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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Smyrna

und es seinem Widersacher ausgeliefert. Der versieht es mit Vorrede und
Nachwort, gibt ihm einen neuen Titel und befördert es, also glossiert und
parodiert, zum Druck. Jetzt tun die Verleger gern Tür und Tore auf, und
das arme Machwerk muß verstümmelt und von grausamen Händen aufgeputzt
an die Öffentlichkeit treten. Der ihm aber die Schmach angetan hat, bleibt
im Dunkel der Anonymitnt, und der unglückliche Verfasser schlüge blind um
sich und trifft solche, die ihm nie ein Leid zugefügt haben. "Ein großmütiger
Löwe." so hat ein Zeitgenosse Liscows ihn genannt, und als Philippi durch
eine Kette widriger Umstände seine Professur verlor, hat ihn ja auch Liscow
unterstützt. Aber solange er Philippi gegenüberstand, wußte er nichts von
Großmut und kannte nur das harte Recht des Stärkern.

Und endlich verdroß es ihn, daß der vielfach Besiegte sich noch so trotzig
gebürdete, und er "beschloß, ihm den Rest zu geben."

(Schluß folgt)




Smyrna
Ein Reiseziel auf der Grientsahrt

er Orient ist uns heute näher gerückt als Rom noch zu Cor¬
nelius Zeiten. Die Eisenbahn über Belgrad nach Stambul ist
gar nicht einmal der bequemste Weg. Wer sorglos nach Ägypten,
Palästina, Syrien, Kleinasien, Konstantinopel, Athen reisen, wer
zugleich die Annehmlichkeiten einer Seefahrt auf dem Mittelmeer
genießen will, der mache eine Orientfahrt der Hamburger oder der Bremer Schnell¬
dampfer mit. Will er gründlich die Zauberwelt studieren, wo aus dem Nuinen-
schutt der ältesten Kulturen endlich wieder neues Leben, hervorgerufen durch
den Verkehr unsrer Zeit, sprießt, so muß er es natürlich anders anfangen.
Aber vielleicht schmachtet er in den Ketten der Berufsarbeit und freut sich,
wenn er die Ziele so maucher sehnsüchtigen Trünme wenigstens in eiligem
Fluge einmal sehen kaun. Er wird ehrfürchtig an den Pyramiden, den stummen
Zeugen einer sechstausendjührigen Kultur, weilen und mit Staunen die wieder
gehobnen Schätze altügyptischer Kunst im Museum zu Kairo bewundern. Er
wird in der Grabeskirche zu Jerusalem gepackt sein von der naiven Inbrunst,
mit der dort Scharen von Gläubigen einen uralten Kultus fortsetzen. Er wird,
an den verschlafnen Städtchen der phönizischen Küste vorbeifahrend, der Zeit
gedenken, wo hier der Welthandel seinen Hauptsitz hatte, und auf der "geraden
Straße" von Damaskus des Apostels gedenken, der von hier aus die Welt
revolutioniert hat. An Kleinasiens Küsten und zwischen den Inseln entlang
fahrend wird er mit Trauer den tiefen und zunächst unheilbaren Verfall ge¬
wahren, den die Landeskultur hier mehr noch durch die vollständige Entwal¬
dung als durch das Türkenregiment erlitten hat. Die Vertilgung des Banm-


Grcnzboten IV 1904 f.1
Smyrna

und es seinem Widersacher ausgeliefert. Der versieht es mit Vorrede und
Nachwort, gibt ihm einen neuen Titel und befördert es, also glossiert und
parodiert, zum Druck. Jetzt tun die Verleger gern Tür und Tore auf, und
das arme Machwerk muß verstümmelt und von grausamen Händen aufgeputzt
an die Öffentlichkeit treten. Der ihm aber die Schmach angetan hat, bleibt
im Dunkel der Anonymitnt, und der unglückliche Verfasser schlüge blind um
sich und trifft solche, die ihm nie ein Leid zugefügt haben. „Ein großmütiger
Löwe." so hat ein Zeitgenosse Liscows ihn genannt, und als Philippi durch
eine Kette widriger Umstände seine Professur verlor, hat ihn ja auch Liscow
unterstützt. Aber solange er Philippi gegenüberstand, wußte er nichts von
Großmut und kannte nur das harte Recht des Stärkern.

Und endlich verdroß es ihn, daß der vielfach Besiegte sich noch so trotzig
gebürdete, und er „beschloß, ihm den Rest zu geben."

(Schluß folgt)




Smyrna
Ein Reiseziel auf der Grientsahrt

er Orient ist uns heute näher gerückt als Rom noch zu Cor¬
nelius Zeiten. Die Eisenbahn über Belgrad nach Stambul ist
gar nicht einmal der bequemste Weg. Wer sorglos nach Ägypten,
Palästina, Syrien, Kleinasien, Konstantinopel, Athen reisen, wer
zugleich die Annehmlichkeiten einer Seefahrt auf dem Mittelmeer
genießen will, der mache eine Orientfahrt der Hamburger oder der Bremer Schnell¬
dampfer mit. Will er gründlich die Zauberwelt studieren, wo aus dem Nuinen-
schutt der ältesten Kulturen endlich wieder neues Leben, hervorgerufen durch
den Verkehr unsrer Zeit, sprießt, so muß er es natürlich anders anfangen.
Aber vielleicht schmachtet er in den Ketten der Berufsarbeit und freut sich,
wenn er die Ziele so maucher sehnsüchtigen Trünme wenigstens in eiligem
Fluge einmal sehen kaun. Er wird ehrfürchtig an den Pyramiden, den stummen
Zeugen einer sechstausendjührigen Kultur, weilen und mit Staunen die wieder
gehobnen Schätze altügyptischer Kunst im Museum zu Kairo bewundern. Er
wird in der Grabeskirche zu Jerusalem gepackt sein von der naiven Inbrunst,
mit der dort Scharen von Gläubigen einen uralten Kultus fortsetzen. Er wird,
an den verschlafnen Städtchen der phönizischen Küste vorbeifahrend, der Zeit
gedenken, wo hier der Welthandel seinen Hauptsitz hatte, und auf der „geraden
Straße" von Damaskus des Apostels gedenken, der von hier aus die Welt
revolutioniert hat. An Kleinasiens Küsten und zwischen den Inseln entlang
fahrend wird er mit Trauer den tiefen und zunächst unheilbaren Verfall ge¬
wahren, den die Landeskultur hier mehr noch durch die vollständige Entwal¬
dung als durch das Türkenregiment erlitten hat. Die Vertilgung des Banm-


Grcnzboten IV 1904 f.1
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[0453] Smyrna und es seinem Widersacher ausgeliefert. Der versieht es mit Vorrede und Nachwort, gibt ihm einen neuen Titel und befördert es, also glossiert und parodiert, zum Druck. Jetzt tun die Verleger gern Tür und Tore auf, und das arme Machwerk muß verstümmelt und von grausamen Händen aufgeputzt an die Öffentlichkeit treten. Der ihm aber die Schmach angetan hat, bleibt im Dunkel der Anonymitnt, und der unglückliche Verfasser schlüge blind um sich und trifft solche, die ihm nie ein Leid zugefügt haben. „Ein großmütiger Löwe." so hat ein Zeitgenosse Liscows ihn genannt, und als Philippi durch eine Kette widriger Umstände seine Professur verlor, hat ihn ja auch Liscow unterstützt. Aber solange er Philippi gegenüberstand, wußte er nichts von Großmut und kannte nur das harte Recht des Stärkern. Und endlich verdroß es ihn, daß der vielfach Besiegte sich noch so trotzig gebürdete, und er „beschloß, ihm den Rest zu geben." (Schluß folgt) Smyrna Ein Reiseziel auf der Grientsahrt er Orient ist uns heute näher gerückt als Rom noch zu Cor¬ nelius Zeiten. Die Eisenbahn über Belgrad nach Stambul ist gar nicht einmal der bequemste Weg. Wer sorglos nach Ägypten, Palästina, Syrien, Kleinasien, Konstantinopel, Athen reisen, wer zugleich die Annehmlichkeiten einer Seefahrt auf dem Mittelmeer genießen will, der mache eine Orientfahrt der Hamburger oder der Bremer Schnell¬ dampfer mit. Will er gründlich die Zauberwelt studieren, wo aus dem Nuinen- schutt der ältesten Kulturen endlich wieder neues Leben, hervorgerufen durch den Verkehr unsrer Zeit, sprießt, so muß er es natürlich anders anfangen. Aber vielleicht schmachtet er in den Ketten der Berufsarbeit und freut sich, wenn er die Ziele so maucher sehnsüchtigen Trünme wenigstens in eiligem Fluge einmal sehen kaun. Er wird ehrfürchtig an den Pyramiden, den stummen Zeugen einer sechstausendjührigen Kultur, weilen und mit Staunen die wieder gehobnen Schätze altügyptischer Kunst im Museum zu Kairo bewundern. Er wird in der Grabeskirche zu Jerusalem gepackt sein von der naiven Inbrunst, mit der dort Scharen von Gläubigen einen uralten Kultus fortsetzen. Er wird, an den verschlafnen Städtchen der phönizischen Küste vorbeifahrend, der Zeit gedenken, wo hier der Welthandel seinen Hauptsitz hatte, und auf der „geraden Straße" von Damaskus des Apostels gedenken, der von hier aus die Welt revolutioniert hat. An Kleinasiens Küsten und zwischen den Inseln entlang fahrend wird er mit Trauer den tiefen und zunächst unheilbaren Verfall ge¬ wahren, den die Landeskultur hier mehr noch durch die vollständige Entwal¬ dung als durch das Türkenregiment erlitten hat. Die Vertilgung des Banm- Grcnzboten IV 1904 f.1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/453>, abgerufen am 23.07.2024.