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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Rückblick auf die Schicksale des Königreichs Sachsen im Jahre IM6

fortdauerndes Spiel des langjährigen, unruhigen Gegners Preußens auch im
feindlichen Lager erwarten zu müssen. Ottokar Lorenz in Jena schreibt in
seinem Geschichtswerk: "Kaiser Wilhelm und die Begründung des Reichs
1866 bis 1871/' Seite 99: "Für die Gestaltung der künftigen Bundesver-
fassung und Reichseinheit blieben indessen alle Versuche fremder Einwirkung
vergeblich, und bevor noch die Grundzüge derselben in Preußen selbst fest¬
gestellt waren, hatte Bismarck die Grenzen der sächsischen Souveränität so fest
und klar, insbesondre in betreff der militärischen und internationalen Verhält¬
nisse, gezogen, daß sich die persönlichen und staatlichen Bundesverhältnisse
zwischen Sachsen nud Preußen ohne irgend welchen Gegensatz in günstiger
Weise gestalten ließen. Und es hatte der ehrliche und rückhaltlose Anschluß
Sachsens, der insbesondre dem König Johann als ein in der Geschicht¬
schreibung viel zu wenig anerkanntes Verdienst persönlich zuzuschreiben sein
wird, darin einen außerordentlichen Wert vor Europa, weil die besonders in
Süddeutschland verbreitete Behauptung, eine Unterordnung der Königreiche
unter das preußische Bundespräsidium werde niemals zu einem wohlgeordneten
Staatsverhältnis führen, klar widerlegt worden war." Der Friedensvertrag
mit Sachsen wurde am 21. Oktober unterzeichnet, und danach umfaßte der
neue Deutsche Bund zweiundzwanzig Staaten, die am 21. November 1866
zu einer Konferenz, auf der die Verfassung des Norddeutschen Bundes beraten
und festgestellt werden sollte, berufen wurden; die Konferenz wurde von den
verbündeten Regierungen am 15. Dezember in Berlin begonnen.


2

Eine besondre Berücksichtigung in den Nikolsburg-Prager Friedensver-
handlungen verdiente Sachsens Schicksal einerseits wegen seiner isolierten
Lage, nachdem Bayern und Österreich Sachsen sozusagen gegen Preußens
Großmachtspläne im Stiche gelassen hatte, Sachsen sich sonach zur Rettung
seiner Dynastie an den größten Staat des alten Bundes hingedrängt sah,
andrerseits deshalb, weil seine Armee, deren Disziplin während des kurzen,
aber die höchsten Anforderungen stellenden Kampfes allseitig gerühmt wurde,
trotz der anerkannten Befähigung ihres Befehlshabers, des Kronprinzen Albert^
unter der schwankenden, überhaupt unsichern österreichischen Oberleitung und
der Schlamperei der österreichischen Verwaltung zu leiden hatte und somit in
den Strudel der Kriegswogen hineingerissen wurde. Vielfach wurde die Ursache
der Niederlage in der Überlegenheit der preußischen Infanterie gesucht, nicht
bloß in deren Führung, sondern vorzugsweise in der Bewaffnung mit dem
neuen Dreysescheu Hinterlader, dem Zündnadelgewehr, womit die österreichische
Stoßtaktik gelähmt worden sei; aber in der Artillerie und der Kavallerie
wurde Österreich ein Übergewicht zuerkannt, dessen Stärke freilich unter den
Massenerfolgen des Schuellfeuers der Infanterie stark vermindert wurde. Der
Verwirrung in der österreichischen Heeresleitung wird hauptsächlich die Nieder¬
lage zugeschoben, und darunter hatte die österreichisch-sächsische Nordarmee
gleich von Anfang des Zusammentreffens mit der ersten preußischen Armee
unter dem Prinzen Friedrich Karl bei Münchengrätz und Gitschin zu leiden;


Rückblick auf die Schicksale des Königreichs Sachsen im Jahre IM6

fortdauerndes Spiel des langjährigen, unruhigen Gegners Preußens auch im
feindlichen Lager erwarten zu müssen. Ottokar Lorenz in Jena schreibt in
seinem Geschichtswerk: „Kaiser Wilhelm und die Begründung des Reichs
1866 bis 1871/' Seite 99: „Für die Gestaltung der künftigen Bundesver-
fassung und Reichseinheit blieben indessen alle Versuche fremder Einwirkung
vergeblich, und bevor noch die Grundzüge derselben in Preußen selbst fest¬
gestellt waren, hatte Bismarck die Grenzen der sächsischen Souveränität so fest
und klar, insbesondre in betreff der militärischen und internationalen Verhält¬
nisse, gezogen, daß sich die persönlichen und staatlichen Bundesverhältnisse
zwischen Sachsen nud Preußen ohne irgend welchen Gegensatz in günstiger
Weise gestalten ließen. Und es hatte der ehrliche und rückhaltlose Anschluß
Sachsens, der insbesondre dem König Johann als ein in der Geschicht¬
schreibung viel zu wenig anerkanntes Verdienst persönlich zuzuschreiben sein
wird, darin einen außerordentlichen Wert vor Europa, weil die besonders in
Süddeutschland verbreitete Behauptung, eine Unterordnung der Königreiche
unter das preußische Bundespräsidium werde niemals zu einem wohlgeordneten
Staatsverhältnis führen, klar widerlegt worden war." Der Friedensvertrag
mit Sachsen wurde am 21. Oktober unterzeichnet, und danach umfaßte der
neue Deutsche Bund zweiundzwanzig Staaten, die am 21. November 1866
zu einer Konferenz, auf der die Verfassung des Norddeutschen Bundes beraten
und festgestellt werden sollte, berufen wurden; die Konferenz wurde von den
verbündeten Regierungen am 15. Dezember in Berlin begonnen.


2

Eine besondre Berücksichtigung in den Nikolsburg-Prager Friedensver-
handlungen verdiente Sachsens Schicksal einerseits wegen seiner isolierten
Lage, nachdem Bayern und Österreich Sachsen sozusagen gegen Preußens
Großmachtspläne im Stiche gelassen hatte, Sachsen sich sonach zur Rettung
seiner Dynastie an den größten Staat des alten Bundes hingedrängt sah,
andrerseits deshalb, weil seine Armee, deren Disziplin während des kurzen,
aber die höchsten Anforderungen stellenden Kampfes allseitig gerühmt wurde,
trotz der anerkannten Befähigung ihres Befehlshabers, des Kronprinzen Albert^
unter der schwankenden, überhaupt unsichern österreichischen Oberleitung und
der Schlamperei der österreichischen Verwaltung zu leiden hatte und somit in
den Strudel der Kriegswogen hineingerissen wurde. Vielfach wurde die Ursache
der Niederlage in der Überlegenheit der preußischen Infanterie gesucht, nicht
bloß in deren Führung, sondern vorzugsweise in der Bewaffnung mit dem
neuen Dreysescheu Hinterlader, dem Zündnadelgewehr, womit die österreichische
Stoßtaktik gelähmt worden sei; aber in der Artillerie und der Kavallerie
wurde Österreich ein Übergewicht zuerkannt, dessen Stärke freilich unter den
Massenerfolgen des Schuellfeuers der Infanterie stark vermindert wurde. Der
Verwirrung in der österreichischen Heeresleitung wird hauptsächlich die Nieder¬
lage zugeschoben, und darunter hatte die österreichisch-sächsische Nordarmee
gleich von Anfang des Zusammentreffens mit der ersten preußischen Armee
unter dem Prinzen Friedrich Karl bei Münchengrätz und Gitschin zu leiden;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/251>, abgerufen am 26.06.2024.