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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Werden die Sozialdomokraten marschieren?

deutschen Sozialdemokratie, da sie nun einmal von unsern westlichen Nachbarn
so gedeutet wird, eine schwere Gefahr für den Frieden in sich birgt. Die Sozial¬
demokraten, die mit dem "ewigen Frieden" liebäugeln oder ihn auch offen auf
ihr Programm setzen, rücken in ihrer frivolen Haltung die Kriegsmöglichkeit
näher. Man könnte sie den Goethischen Vers abändernd bezeichnen als ein

Teil der Kraft,"


3. Sozialdemokraten und Arieg

Es mag unlogisch erscheinen, erst zu erörtern, gegen wen und unter welchen
Bedingungen die Sozialdemokraten für den Krieg zu haben seien, und dann
erst zu ihrer Stellung zum Kriegsgedanken im allgemeinen überzugehn. Nun,
diese Stoffanordnung entspricht durchaus der in der Sozialdemokratie herrschenden
Unsicherheit und Unklarheit. Sie wollen angeblich im Verteidiguugskrieg mit¬
wirken, sie wollen den Krieg bis aufs Messer gegen Nußland, aber sie wollen
auch -- überhaupt keinen männermordendeu Krieg. Sie sind grundsätzlich für
das Phantom des "ewigen Friedens" und würden doch -- geschichtlichen Vor¬
bildern nach zu urteilen -- die ungerechtesten, leichtfertigsten, launenhaftesten
Kriege führen, wenn sie das Heft in Händen hätten! Da aber vorderhand der
"ewige Frieden" für alle Sozialisten das Ideal ist. da Kriege nach ihrer
Theorie nur im Interesse des Kapitals angezettelt werden, und glückliche Kriege
die Staatsgewalt stärken, so müssen sie natürlich trotz allen schönen Erklärungen
auf Mittel sinnen, sich der Mitwirkung bei einem Kriege zu entzieh". Über
diesen Punkt liegen recht interessante Äußerungen vor.

Auf dem internationalen Arbeiterkongreß zu Brüssel (im August 1891)
stellte ein belgischer Abgeordneter den Antrag, zu beschließen: daß nnter den
Wehrpflichtigen aller Länder sozialdemokratische Organisationen einzuführen seien,
mit dem ausgesprochnen Zweck, die Wehrpflichtigen zu bestimmen, sich den Be¬
fehlen im Kriegsfalle zu widersetzen. Ein andrer Antrag lautete, daß beim
Kriegsansbruch ein Wettstreit, verbunden mit bewaffneter Erhebung aller
Arbeiter, verkündet werden solle. Diese schönen Anträge wurden, nicht zum
geringsten durch das Auftreten der deutschen Sozialistenführer, als zurzeit
nicht durchführbar -- wohlgemerkt nnter dieser ausdrücklichen Begründung --
abgelehnt. Warum? Weil die französischen Arbeitervertreter mit verbissenem
Trotz erklärten: sie hätten die stritte Weisung, die Erörterung militärischer
Fragen auf dem Kongreß fernzuhalten.

Woher nun die "opportunistische" Haltung der allezeit mit ihrem offnen
Wort prahlenden deutschen Sozialdemokraten? Liebknecht ließ keinen Zweifel
darüber. Er bezeichnete den Steller des ersten Antrags, den Holländer Dvmela
Nieuwenhuis, als in einem großen Irrtum befangen, seinen Antrag als "eine
Phrase ohne Sinn." Ungehorsam gegen den Befehl zu marschieren werde nicht
mit Gefängnis, sondern rücksichtslos mit Erschießen bestraft. (Großer Tumult
der Versammelten.) Man kann daraus den Schluß ziehen, daß der Rat
ganz anders ausgefallen sein würde, wenn diese Gefahr nicht vorlüge.


Werden die Sozialdomokraten marschieren?

deutschen Sozialdemokratie, da sie nun einmal von unsern westlichen Nachbarn
so gedeutet wird, eine schwere Gefahr für den Frieden in sich birgt. Die Sozial¬
demokraten, die mit dem „ewigen Frieden" liebäugeln oder ihn auch offen auf
ihr Programm setzen, rücken in ihrer frivolen Haltung die Kriegsmöglichkeit
näher. Man könnte sie den Goethischen Vers abändernd bezeichnen als ein

Teil der Kraft,"


3. Sozialdemokraten und Arieg

Es mag unlogisch erscheinen, erst zu erörtern, gegen wen und unter welchen
Bedingungen die Sozialdemokraten für den Krieg zu haben seien, und dann
erst zu ihrer Stellung zum Kriegsgedanken im allgemeinen überzugehn. Nun,
diese Stoffanordnung entspricht durchaus der in der Sozialdemokratie herrschenden
Unsicherheit und Unklarheit. Sie wollen angeblich im Verteidiguugskrieg mit¬
wirken, sie wollen den Krieg bis aufs Messer gegen Nußland, aber sie wollen
auch — überhaupt keinen männermordendeu Krieg. Sie sind grundsätzlich für
das Phantom des „ewigen Friedens" und würden doch — geschichtlichen Vor¬
bildern nach zu urteilen — die ungerechtesten, leichtfertigsten, launenhaftesten
Kriege führen, wenn sie das Heft in Händen hätten! Da aber vorderhand der
„ewige Frieden" für alle Sozialisten das Ideal ist. da Kriege nach ihrer
Theorie nur im Interesse des Kapitals angezettelt werden, und glückliche Kriege
die Staatsgewalt stärken, so müssen sie natürlich trotz allen schönen Erklärungen
auf Mittel sinnen, sich der Mitwirkung bei einem Kriege zu entzieh». Über
diesen Punkt liegen recht interessante Äußerungen vor.

Auf dem internationalen Arbeiterkongreß zu Brüssel (im August 1891)
stellte ein belgischer Abgeordneter den Antrag, zu beschließen: daß nnter den
Wehrpflichtigen aller Länder sozialdemokratische Organisationen einzuführen seien,
mit dem ausgesprochnen Zweck, die Wehrpflichtigen zu bestimmen, sich den Be¬
fehlen im Kriegsfalle zu widersetzen. Ein andrer Antrag lautete, daß beim
Kriegsansbruch ein Wettstreit, verbunden mit bewaffneter Erhebung aller
Arbeiter, verkündet werden solle. Diese schönen Anträge wurden, nicht zum
geringsten durch das Auftreten der deutschen Sozialistenführer, als zurzeit
nicht durchführbar — wohlgemerkt nnter dieser ausdrücklichen Begründung —
abgelehnt. Warum? Weil die französischen Arbeitervertreter mit verbissenem
Trotz erklärten: sie hätten die stritte Weisung, die Erörterung militärischer
Fragen auf dem Kongreß fernzuhalten.

Woher nun die „opportunistische" Haltung der allezeit mit ihrem offnen
Wort prahlenden deutschen Sozialdemokraten? Liebknecht ließ keinen Zweifel
darüber. Er bezeichnete den Steller des ersten Antrags, den Holländer Dvmela
Nieuwenhuis, als in einem großen Irrtum befangen, seinen Antrag als „eine
Phrase ohne Sinn." Ungehorsam gegen den Befehl zu marschieren werde nicht
mit Gefängnis, sondern rücksichtslos mit Erschießen bestraft. (Großer Tumult
der Versammelten.) Man kann daraus den Schluß ziehen, daß der Rat
ganz anders ausgefallen sein würde, wenn diese Gefahr nicht vorlüge.


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[0368] Werden die Sozialdomokraten marschieren? deutschen Sozialdemokratie, da sie nun einmal von unsern westlichen Nachbarn so gedeutet wird, eine schwere Gefahr für den Frieden in sich birgt. Die Sozial¬ demokraten, die mit dem „ewigen Frieden" liebäugeln oder ihn auch offen auf ihr Programm setzen, rücken in ihrer frivolen Haltung die Kriegsmöglichkeit näher. Man könnte sie den Goethischen Vers abändernd bezeichnen als ein Teil der Kraft," 3. Sozialdemokraten und Arieg Es mag unlogisch erscheinen, erst zu erörtern, gegen wen und unter welchen Bedingungen die Sozialdemokraten für den Krieg zu haben seien, und dann erst zu ihrer Stellung zum Kriegsgedanken im allgemeinen überzugehn. Nun, diese Stoffanordnung entspricht durchaus der in der Sozialdemokratie herrschenden Unsicherheit und Unklarheit. Sie wollen angeblich im Verteidiguugskrieg mit¬ wirken, sie wollen den Krieg bis aufs Messer gegen Nußland, aber sie wollen auch — überhaupt keinen männermordendeu Krieg. Sie sind grundsätzlich für das Phantom des „ewigen Friedens" und würden doch — geschichtlichen Vor¬ bildern nach zu urteilen — die ungerechtesten, leichtfertigsten, launenhaftesten Kriege führen, wenn sie das Heft in Händen hätten! Da aber vorderhand der „ewige Frieden" für alle Sozialisten das Ideal ist. da Kriege nach ihrer Theorie nur im Interesse des Kapitals angezettelt werden, und glückliche Kriege die Staatsgewalt stärken, so müssen sie natürlich trotz allen schönen Erklärungen auf Mittel sinnen, sich der Mitwirkung bei einem Kriege zu entzieh». Über diesen Punkt liegen recht interessante Äußerungen vor. Auf dem internationalen Arbeiterkongreß zu Brüssel (im August 1891) stellte ein belgischer Abgeordneter den Antrag, zu beschließen: daß nnter den Wehrpflichtigen aller Länder sozialdemokratische Organisationen einzuführen seien, mit dem ausgesprochnen Zweck, die Wehrpflichtigen zu bestimmen, sich den Be¬ fehlen im Kriegsfalle zu widersetzen. Ein andrer Antrag lautete, daß beim Kriegsansbruch ein Wettstreit, verbunden mit bewaffneter Erhebung aller Arbeiter, verkündet werden solle. Diese schönen Anträge wurden, nicht zum geringsten durch das Auftreten der deutschen Sozialistenführer, als zurzeit nicht durchführbar — wohlgemerkt nnter dieser ausdrücklichen Begründung — abgelehnt. Warum? Weil die französischen Arbeitervertreter mit verbissenem Trotz erklärten: sie hätten die stritte Weisung, die Erörterung militärischer Fragen auf dem Kongreß fernzuhalten. Woher nun die „opportunistische" Haltung der allezeit mit ihrem offnen Wort prahlenden deutschen Sozialdemokraten? Liebknecht ließ keinen Zweifel darüber. Er bezeichnete den Steller des ersten Antrags, den Holländer Dvmela Nieuwenhuis, als in einem großen Irrtum befangen, seinen Antrag als „eine Phrase ohne Sinn." Ungehorsam gegen den Befehl zu marschieren werde nicht mit Gefängnis, sondern rücksichtslos mit Erschießen bestraft. (Großer Tumult der Versammelten.) Man kann daraus den Schluß ziehen, daß der Rat ganz anders ausgefallen sein würde, wenn diese Gefahr nicht vorlüge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/368>, abgerufen am 26.06.2024.