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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Von alten Büchern
Gin Aritiker aus dem achtzehnten Jahrhundert
B. Wülcker von

WWR)ritiker und Dichter haben sich in den letzten zwei Jahren gründ¬
lich gegeneinander ausgesprochen. Hin und her wogte die Flut
von Artikeln, von Schriften und Gegenschriften über die Ver¬
seuchung, die Verrohung, die Gehässigkeit und die Zerstörungswut
der Kritik, über ihre Souveränität, ihre ehrlichen, vom litera¬
rischen Völkerrecht anerkannten Waffen. Und auf dem Kriegspfad der Strei¬
tenden sproßten zarte Redeblumen, als da sind: "kriechendes lüsterzüngiges
Gelichter, feuchtfingrige Wegweiser zum Übermenschen, wüste Neuntöter, Klein-
geziefer, Stechsliegengeschlecht, auf Kahlfraß hinarbeitende Schädlinge."

Außer solchen mit Vorliebe der Insekten- und Vogelwelt entnommnen
Ehrentiteln und einigen neuen Wortbildungen wie "Ortsmilieu, ohrfeigenhaft,
Schimpfkunst, Schimpfbold" ist nicht viel Neues bei dem Streit heraus¬
gekommen. Von jeher haben sich die Kritiker das Recht zugesprochen, ihren
Ton nach Befinden zu wählen, und ebensolange haben sich die Dichter in
Scherz und Ernst gegen die Urteile der ungebetnen Richter aufgelehnt.

Leser oder Kritiker? fragt Voß, und er antwortet:

Goethe sagt kurz und bündig:


Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent --

und in Mörikes "Abschied" wird der Rezensent, der Abends "un an geklopft"
eintritt und des Dichters Nase kritisch beleuchtet, frohen Sinns die Treppe
hinunter geworfen. Da war doch der Pastor Lange in Laublingen seinerzeit
glimpflicher gegen den Kritiker, der seine Oden getadelt hatte; er wollte
ihm für seine kindische Arbeit, äußerste Schwäche und Ignoranz, nieder¬
trächtige Gesinnung, Mangel an Belesenheit und an Liebe zur Wahrheit nur
einige sanfte warnende Schläge auf die Finger geben. Der Kritiker hieß
G. E. Lessing.

Man hat gesagt, daß die Kritik unsrer Zeit verroht sei. Wenn man
freilich jedem, der zur billigen Verköstigung der Abonnenten einen harmlosen
Dilettanten in die Pfanne haut und ein Bändchen Verse zu pikantem Salat
zerpflückt, jedem, der seine persönlichen Gegnerschaften in die Spalten der
Zeitschriften hineinträgt, die Ehre antun will, ihn zu den Vertretern der
Kritik zu rechnen, dann mag man die Kritik wohl verroht nennen.




Von alten Büchern
Gin Aritiker aus dem achtzehnten Jahrhundert
B. Wülcker von

WWR)ritiker und Dichter haben sich in den letzten zwei Jahren gründ¬
lich gegeneinander ausgesprochen. Hin und her wogte die Flut
von Artikeln, von Schriften und Gegenschriften über die Ver¬
seuchung, die Verrohung, die Gehässigkeit und die Zerstörungswut
der Kritik, über ihre Souveränität, ihre ehrlichen, vom litera¬
rischen Völkerrecht anerkannten Waffen. Und auf dem Kriegspfad der Strei¬
tenden sproßten zarte Redeblumen, als da sind: „kriechendes lüsterzüngiges
Gelichter, feuchtfingrige Wegweiser zum Übermenschen, wüste Neuntöter, Klein-
geziefer, Stechsliegengeschlecht, auf Kahlfraß hinarbeitende Schädlinge."

Außer solchen mit Vorliebe der Insekten- und Vogelwelt entnommnen
Ehrentiteln und einigen neuen Wortbildungen wie „Ortsmilieu, ohrfeigenhaft,
Schimpfkunst, Schimpfbold" ist nicht viel Neues bei dem Streit heraus¬
gekommen. Von jeher haben sich die Kritiker das Recht zugesprochen, ihren
Ton nach Befinden zu wählen, und ebensolange haben sich die Dichter in
Scherz und Ernst gegen die Urteile der ungebetnen Richter aufgelehnt.

Leser oder Kritiker? fragt Voß, und er antwortet:

Goethe sagt kurz und bündig:


Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent —

und in Mörikes „Abschied" wird der Rezensent, der Abends „un an geklopft"
eintritt und des Dichters Nase kritisch beleuchtet, frohen Sinns die Treppe
hinunter geworfen. Da war doch der Pastor Lange in Laublingen seinerzeit
glimpflicher gegen den Kritiker, der seine Oden getadelt hatte; er wollte
ihm für seine kindische Arbeit, äußerste Schwäche und Ignoranz, nieder¬
trächtige Gesinnung, Mangel an Belesenheit und an Liebe zur Wahrheit nur
einige sanfte warnende Schläge auf die Finger geben. Der Kritiker hieß
G. E. Lessing.

Man hat gesagt, daß die Kritik unsrer Zeit verroht sei. Wenn man
freilich jedem, der zur billigen Verköstigung der Abonnenten einen harmlosen
Dilettanten in die Pfanne haut und ein Bändchen Verse zu pikantem Salat
zerpflückt, jedem, der seine persönlichen Gegnerschaften in die Spalten der
Zeitschriften hineinträgt, die Ehre antun will, ihn zu den Vertretern der
Kritik zu rechnen, dann mag man die Kritik wohl verroht nennen.


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[0446] [Abbildung] Von alten Büchern Gin Aritiker aus dem achtzehnten Jahrhundert B. Wülcker von WWR)ritiker und Dichter haben sich in den letzten zwei Jahren gründ¬ lich gegeneinander ausgesprochen. Hin und her wogte die Flut von Artikeln, von Schriften und Gegenschriften über die Ver¬ seuchung, die Verrohung, die Gehässigkeit und die Zerstörungswut der Kritik, über ihre Souveränität, ihre ehrlichen, vom litera¬ rischen Völkerrecht anerkannten Waffen. Und auf dem Kriegspfad der Strei¬ tenden sproßten zarte Redeblumen, als da sind: „kriechendes lüsterzüngiges Gelichter, feuchtfingrige Wegweiser zum Übermenschen, wüste Neuntöter, Klein- geziefer, Stechsliegengeschlecht, auf Kahlfraß hinarbeitende Schädlinge." Außer solchen mit Vorliebe der Insekten- und Vogelwelt entnommnen Ehrentiteln und einigen neuen Wortbildungen wie „Ortsmilieu, ohrfeigenhaft, Schimpfkunst, Schimpfbold" ist nicht viel Neues bei dem Streit heraus¬ gekommen. Von jeher haben sich die Kritiker das Recht zugesprochen, ihren Ton nach Befinden zu wählen, und ebensolange haben sich die Dichter in Scherz und Ernst gegen die Urteile der ungebetnen Richter aufgelehnt. Leser oder Kritiker? fragt Voß, und er antwortet: Goethe sagt kurz und bündig: Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent — und in Mörikes „Abschied" wird der Rezensent, der Abends „un an geklopft" eintritt und des Dichters Nase kritisch beleuchtet, frohen Sinns die Treppe hinunter geworfen. Da war doch der Pastor Lange in Laublingen seinerzeit glimpflicher gegen den Kritiker, der seine Oden getadelt hatte; er wollte ihm für seine kindische Arbeit, äußerste Schwäche und Ignoranz, nieder¬ trächtige Gesinnung, Mangel an Belesenheit und an Liebe zur Wahrheit nur einige sanfte warnende Schläge auf die Finger geben. Der Kritiker hieß G. E. Lessing. Man hat gesagt, daß die Kritik unsrer Zeit verroht sei. Wenn man freilich jedem, der zur billigen Verköstigung der Abonnenten einen harmlosen Dilettanten in die Pfanne haut und ein Bändchen Verse zu pikantem Salat zerpflückt, jedem, der seine persönlichen Gegnerschaften in die Spalten der Zeitschriften hineinträgt, die Ehre antun will, ihn zu den Vertretern der Kritik zu rechnen, dann mag man die Kritik wohl verroht nennen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/446>, abgerufen am 26.06.2024.