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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Rnlturbilder von den kleinasiatischen Inseln

Mitteln. Der vernünftige Goethe läßt seinem Wilhelm Meister in den Frei¬
maurerlehrbrief schreibein "Worte sind gut, sie sind aber nicht das beste; das
beste wird nicht deutlich durch Worte,"*) Dem Verstände ist es etwas leichtes,
aus dem Material, das die Tendenz zusammensucht und ihm darbietet, zu be¬
weisen, daß die Welt ein sinnloses Chaos sei. Die Vernunft nimmt die Spuren
vernünftigen Waltens im Weltall und im Menschenleben und ihren Zusammen¬
hang wahr, fühlt die Urvernnnft heraus und fühlt sich dadurch beglückt; darum
sind Skepsis und Atheismus unvernünftig, und ist der Glaube vernünftig.

(Fortsetzung folgt)




Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln
Aarl vieterich von(Schluß)
4.. Vergleiche und Ergebnisse

le letzten Betrachtungen haben uns wieder daran erinnert, daß
wir in der Türkei sind, daß die türkische Regierung über alle die
individuellen Unterschiede im innern Leben dieser Inseln hinweg
ihr despotisches Zepter schwingt und dem Kulturbilde, das wir
zu zeichnen versucht haben, eine würdige Krone aufsetzt.

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal dieses Bild in seinen
wesentlichen Zügen, so wird das' am besten dadurch geschehen können, daß wir
uns im Geist auf eine Insel versetzen, die unserm westlichen Kulturkreise näher
liegt, deren Zustände aber nach allem, was kundige Beobachter darüber be¬
richten, in einer Fülle von Einzelheiten mit denen unsrer Jnseln übereinstimmen,
nämlich ans Sizilien. Man glaubt wie in einem Spiegelbilde das ganze
Leben und Treiben der kleinasiatischen Inseln vor sich abspielen zu sehen,
wenn man zum Beispiel die Schilderungen aus dem sozialen und wirtschaft¬
lichen Elend Siziliens liest, die ein genauer Kenner dieser Insel, Dr. A. Rumpelt,
in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung (1902, Ur. 16 und 49) veröffentlicht
hat, und die mir gerade zur rechten Zeit wieder zu Gesicht kommen, sodaß wir
unsern flüchtigen Skizzen einen festen, zum Teil ergänzenden Hintergrund geben
und zugleich manches, was als verhnuguisvoller Fehler der griechischen Jnsel-
bevölkernng bezeichnet werden mußte, in einem mildern Lichte zeigen können.

Auffallende Parallelen bietet zunächst das Leben in den Städten. Wenn
es in Sizilien bis auf etwa zehn, die wirklich diesen Namen verdienen. nur
Landstädte gibt, bestehend aus einem Gewirr krummer und schmutziger Gäßchen,
die sich um' eine Kirche oder einen verfallnen Palast drängen, "wie Bettler
um einen reichen Herrn," so trifft das auch für unsre Jnsclstädtchcn genau zu.
Man weiß hier nie, ob man in einem Dorfe oder in einer Stadt ist. Zu
einer wirklich städtischen Kultur fehlt es eben auf beiden Gebiete" an einem
freien Bürgertum und an Industrie.



*) Goethe hat freilich auch manches Wort geschrieben, das eine der Mcmthnerschcn ähn¬
liche Geringschätzung der Sprache verrät 1 eines legt er im ersten Buche der Wanderjahre Jarno
in den Mund, als dieser Wilhelm um Unterricht in der Gesteinkunde bittet.
Rnlturbilder von den kleinasiatischen Inseln

Mitteln. Der vernünftige Goethe läßt seinem Wilhelm Meister in den Frei¬
maurerlehrbrief schreibein „Worte sind gut, sie sind aber nicht das beste; das
beste wird nicht deutlich durch Worte,"*) Dem Verstände ist es etwas leichtes,
aus dem Material, das die Tendenz zusammensucht und ihm darbietet, zu be¬
weisen, daß die Welt ein sinnloses Chaos sei. Die Vernunft nimmt die Spuren
vernünftigen Waltens im Weltall und im Menschenleben und ihren Zusammen¬
hang wahr, fühlt die Urvernnnft heraus und fühlt sich dadurch beglückt; darum
sind Skepsis und Atheismus unvernünftig, und ist der Glaube vernünftig.

(Fortsetzung folgt)




Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln
Aarl vieterich von(Schluß)
4.. Vergleiche und Ergebnisse

le letzten Betrachtungen haben uns wieder daran erinnert, daß
wir in der Türkei sind, daß die türkische Regierung über alle die
individuellen Unterschiede im innern Leben dieser Inseln hinweg
ihr despotisches Zepter schwingt und dem Kulturbilde, das wir
zu zeichnen versucht haben, eine würdige Krone aufsetzt.

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal dieses Bild in seinen
wesentlichen Zügen, so wird das' am besten dadurch geschehen können, daß wir
uns im Geist auf eine Insel versetzen, die unserm westlichen Kulturkreise näher
liegt, deren Zustände aber nach allem, was kundige Beobachter darüber be¬
richten, in einer Fülle von Einzelheiten mit denen unsrer Jnseln übereinstimmen,
nämlich ans Sizilien. Man glaubt wie in einem Spiegelbilde das ganze
Leben und Treiben der kleinasiatischen Inseln vor sich abspielen zu sehen,
wenn man zum Beispiel die Schilderungen aus dem sozialen und wirtschaft¬
lichen Elend Siziliens liest, die ein genauer Kenner dieser Insel, Dr. A. Rumpelt,
in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung (1902, Ur. 16 und 49) veröffentlicht
hat, und die mir gerade zur rechten Zeit wieder zu Gesicht kommen, sodaß wir
unsern flüchtigen Skizzen einen festen, zum Teil ergänzenden Hintergrund geben
und zugleich manches, was als verhnuguisvoller Fehler der griechischen Jnsel-
bevölkernng bezeichnet werden mußte, in einem mildern Lichte zeigen können.

Auffallende Parallelen bietet zunächst das Leben in den Städten. Wenn
es in Sizilien bis auf etwa zehn, die wirklich diesen Namen verdienen. nur
Landstädte gibt, bestehend aus einem Gewirr krummer und schmutziger Gäßchen,
die sich um' eine Kirche oder einen verfallnen Palast drängen, „wie Bettler
um einen reichen Herrn," so trifft das auch für unsre Jnsclstädtchcn genau zu.
Man weiß hier nie, ob man in einem Dorfe oder in einer Stadt ist. Zu
einer wirklich städtischen Kultur fehlt es eben auf beiden Gebiete» an einem
freien Bürgertum und an Industrie.



*) Goethe hat freilich auch manches Wort geschrieben, das eine der Mcmthnerschcn ähn¬
liche Geringschätzung der Sprache verrät 1 eines legt er im ersten Buche der Wanderjahre Jarno
in den Mund, als dieser Wilhelm um Unterricht in der Gesteinkunde bittet.
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[0329] Rnlturbilder von den kleinasiatischen Inseln Mitteln. Der vernünftige Goethe läßt seinem Wilhelm Meister in den Frei¬ maurerlehrbrief schreibein „Worte sind gut, sie sind aber nicht das beste; das beste wird nicht deutlich durch Worte,"*) Dem Verstände ist es etwas leichtes, aus dem Material, das die Tendenz zusammensucht und ihm darbietet, zu be¬ weisen, daß die Welt ein sinnloses Chaos sei. Die Vernunft nimmt die Spuren vernünftigen Waltens im Weltall und im Menschenleben und ihren Zusammen¬ hang wahr, fühlt die Urvernnnft heraus und fühlt sich dadurch beglückt; darum sind Skepsis und Atheismus unvernünftig, und ist der Glaube vernünftig. (Fortsetzung folgt) Kulturbilder von den kleinasiatischen Inseln Aarl vieterich von(Schluß) 4.. Vergleiche und Ergebnisse le letzten Betrachtungen haben uns wieder daran erinnert, daß wir in der Türkei sind, daß die türkische Regierung über alle die individuellen Unterschiede im innern Leben dieser Inseln hinweg ihr despotisches Zepter schwingt und dem Kulturbilde, das wir zu zeichnen versucht haben, eine würdige Krone aufsetzt. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal dieses Bild in seinen wesentlichen Zügen, so wird das' am besten dadurch geschehen können, daß wir uns im Geist auf eine Insel versetzen, die unserm westlichen Kulturkreise näher liegt, deren Zustände aber nach allem, was kundige Beobachter darüber be¬ richten, in einer Fülle von Einzelheiten mit denen unsrer Jnseln übereinstimmen, nämlich ans Sizilien. Man glaubt wie in einem Spiegelbilde das ganze Leben und Treiben der kleinasiatischen Inseln vor sich abspielen zu sehen, wenn man zum Beispiel die Schilderungen aus dem sozialen und wirtschaft¬ lichen Elend Siziliens liest, die ein genauer Kenner dieser Insel, Dr. A. Rumpelt, in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung (1902, Ur. 16 und 49) veröffentlicht hat, und die mir gerade zur rechten Zeit wieder zu Gesicht kommen, sodaß wir unsern flüchtigen Skizzen einen festen, zum Teil ergänzenden Hintergrund geben und zugleich manches, was als verhnuguisvoller Fehler der griechischen Jnsel- bevölkernng bezeichnet werden mußte, in einem mildern Lichte zeigen können. Auffallende Parallelen bietet zunächst das Leben in den Städten. Wenn es in Sizilien bis auf etwa zehn, die wirklich diesen Namen verdienen. nur Landstädte gibt, bestehend aus einem Gewirr krummer und schmutziger Gäßchen, die sich um' eine Kirche oder einen verfallnen Palast drängen, „wie Bettler um einen reichen Herrn," so trifft das auch für unsre Jnsclstädtchcn genau zu. Man weiß hier nie, ob man in einem Dorfe oder in einer Stadt ist. Zu einer wirklich städtischen Kultur fehlt es eben auf beiden Gebiete» an einem freien Bürgertum und an Industrie. *) Goethe hat freilich auch manches Wort geschrieben, das eine der Mcmthnerschcn ähn¬ liche Geringschätzung der Sprache verrät 1 eines legt er im ersten Buche der Wanderjahre Jarno in den Mund, als dieser Wilhelm um Unterricht in der Gesteinkunde bittet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/329>, abgerufen am 26.06.2024.