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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Uonstantinopolitanische Reiseerlebnisse

gewickelt War, herunter, dann löste sich natürlich auch der augechloroformierte Kautschuk-
lappeu ab, und die Wunde war so fast jeden Morgen offen, ein böser Zustand I
Ich ließ mich dann auf der Rückreise in Budapest, Wien und Dresden verbinden
und wurde in der Heimat, wo ich das Bein schonte und sogar hoch legte -- sogar
beim Unterricht lag es auf einer eigens dazu hingestellten Kiste und schlief dort
häufig in unangenehmster Weise ein --, doch erst nach drei Wochen aus der ärzt¬
lichen Behandlung entlassen. So nachhaltig ist die Tücke des "trojanischen Pferdes"!


2. Die Atadt Aonstantinopel

Das erste, was dem Fremden am ersten vollen Tage seines Aufenthalts in
Konstantinopel zu tun obliegt, ist die Besteigung des Galataturms, der schou
um 500 nach Christo gebaut wurde, dann den in Galata ansässigen Genuesen als
Mittelpunkt ihrer Befestigungen diente und jetzt die Feuerwache beherbergt, die durch
Flaggen am Tage, durch Laternen in der Nacht den Ausbruch einer Feuersbrunst
anzuzeigen hat. ' Man steigt acht Treppen in die Höhe und gelaugt in einen ge¬
räumigen runden Saal, wo einem die Feuerwächter Kaffee und Tabak anbieten und
auf einen Holzkasten für das Trinkgeld hinweisen. Man tut jedoch gut, hier nicht
zu verweilen, sondern noch eine Wendeltreppe hinaufzusteigen in eine zweite, etwas
eingerückte Etage. Hier ist man etwa 150 Meter über dem Meer und kann durch
vierzehn Bogenfenster die Rundsicht genießen.

Am Morgen des nächsten Tages versammelte sich hier so ziemlich unsre ganze
archäologische Reisegesellschaft. Die Sonne schien herrlich, und das prachtvolle Bild
zu unsern Füßen fesselte viele von uns bis gegen Mittag. Mit dem Panorama
vom Galataturm kann man höchstens das vom seligen Markusturm in Venedig
vergleichen. Beide bieten oder boten ein großartiges Städte- und Wasserbild. Aber
die Aussicht vom Galataturm ist der vom venezianischen Campanile überlegen, weil
sie reicher, vielseitiger, abwechslungsvoller ist. Vom Markusturm sah man weite
Lagunen, flache gelbe Inseln, Kanäle und unmittelbar sich zu Füßen die Dächer
der Stadt, hier dagegen werden die dreifach verzweigten Wasserflächen des Goldner
Horns, des Bosporus und des Marmarameers umkränzt von langgezognen Berg- und
Hügellinien, an deren Hängen sich freundliche Ortschaften und Landhäuser, liebliche
Gärten und ernste Friedhöfe hinziehn, während sich jenseits des blauen Meeres¬
arms Stcunbul in seiner ganzen Ausdehnung unsern Blicken darbietet, und zwar
nicht tellerflach wie Venedig, sondern hügelausteigend. Über dieser riesigen, von
grünen Bcmmoaseu unterbrochner Häusermasse erheben sich Kuppeln und Minarets,
Türme und Aquädukte, hinter ihr schimmert gleich einem blauen Streifen das
Marmarameer. und darüber am Horizont verdämmern die Berge der Prinzeninseln
und des asiatischen Festlandes.

Die Perle in diesem reichen Kranze der Schönheit und zugleich der Mittel-
Punkt des ganzen Bildes ist die Halbinsel, die der Serail mit seinen dunkeln
Gärten, weißen Palästen und kuppelverzierten Lusthäusern bedeckt. Seltsam mutet
in diesem Bilde nur ein Gebäude an, ein Turm auf der Spitze des Serails, der
genau so aussieht wie ein deutscher Dorfkirchturm, unten viereckig und weiß, mit
länglichen, Schalllöchern gleichenden Öffnungen, oben spitz zugehend und mit dunkelm
Schiefer gedeckt. Von niemand, auch von keinem Reisebuche, habe ich die eigent¬
liche Bestimmung dieses Turmes erfahren können. Vermutlich dient er jetzt den
kaiserlichen Witwen, deren Haus unmittelbar neben ihm steht, als Aussichtsturm.
Rein ästhetisch ist dieser Turm durchaus nicht unschön, aber die fatale, hier so un¬
passende und sich doch mit Gewalt aufdrängende Bergleichung war mir -- das
kann ich nicht leugnen -- störend.

Und welches reiche Leben pulsiert auf dem Grunde dieses Panoramas! Zwei
große Brücken spannen sich über den Meeresarm; sie wimmeln von Menschen,
ebenso wie die engen Straßen Galatas, in die wir unmittelbar hinunterschauen.
Auf dem langgedehnten Goldhorn, einem der nllerschönsten Häfen der Welt, liegt


Grenzboten IV 1904 70
Uonstantinopolitanische Reiseerlebnisse

gewickelt War, herunter, dann löste sich natürlich auch der augechloroformierte Kautschuk-
lappeu ab, und die Wunde war so fast jeden Morgen offen, ein böser Zustand I
Ich ließ mich dann auf der Rückreise in Budapest, Wien und Dresden verbinden
und wurde in der Heimat, wo ich das Bein schonte und sogar hoch legte — sogar
beim Unterricht lag es auf einer eigens dazu hingestellten Kiste und schlief dort
häufig in unangenehmster Weise ein —, doch erst nach drei Wochen aus der ärzt¬
lichen Behandlung entlassen. So nachhaltig ist die Tücke des „trojanischen Pferdes"!


2. Die Atadt Aonstantinopel

Das erste, was dem Fremden am ersten vollen Tage seines Aufenthalts in
Konstantinopel zu tun obliegt, ist die Besteigung des Galataturms, der schou
um 500 nach Christo gebaut wurde, dann den in Galata ansässigen Genuesen als
Mittelpunkt ihrer Befestigungen diente und jetzt die Feuerwache beherbergt, die durch
Flaggen am Tage, durch Laternen in der Nacht den Ausbruch einer Feuersbrunst
anzuzeigen hat. ' Man steigt acht Treppen in die Höhe und gelaugt in einen ge¬
räumigen runden Saal, wo einem die Feuerwächter Kaffee und Tabak anbieten und
auf einen Holzkasten für das Trinkgeld hinweisen. Man tut jedoch gut, hier nicht
zu verweilen, sondern noch eine Wendeltreppe hinaufzusteigen in eine zweite, etwas
eingerückte Etage. Hier ist man etwa 150 Meter über dem Meer und kann durch
vierzehn Bogenfenster die Rundsicht genießen.

Am Morgen des nächsten Tages versammelte sich hier so ziemlich unsre ganze
archäologische Reisegesellschaft. Die Sonne schien herrlich, und das prachtvolle Bild
zu unsern Füßen fesselte viele von uns bis gegen Mittag. Mit dem Panorama
vom Galataturm kann man höchstens das vom seligen Markusturm in Venedig
vergleichen. Beide bieten oder boten ein großartiges Städte- und Wasserbild. Aber
die Aussicht vom Galataturm ist der vom venezianischen Campanile überlegen, weil
sie reicher, vielseitiger, abwechslungsvoller ist. Vom Markusturm sah man weite
Lagunen, flache gelbe Inseln, Kanäle und unmittelbar sich zu Füßen die Dächer
der Stadt, hier dagegen werden die dreifach verzweigten Wasserflächen des Goldner
Horns, des Bosporus und des Marmarameers umkränzt von langgezognen Berg- und
Hügellinien, an deren Hängen sich freundliche Ortschaften und Landhäuser, liebliche
Gärten und ernste Friedhöfe hinziehn, während sich jenseits des blauen Meeres¬
arms Stcunbul in seiner ganzen Ausdehnung unsern Blicken darbietet, und zwar
nicht tellerflach wie Venedig, sondern hügelausteigend. Über dieser riesigen, von
grünen Bcmmoaseu unterbrochner Häusermasse erheben sich Kuppeln und Minarets,
Türme und Aquädukte, hinter ihr schimmert gleich einem blauen Streifen das
Marmarameer. und darüber am Horizont verdämmern die Berge der Prinzeninseln
und des asiatischen Festlandes.

Die Perle in diesem reichen Kranze der Schönheit und zugleich der Mittel-
Punkt des ganzen Bildes ist die Halbinsel, die der Serail mit seinen dunkeln
Gärten, weißen Palästen und kuppelverzierten Lusthäusern bedeckt. Seltsam mutet
in diesem Bilde nur ein Gebäude an, ein Turm auf der Spitze des Serails, der
genau so aussieht wie ein deutscher Dorfkirchturm, unten viereckig und weiß, mit
länglichen, Schalllöchern gleichenden Öffnungen, oben spitz zugehend und mit dunkelm
Schiefer gedeckt. Von niemand, auch von keinem Reisebuche, habe ich die eigent¬
liche Bestimmung dieses Turmes erfahren können. Vermutlich dient er jetzt den
kaiserlichen Witwen, deren Haus unmittelbar neben ihm steht, als Aussichtsturm.
Rein ästhetisch ist dieser Turm durchaus nicht unschön, aber die fatale, hier so un¬
passende und sich doch mit Gewalt aufdrängende Bergleichung war mir — das
kann ich nicht leugnen — störend.

Und welches reiche Leben pulsiert auf dem Grunde dieses Panoramas! Zwei
große Brücken spannen sich über den Meeresarm; sie wimmeln von Menschen,
ebenso wie die engen Straßen Galatas, in die wir unmittelbar hinunterschauen.
Auf dem langgedehnten Goldhorn, einem der nllerschönsten Häfen der Welt, liegt


Grenzboten IV 1904 70
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[0521] Uonstantinopolitanische Reiseerlebnisse gewickelt War, herunter, dann löste sich natürlich auch der augechloroformierte Kautschuk- lappeu ab, und die Wunde war so fast jeden Morgen offen, ein böser Zustand I Ich ließ mich dann auf der Rückreise in Budapest, Wien und Dresden verbinden und wurde in der Heimat, wo ich das Bein schonte und sogar hoch legte — sogar beim Unterricht lag es auf einer eigens dazu hingestellten Kiste und schlief dort häufig in unangenehmster Weise ein —, doch erst nach drei Wochen aus der ärzt¬ lichen Behandlung entlassen. So nachhaltig ist die Tücke des „trojanischen Pferdes"! 2. Die Atadt Aonstantinopel Das erste, was dem Fremden am ersten vollen Tage seines Aufenthalts in Konstantinopel zu tun obliegt, ist die Besteigung des Galataturms, der schou um 500 nach Christo gebaut wurde, dann den in Galata ansässigen Genuesen als Mittelpunkt ihrer Befestigungen diente und jetzt die Feuerwache beherbergt, die durch Flaggen am Tage, durch Laternen in der Nacht den Ausbruch einer Feuersbrunst anzuzeigen hat. ' Man steigt acht Treppen in die Höhe und gelaugt in einen ge¬ räumigen runden Saal, wo einem die Feuerwächter Kaffee und Tabak anbieten und auf einen Holzkasten für das Trinkgeld hinweisen. Man tut jedoch gut, hier nicht zu verweilen, sondern noch eine Wendeltreppe hinaufzusteigen in eine zweite, etwas eingerückte Etage. Hier ist man etwa 150 Meter über dem Meer und kann durch vierzehn Bogenfenster die Rundsicht genießen. Am Morgen des nächsten Tages versammelte sich hier so ziemlich unsre ganze archäologische Reisegesellschaft. Die Sonne schien herrlich, und das prachtvolle Bild zu unsern Füßen fesselte viele von uns bis gegen Mittag. Mit dem Panorama vom Galataturm kann man höchstens das vom seligen Markusturm in Venedig vergleichen. Beide bieten oder boten ein großartiges Städte- und Wasserbild. Aber die Aussicht vom Galataturm ist der vom venezianischen Campanile überlegen, weil sie reicher, vielseitiger, abwechslungsvoller ist. Vom Markusturm sah man weite Lagunen, flache gelbe Inseln, Kanäle und unmittelbar sich zu Füßen die Dächer der Stadt, hier dagegen werden die dreifach verzweigten Wasserflächen des Goldner Horns, des Bosporus und des Marmarameers umkränzt von langgezognen Berg- und Hügellinien, an deren Hängen sich freundliche Ortschaften und Landhäuser, liebliche Gärten und ernste Friedhöfe hinziehn, während sich jenseits des blauen Meeres¬ arms Stcunbul in seiner ganzen Ausdehnung unsern Blicken darbietet, und zwar nicht tellerflach wie Venedig, sondern hügelausteigend. Über dieser riesigen, von grünen Bcmmoaseu unterbrochner Häusermasse erheben sich Kuppeln und Minarets, Türme und Aquädukte, hinter ihr schimmert gleich einem blauen Streifen das Marmarameer. und darüber am Horizont verdämmern die Berge der Prinzeninseln und des asiatischen Festlandes. Die Perle in diesem reichen Kranze der Schönheit und zugleich der Mittel- Punkt des ganzen Bildes ist die Halbinsel, die der Serail mit seinen dunkeln Gärten, weißen Palästen und kuppelverzierten Lusthäusern bedeckt. Seltsam mutet in diesem Bilde nur ein Gebäude an, ein Turm auf der Spitze des Serails, der genau so aussieht wie ein deutscher Dorfkirchturm, unten viereckig und weiß, mit länglichen, Schalllöchern gleichenden Öffnungen, oben spitz zugehend und mit dunkelm Schiefer gedeckt. Von niemand, auch von keinem Reisebuche, habe ich die eigent¬ liche Bestimmung dieses Turmes erfahren können. Vermutlich dient er jetzt den kaiserlichen Witwen, deren Haus unmittelbar neben ihm steht, als Aussichtsturm. Rein ästhetisch ist dieser Turm durchaus nicht unschön, aber die fatale, hier so un¬ passende und sich doch mit Gewalt aufdrängende Bergleichung war mir — das kann ich nicht leugnen — störend. Und welches reiche Leben pulsiert auf dem Grunde dieses Panoramas! Zwei große Brücken spannen sich über den Meeresarm; sie wimmeln von Menschen, ebenso wie die engen Straßen Galatas, in die wir unmittelbar hinunterschauen. Auf dem langgedehnten Goldhorn, einem der nllerschönsten Häfen der Welt, liegt Grenzboten IV 1904 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/521>, abgerufen am 26.06.2024.