
gebeugt saß; der schmale Streifen Garten den Schienenweg entlang, der vo)i der
Landstraße und dem Bahnsteig zugleich übersehe" werden konnte, und der so nichts¬
sagend langweilig und philisterhaft war, wie es gewiß keinen zweiten mehr gab;
die Hauptstraße mit ihren grünen und gelben zweistöckigen, neugebcmtcn, gleich¬
mäßigen Holzhäusern mit unangestrichnen Veranden und Möbeln aus der nächsten
Möbelfabrik; das "Hotel Anderson," wo die Reisenden Abends um elf Uhr an¬
kamen und am nächsten Morgen um sechs Uhr wieder abreisten -- es war noch
nie dagewesen, daß jemand länger geblieben wäre! alles das verabscheute sie von


Die Damen auf Markby

Ich versichere Ihnen, daß ich keinen Augenblick auch nur daran gedacht habe,
ängstlich zu sein, sagte sie lächelnd.

Also das reine Komödienspiel? Er hielt ihre Hand noch in der seinigen.

Lauter Komödie! antwortete sie lustig und überlegen. Gute Nacht, Erik, und
schönen Dank für den vergnügten Abend!


2

Am nächsten Morgen bei strahlendem Sonnenschein erwachte Elu Berkel mit
dem unklaren, aber angenehmen Gefühl, daß etwas Unterhaltendes, etwas Aben¬
teuerliches — etwas Neues! irgendwo auf sie warte. Sie kleidete sich so sorg¬
fältig wie möglich an, sah länger in den Spiegel, als es sonst ihre Gewohnheit
war, trank in majestätischer Einsamkeit drunten in dem reizenden Eßzimmer ihren
Tee — denn Kaffee wurde zu dieser Tageszeit offenbar nicht gegeben —, schrieb
Briefe, einen nach Hause und einen an Tante Ada, und wußte, nachdem sie diesen
geschlossen hatte, durchaus nicht, was sie nun weiter tuu sollte. Wenn nur wenigstens
Monsieur Erik zuhause gewesen wäre! ... Es war doch nicht so dumm, sich mit
ihm zu unterhalten, mit diesem Monsieur Erik — ja, viel besser, als sie sich ge¬
dacht hatte. Bis jetzt hatte sie sich einen Fabrikanten oder „Grosseur" immer dick
und feist mit englischem Kotelettebart vorgestellt, breitschultrig und . . . und . . .
ja, ganz und gar nicht wie Erik. Aber das war natürlich etwas, was ihr der
Vater weisgemacht hatte.

„Vater" war Rittmeister bei den smaaländischen Husaren gewesen; einst war
er als ein schneidiger Kerl und eine fröhliche Seele bekannt gewesen, aber Schulden
und andre Widerwärtigkeiten hatten ihn leider gezwungen, seinen Abschied zu nehmen.
Durch Protektionen — das war damals noch möglich — hatte er den Posten
eines Bahnhofsvorstandes an einer neuerbauten smaaländischen Eisenbahnlinie er¬
halten. Allmählich hatte er sich einigermaßen beruhigt und sich — mit der Frau
als Sündenbock, wenn es ihm zu schwer wurde — in sein Schicksal gefunden;
nun war er militärisch korrekt innerhalb und weniger korrekt außerhalb des
Dienstes.

Er hatte sechs Töchter, die alle, dank des Privilegiums der freien Eisenbahn¬
fahrt für die ganze Familie, eine ziemlich sorgfältige Erziehung erhielten. Eleonore
— sie hatte in der Taufe ostentativ einen der alten Bertelschen Familiennamen
bekommen — oder Elu, wie sie meistens genannt wurde, war die zweitälteste.
Nachdem sie die achtklnssige Schule der nächsten Landstadt absolviert hatte und durch
ein wahres Hiinmelswunder davor bewahrt worden war, ihre Augen in halbdunkeln
Eisenbahncoupes mit Aufgnbeulerneu zu verderben, hatte sie sich, solange sie noch
daheim war, ihren Unterhalt selbst erworben, indem sie der heranwachsenden weib¬
lichen Jugend der Umgegend Musikunterricht gab.

Wie sehr verabscheute sie doch Leunsjö! Die ganze zugleich resignierte und
trotzig ungeduldige Abneigung des Vaters gegen diese „Sippschaft," wie er im
Familienkreise das Eisenbahnstädtchen verächtlich zu nennen Pflegte, hatte Elu ge¬
erbt. Das rote, langweilige Bahnhofgebände, wo so wenig Platz war, daß man,
wenn man ab und zu einmal Gäste hatte, den Wartesaal zweiter Klasse als eine
Art Salon benutzen mußte; die steile, stockdunkle Treppe in das „Bureau" hin¬
unter, wo der Assistent immer pfeifend über den ewig tickenden Telegraphenapparat
gebeugt saß; der schmale Streifen Garten den Schienenweg entlang, der vo)i der
Landstraße und dem Bahnsteig zugleich übersehe» werden konnte, und der so nichts¬
sagend langweilig und philisterhaft war, wie es gewiß keinen zweiten mehr gab;
die Hauptstraße mit ihren grünen und gelben zweistöckigen, neugebcmtcn, gleich¬
mäßigen Holzhäusern mit unangestrichnen Veranden und Möbeln aus der nächsten
Möbelfabrik; das „Hotel Anderson," wo die Reisenden Abends um elf Uhr an¬
kamen und am nächsten Morgen um sechs Uhr wieder abreisten — es war noch
nie dagewesen, daß jemand länger geblieben wäre! alles das verabscheute sie von


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[0055] Die Damen auf Markby Ich versichere Ihnen, daß ich keinen Augenblick auch nur daran gedacht habe, ängstlich zu sein, sagte sie lächelnd. Also das reine Komödienspiel? Er hielt ihre Hand noch in der seinigen. Lauter Komödie! antwortete sie lustig und überlegen. Gute Nacht, Erik, und schönen Dank für den vergnügten Abend! 2 Am nächsten Morgen bei strahlendem Sonnenschein erwachte Elu Berkel mit dem unklaren, aber angenehmen Gefühl, daß etwas Unterhaltendes, etwas Aben¬ teuerliches — etwas Neues! irgendwo auf sie warte. Sie kleidete sich so sorg¬ fältig wie möglich an, sah länger in den Spiegel, als es sonst ihre Gewohnheit war, trank in majestätischer Einsamkeit drunten in dem reizenden Eßzimmer ihren Tee — denn Kaffee wurde zu dieser Tageszeit offenbar nicht gegeben —, schrieb Briefe, einen nach Hause und einen an Tante Ada, und wußte, nachdem sie diesen geschlossen hatte, durchaus nicht, was sie nun weiter tuu sollte. Wenn nur wenigstens Monsieur Erik zuhause gewesen wäre! ... Es war doch nicht so dumm, sich mit ihm zu unterhalten, mit diesem Monsieur Erik — ja, viel besser, als sie sich ge¬ dacht hatte. Bis jetzt hatte sie sich einen Fabrikanten oder „Grosseur" immer dick und feist mit englischem Kotelettebart vorgestellt, breitschultrig und . . . und . . . ja, ganz und gar nicht wie Erik. Aber das war natürlich etwas, was ihr der Vater weisgemacht hatte. „Vater" war Rittmeister bei den smaaländischen Husaren gewesen; einst war er als ein schneidiger Kerl und eine fröhliche Seele bekannt gewesen, aber Schulden und andre Widerwärtigkeiten hatten ihn leider gezwungen, seinen Abschied zu nehmen. Durch Protektionen — das war damals noch möglich — hatte er den Posten eines Bahnhofsvorstandes an einer neuerbauten smaaländischen Eisenbahnlinie er¬ halten. Allmählich hatte er sich einigermaßen beruhigt und sich — mit der Frau als Sündenbock, wenn es ihm zu schwer wurde — in sein Schicksal gefunden; nun war er militärisch korrekt innerhalb und weniger korrekt außerhalb des Dienstes. Er hatte sechs Töchter, die alle, dank des Privilegiums der freien Eisenbahn¬ fahrt für die ganze Familie, eine ziemlich sorgfältige Erziehung erhielten. Eleonore — sie hatte in der Taufe ostentativ einen der alten Bertelschen Familiennamen bekommen — oder Elu, wie sie meistens genannt wurde, war die zweitälteste. Nachdem sie die achtklnssige Schule der nächsten Landstadt absolviert hatte und durch ein wahres Hiinmelswunder davor bewahrt worden war, ihre Augen in halbdunkeln Eisenbahncoupes mit Aufgnbeulerneu zu verderben, hatte sie sich, solange sie noch daheim war, ihren Unterhalt selbst erworben, indem sie der heranwachsenden weib¬ lichen Jugend der Umgegend Musikunterricht gab. Wie sehr verabscheute sie doch Leunsjö! Die ganze zugleich resignierte und trotzig ungeduldige Abneigung des Vaters gegen diese „Sippschaft," wie er im Familienkreise das Eisenbahnstädtchen verächtlich zu nennen Pflegte, hatte Elu ge¬ erbt. Das rote, langweilige Bahnhofgebände, wo so wenig Platz war, daß man, wenn man ab und zu einmal Gäste hatte, den Wartesaal zweiter Klasse als eine Art Salon benutzen mußte; die steile, stockdunkle Treppe in das „Bureau" hin¬ unter, wo der Assistent immer pfeifend über den ewig tickenden Telegraphenapparat gebeugt saß; der schmale Streifen Garten den Schienenweg entlang, der vo)i der Landstraße und dem Bahnsteig zugleich übersehe» werden konnte, und der so nichts¬ sagend langweilig und philisterhaft war, wie es gewiß keinen zweiten mehr gab; die Hauptstraße mit ihren grünen und gelben zweistöckigen, neugebcmtcn, gleich¬ mäßigen Holzhäusern mit unangestrichnen Veranden und Möbeln aus der nächsten Möbelfabrik; das „Hotel Anderson," wo die Reisenden Abends um elf Uhr an¬ kamen und am nächsten Morgen um sechs Uhr wieder abreisten — es war noch nie dagewesen, daß jemand länger geblieben wäre! alles das verabscheute sie von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/55>, abgerufen am 26.06.2024.