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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Die Wendung in der Kanalfrage

es preußischen Kanaldramas dritter Akt ist in vollem Zuge. Nach
dem unglücklichen Ausgange seiner beiden Vorgänger eröffnet er
die Aussicht auf einen befriedigenden Abschluß. Noch ist be¬
stimmtes darüber nicht zu sagen; die starke Mehrheit, mit der
der Rhein - Lcinekanal in der Kommission des Abgeordneten¬
hauses angenommen wurde, ist nicht maßgebend für das Plenum, ganz abge¬
sehen davon, daß auch das Herrenhaus noch seinen eignen Kopf hat. Aber
schon die bloße Tatsache, daß eine so arg verfcchrne Angelegenheit in so aus¬
sichtsreicher Weise aus dem Sumpfe wieder emporgehoben ist, erfüllt mit
Genugtuung. Es frommt heute nicht, über Schuld und Unschuld an den frühern
Mißerfolgen zu streiten; man kann nur sagen, daß damals auf allen Seiten
mehr oder weniger schwer gesündigt worden ist. Ein großer und gesunder
volkswirtschaftlicher Plan drohte unmöglich zu werden, weil er zum Zankapfel
der politischen Parteien, von denen jede bei ihrer Stellung zu ihm ihre eigen¬
süchtigen Zwecke verfolgte, geworden war. Jahrelanger behutsamer Arbeit be¬
dürfte es, all den Schlick und Schmutz, der sich so um das Kanalschiff
zusammengezogen und es festgebannt hatte, zu beseitigen. Jetzt hat man die
Empfindung, daß das Schiff wieder oder vielmehr zum erstenmal recht eigentlich
flott ist und bei günstigem Winde dem Hafen zusteuert.

Aber freilich, das Aussehen des Schiffes hat sich in diesen drei Jahren
sehr verändert. Der große Gedanke, der dem ursprünglichen Plane zugrunde
lag, unsre parallellaufenden Strömen durch eine sie in der Mitte quer durch¬
schneidende Wasserstraße vom Rhein bis zur Weichsel untereinander zu ver¬
binden, ist verschwunden. Die neue Regierungsvorlage enthält ein westliches
und ein östliches Wasserstraßennetz, von einer Verbindung zwischen beiden ist
keine Rede, vielleicht liegt das Charakteristische gerade in dem Wegfall des
im eigentlichsten Sinne als Mittellandkanal bezeichneten Stückes zwischen
Hannover und Magdeburg. Das ist in den Augen aller, die in einem mehr
und mehr das ganze Staatsgebiet überziehenden Kanalnetze Bedingung und
Bürgschaft eines ungeahnten volkswirtschaftlichen Aufschwungs sehen, eine überaus
beklagenswerte Verstümmlung des anfänglichen Planes, und es ist begreiflich,
daß sie sowohl die, die das Opfer gebracht haben, wie die, denen es gebracht


Grenzboten IV 1904 57


Die Wendung in der Kanalfrage

es preußischen Kanaldramas dritter Akt ist in vollem Zuge. Nach
dem unglücklichen Ausgange seiner beiden Vorgänger eröffnet er
die Aussicht auf einen befriedigenden Abschluß. Noch ist be¬
stimmtes darüber nicht zu sagen; die starke Mehrheit, mit der
der Rhein - Lcinekanal in der Kommission des Abgeordneten¬
hauses angenommen wurde, ist nicht maßgebend für das Plenum, ganz abge¬
sehen davon, daß auch das Herrenhaus noch seinen eignen Kopf hat. Aber
schon die bloße Tatsache, daß eine so arg verfcchrne Angelegenheit in so aus¬
sichtsreicher Weise aus dem Sumpfe wieder emporgehoben ist, erfüllt mit
Genugtuung. Es frommt heute nicht, über Schuld und Unschuld an den frühern
Mißerfolgen zu streiten; man kann nur sagen, daß damals auf allen Seiten
mehr oder weniger schwer gesündigt worden ist. Ein großer und gesunder
volkswirtschaftlicher Plan drohte unmöglich zu werden, weil er zum Zankapfel
der politischen Parteien, von denen jede bei ihrer Stellung zu ihm ihre eigen¬
süchtigen Zwecke verfolgte, geworden war. Jahrelanger behutsamer Arbeit be¬
dürfte es, all den Schlick und Schmutz, der sich so um das Kanalschiff
zusammengezogen und es festgebannt hatte, zu beseitigen. Jetzt hat man die
Empfindung, daß das Schiff wieder oder vielmehr zum erstenmal recht eigentlich
flott ist und bei günstigem Winde dem Hafen zusteuert.

Aber freilich, das Aussehen des Schiffes hat sich in diesen drei Jahren
sehr verändert. Der große Gedanke, der dem ursprünglichen Plane zugrunde
lag, unsre parallellaufenden Strömen durch eine sie in der Mitte quer durch¬
schneidende Wasserstraße vom Rhein bis zur Weichsel untereinander zu ver¬
binden, ist verschwunden. Die neue Regierungsvorlage enthält ein westliches
und ein östliches Wasserstraßennetz, von einer Verbindung zwischen beiden ist
keine Rede, vielleicht liegt das Charakteristische gerade in dem Wegfall des
im eigentlichsten Sinne als Mittellandkanal bezeichneten Stückes zwischen
Hannover und Magdeburg. Das ist in den Augen aller, die in einem mehr
und mehr das ganze Staatsgebiet überziehenden Kanalnetze Bedingung und
Bürgschaft eines ungeahnten volkswirtschaftlichen Aufschwungs sehen, eine überaus
beklagenswerte Verstümmlung des anfänglichen Planes, und es ist begreiflich,
daß sie sowohl die, die das Opfer gebracht haben, wie die, denen es gebracht


Grenzboten IV 1904 57
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[0421] [Abbildung] Die Wendung in der Kanalfrage es preußischen Kanaldramas dritter Akt ist in vollem Zuge. Nach dem unglücklichen Ausgange seiner beiden Vorgänger eröffnet er die Aussicht auf einen befriedigenden Abschluß. Noch ist be¬ stimmtes darüber nicht zu sagen; die starke Mehrheit, mit der der Rhein - Lcinekanal in der Kommission des Abgeordneten¬ hauses angenommen wurde, ist nicht maßgebend für das Plenum, ganz abge¬ sehen davon, daß auch das Herrenhaus noch seinen eignen Kopf hat. Aber schon die bloße Tatsache, daß eine so arg verfcchrne Angelegenheit in so aus¬ sichtsreicher Weise aus dem Sumpfe wieder emporgehoben ist, erfüllt mit Genugtuung. Es frommt heute nicht, über Schuld und Unschuld an den frühern Mißerfolgen zu streiten; man kann nur sagen, daß damals auf allen Seiten mehr oder weniger schwer gesündigt worden ist. Ein großer und gesunder volkswirtschaftlicher Plan drohte unmöglich zu werden, weil er zum Zankapfel der politischen Parteien, von denen jede bei ihrer Stellung zu ihm ihre eigen¬ süchtigen Zwecke verfolgte, geworden war. Jahrelanger behutsamer Arbeit be¬ dürfte es, all den Schlick und Schmutz, der sich so um das Kanalschiff zusammengezogen und es festgebannt hatte, zu beseitigen. Jetzt hat man die Empfindung, daß das Schiff wieder oder vielmehr zum erstenmal recht eigentlich flott ist und bei günstigem Winde dem Hafen zusteuert. Aber freilich, das Aussehen des Schiffes hat sich in diesen drei Jahren sehr verändert. Der große Gedanke, der dem ursprünglichen Plane zugrunde lag, unsre parallellaufenden Strömen durch eine sie in der Mitte quer durch¬ schneidende Wasserstraße vom Rhein bis zur Weichsel untereinander zu ver¬ binden, ist verschwunden. Die neue Regierungsvorlage enthält ein westliches und ein östliches Wasserstraßennetz, von einer Verbindung zwischen beiden ist keine Rede, vielleicht liegt das Charakteristische gerade in dem Wegfall des im eigentlichsten Sinne als Mittellandkanal bezeichneten Stückes zwischen Hannover und Magdeburg. Das ist in den Augen aller, die in einem mehr und mehr das ganze Staatsgebiet überziehenden Kanalnetze Bedingung und Bürgschaft eines ungeahnten volkswirtschaftlichen Aufschwungs sehen, eine überaus beklagenswerte Verstümmlung des anfänglichen Planes, und es ist begreiflich, daß sie sowohl die, die das Opfer gebracht haben, wie die, denen es gebracht Grenzboten IV 1904 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/421>, abgerufen am 26.06.2024.