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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Anlturbilder von den kleinasiatischen Inseln

nicht recht vorwärts bringen konnten, kam der Kaiser selbst herangeritten, um
sie anzuspornen, und da er bei dem einen nicht gleich Gehorsam fand, versetzte
er ihm mit seinem Stock einen Schlag an den Hals. Jener aber, der den An¬
greifer nicht kannte, besann sich nicht lange, sondern hieb mit seiner Geißel uns
den Kaiser los, fluchend, "daß dich spanischen Boschwicht Gotts Element schänden
müsse." Karl gab den Befehl, den Frechen auf der Stelle an den nächsten
Baum zu hängen. Als aber die mit der Exekution beauftragten Offiziere fu߬
fällig um Gnade für den Mann baten, indem sie darauf hinwiesen, daß die
Spanier den armen Leuten gar viel zuleide täten, ließ er sich erweichen und
ermäßigte die Strafe dahin, daß dem armen Teufel zum dauernden Zeichen
seines gröblicher Vergehens die Nase abgeschnitten würde. "Das haben die
Obersten und Hauptleute mit underthenigsten Dank, und der Fnrman mit fro-
lichen Ohren angehört, angenommen, und sich der linden Straff mit Fremden
unterworffeu, und gar dultiglich gelitten, das jme die Nase hart vor dem Ge¬
sichte abgeschnitten, sich auch dessen die Zeit seines Lebendes der Key. Maytt.
zun Ehren gerumpt."

Ja, es war eine grobianische Zeit, das zeigt sich in Schimpf und Ernst,
bei Hoch und Niedrig, in Stadt und Land mit einer verblüffenden Deutlichkeit.
Und wunderliche Szenen spielen sich auch auf dem Reichstage zu Speyer ab,
der gleich nach Beendigung des oben erwähnten Feldzugs, im Anfang des
Jahres 1544, gehalten wurde. Der Kurfürst von Sachsen läßt, weil er keine
Kirche bekommen kann, in einer Schenke Gottesdienst halten: der Prediger steht
auf einem Stuhl, und statt der Orgel wird mit Lauten, Zinken, Trompeten und
Geigen Musik gemacht. Die Spanier aber ziehn in der Karwoche in langem
Zuge in die Varfüßerkirche. Sie tragen Wachslichter in der einen Hand, in
der andern aber die Geißel, womit sie sich den entblößten Rücken zerfleischen.
In der Kirche angekommen kriechen sie auf den Knien zu Kreuze. "Helden
cZbirui'Zos vorne in der Kirchen, so die Vvrwundeten vorbnnden. Man sagt,
daß zween aus der Kirchen weren toedt getragen." Und der Kaiser selbst übt
das Amt des Pontifex, indem er mit einem Handtuch umgürtet zwölf armen
Leuten die Füße wäscht, sie trocknet und ihnen beim Essen aufwartet.

^Fortsetzung folgt)




Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln
Karl Dieterich von

er sich in der farbenduftigen Inselwelt des Ägäischen Meeres
umhergetrieben hat, von Eiland zu Eiland sich auf feuchten
Pfaden hinüberschwingend, und wer dann die kettenartig anein¬
ander gereihten Jnselbilder wie bunte Perlen an einer Schnur
dnrch die Erinnerung gleiten läßt, der wird, wenn er nicht ge¬
rade über eines Dichters Phantasie verfügt oder sofort bis über die Knie in
den Trümmerschutt des Altertums versinkt, sondern mit unbefangnen Blick die


Grenzboten IV 1904 4
Anlturbilder von den kleinasiatischen Inseln

nicht recht vorwärts bringen konnten, kam der Kaiser selbst herangeritten, um
sie anzuspornen, und da er bei dem einen nicht gleich Gehorsam fand, versetzte
er ihm mit seinem Stock einen Schlag an den Hals. Jener aber, der den An¬
greifer nicht kannte, besann sich nicht lange, sondern hieb mit seiner Geißel uns
den Kaiser los, fluchend, „daß dich spanischen Boschwicht Gotts Element schänden
müsse." Karl gab den Befehl, den Frechen auf der Stelle an den nächsten
Baum zu hängen. Als aber die mit der Exekution beauftragten Offiziere fu߬
fällig um Gnade für den Mann baten, indem sie darauf hinwiesen, daß die
Spanier den armen Leuten gar viel zuleide täten, ließ er sich erweichen und
ermäßigte die Strafe dahin, daß dem armen Teufel zum dauernden Zeichen
seines gröblicher Vergehens die Nase abgeschnitten würde. „Das haben die
Obersten und Hauptleute mit underthenigsten Dank, und der Fnrman mit fro-
lichen Ohren angehört, angenommen, und sich der linden Straff mit Fremden
unterworffeu, und gar dultiglich gelitten, das jme die Nase hart vor dem Ge¬
sichte abgeschnitten, sich auch dessen die Zeit seines Lebendes der Key. Maytt.
zun Ehren gerumpt."

Ja, es war eine grobianische Zeit, das zeigt sich in Schimpf und Ernst,
bei Hoch und Niedrig, in Stadt und Land mit einer verblüffenden Deutlichkeit.
Und wunderliche Szenen spielen sich auch auf dem Reichstage zu Speyer ab,
der gleich nach Beendigung des oben erwähnten Feldzugs, im Anfang des
Jahres 1544, gehalten wurde. Der Kurfürst von Sachsen läßt, weil er keine
Kirche bekommen kann, in einer Schenke Gottesdienst halten: der Prediger steht
auf einem Stuhl, und statt der Orgel wird mit Lauten, Zinken, Trompeten und
Geigen Musik gemacht. Die Spanier aber ziehn in der Karwoche in langem
Zuge in die Varfüßerkirche. Sie tragen Wachslichter in der einen Hand, in
der andern aber die Geißel, womit sie sich den entblößten Rücken zerfleischen.
In der Kirche angekommen kriechen sie auf den Knien zu Kreuze. „Helden
cZbirui'Zos vorne in der Kirchen, so die Vvrwundeten vorbnnden. Man sagt,
daß zween aus der Kirchen weren toedt getragen." Und der Kaiser selbst übt
das Amt des Pontifex, indem er mit einem Handtuch umgürtet zwölf armen
Leuten die Füße wäscht, sie trocknet und ihnen beim Essen aufwartet.

^Fortsetzung folgt)




Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln
Karl Dieterich von

er sich in der farbenduftigen Inselwelt des Ägäischen Meeres
umhergetrieben hat, von Eiland zu Eiland sich auf feuchten
Pfaden hinüberschwingend, und wer dann die kettenartig anein¬
ander gereihten Jnselbilder wie bunte Perlen an einer Schnur
dnrch die Erinnerung gleiten läßt, der wird, wenn er nicht ge¬
rade über eines Dichters Phantasie verfügt oder sofort bis über die Knie in
den Trümmerschutt des Altertums versinkt, sondern mit unbefangnen Blick die


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[0033] Anlturbilder von den kleinasiatischen Inseln nicht recht vorwärts bringen konnten, kam der Kaiser selbst herangeritten, um sie anzuspornen, und da er bei dem einen nicht gleich Gehorsam fand, versetzte er ihm mit seinem Stock einen Schlag an den Hals. Jener aber, der den An¬ greifer nicht kannte, besann sich nicht lange, sondern hieb mit seiner Geißel uns den Kaiser los, fluchend, „daß dich spanischen Boschwicht Gotts Element schänden müsse." Karl gab den Befehl, den Frechen auf der Stelle an den nächsten Baum zu hängen. Als aber die mit der Exekution beauftragten Offiziere fu߬ fällig um Gnade für den Mann baten, indem sie darauf hinwiesen, daß die Spanier den armen Leuten gar viel zuleide täten, ließ er sich erweichen und ermäßigte die Strafe dahin, daß dem armen Teufel zum dauernden Zeichen seines gröblicher Vergehens die Nase abgeschnitten würde. „Das haben die Obersten und Hauptleute mit underthenigsten Dank, und der Fnrman mit fro- lichen Ohren angehört, angenommen, und sich der linden Straff mit Fremden unterworffeu, und gar dultiglich gelitten, das jme die Nase hart vor dem Ge¬ sichte abgeschnitten, sich auch dessen die Zeit seines Lebendes der Key. Maytt. zun Ehren gerumpt." Ja, es war eine grobianische Zeit, das zeigt sich in Schimpf und Ernst, bei Hoch und Niedrig, in Stadt und Land mit einer verblüffenden Deutlichkeit. Und wunderliche Szenen spielen sich auch auf dem Reichstage zu Speyer ab, der gleich nach Beendigung des oben erwähnten Feldzugs, im Anfang des Jahres 1544, gehalten wurde. Der Kurfürst von Sachsen läßt, weil er keine Kirche bekommen kann, in einer Schenke Gottesdienst halten: der Prediger steht auf einem Stuhl, und statt der Orgel wird mit Lauten, Zinken, Trompeten und Geigen Musik gemacht. Die Spanier aber ziehn in der Karwoche in langem Zuge in die Varfüßerkirche. Sie tragen Wachslichter in der einen Hand, in der andern aber die Geißel, womit sie sich den entblößten Rücken zerfleischen. In der Kirche angekommen kriechen sie auf den Knien zu Kreuze. „Helden cZbirui'Zos vorne in der Kirchen, so die Vvrwundeten vorbnnden. Man sagt, daß zween aus der Kirchen weren toedt getragen." Und der Kaiser selbst übt das Amt des Pontifex, indem er mit einem Handtuch umgürtet zwölf armen Leuten die Füße wäscht, sie trocknet und ihnen beim Essen aufwartet. ^Fortsetzung folgt) Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln Karl Dieterich von er sich in der farbenduftigen Inselwelt des Ägäischen Meeres umhergetrieben hat, von Eiland zu Eiland sich auf feuchten Pfaden hinüberschwingend, und wer dann die kettenartig anein¬ ander gereihten Jnselbilder wie bunte Perlen an einer Schnur dnrch die Erinnerung gleiten läßt, der wird, wenn er nicht ge¬ rade über eines Dichters Phantasie verfügt oder sofort bis über die Knie in den Trümmerschutt des Altertums versinkt, sondern mit unbefangnen Blick die Grenzboten IV 1904 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/33>, abgerufen am 26.06.2024.