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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Bartholomäus Sastrow

Schulenstreits einzutreten, dazu fehlt es hier ein Raum; aber ich habe auf
Grund der mannigfachen Beobachtungen und Erfahrungen, von denen ich
oben einen kurzen Auszug gegeben habe, und die jeder aufrichtige praktische
Jurist mir bestätigen wird, die Überzeugung gewonnen, daß wir nicht eher
eine gesunde Strafrechtspflege haben werden, als bis diese Frage entschieden
sein wird, oder richtiger, als bis der Gesetzgeber zu dieser Frage in dem einen
oder in dem andern Sinne Stellung genommen haben wird. Auch auf die
Gefahr hin, daß diese Stellung falsch ist, und daß die Erfahrungen, die wir
mit einer darauf aufgebunden Rechtspflege machen werden, uns von dieser
Unrichtigkeit überzeugen -- tausendmal besser werden wir daran sein, wenn
die Strafrechtsnormen selbst, die Bestimmungen über die Strafgrenzen, die
Einrichtungen der Untersuchungshaft, die Anträge der Staatsanwaltschaft, die
Veratungen und Entscheidungen der Nichterbank, kurz das ganze Verfahren,
und dann vor allem auch die Strafvollstreckung, mit einem Wort, die ganze
Strafrechtspflege uuter einer Losung, unter einem einheitlichen Gedanken
stehn, als wenn sich dieser greuliche Salat von zerfahrnen Ansichten, halben
und unreifen Beweggründen, von denen ich oben bei der Strafabmessnngsfrage
eine kleine Kostprobe gegeben habe, noch ferner in unsern Gesetzbüchern, in
unsern Gerichtssälen und in unsern Strafanstalten breit macht.

(Schluß folgt)




Bartholomäus ^"astrow
F. Auntze von in

as sechzehnte Jahrhundert ist die Zeit der Chroniken und der
Selbstbiographien. Die Memoiren Thomas Platters, Götzens von
Berlichingen, Schertlins von Burtenbach, Hansens von Schwei-
nichen sind wenigstens dem Namen nach allgemein bekannt und
jetzt in handlichen Ausgaben verbreitet. Weniger bekannt sind
dagegen die Denkwürdigkeiten des Stralsundischen Bürgermeisters Bartholomäus
Sastrow. Und doch können sie sich an Bedeutung mit den Schriften der ge¬
nannten reichlich messen, ja sie übertreffen sie an Reichtum und Vielseitigkeit
des Inhalts. Sastrows Leben, das den größten Teil des sechzehnten Jahr¬
hunderts ausfüllt, ist reich an Erlebnissen und Erfahrungen aller Art: uicht
nur die Begebenheiten, die sich in seiner engern Heimat abspielten, berichtet er
mit ausführlicher Treue, auch die Geschicke des Reichs hat er jederzeit auf¬
merksam verfolgt und ist ihrer Entwicklung zeitweilig nähe getreten. Auf seinen
Reisen kam er bis nach Italien und Rom; in Speyer, dem Sitz des Reichs¬
kammergerichts, hielt er sich Jahr und Tag auf, dem denkwürdigen Reichstage
zu Augsburg vom Jahre 1547/48 wohnte er in diplomatischer Mission von
Anfang bis zu Ende bei. Fünfundsiebzig Jahre war er alt, als er die wich¬
tigsten Begebenheiten seines Lebens -- wahrscheinlich mit Benutzung früher an-


Bartholomäus Sastrow

Schulenstreits einzutreten, dazu fehlt es hier ein Raum; aber ich habe auf
Grund der mannigfachen Beobachtungen und Erfahrungen, von denen ich
oben einen kurzen Auszug gegeben habe, und die jeder aufrichtige praktische
Jurist mir bestätigen wird, die Überzeugung gewonnen, daß wir nicht eher
eine gesunde Strafrechtspflege haben werden, als bis diese Frage entschieden
sein wird, oder richtiger, als bis der Gesetzgeber zu dieser Frage in dem einen
oder in dem andern Sinne Stellung genommen haben wird. Auch auf die
Gefahr hin, daß diese Stellung falsch ist, und daß die Erfahrungen, die wir
mit einer darauf aufgebunden Rechtspflege machen werden, uns von dieser
Unrichtigkeit überzeugen — tausendmal besser werden wir daran sein, wenn
die Strafrechtsnormen selbst, die Bestimmungen über die Strafgrenzen, die
Einrichtungen der Untersuchungshaft, die Anträge der Staatsanwaltschaft, die
Veratungen und Entscheidungen der Nichterbank, kurz das ganze Verfahren,
und dann vor allem auch die Strafvollstreckung, mit einem Wort, die ganze
Strafrechtspflege uuter einer Losung, unter einem einheitlichen Gedanken
stehn, als wenn sich dieser greuliche Salat von zerfahrnen Ansichten, halben
und unreifen Beweggründen, von denen ich oben bei der Strafabmessnngsfrage
eine kleine Kostprobe gegeben habe, noch ferner in unsern Gesetzbüchern, in
unsern Gerichtssälen und in unsern Strafanstalten breit macht.

(Schluß folgt)




Bartholomäus ^»astrow
F. Auntze von in

as sechzehnte Jahrhundert ist die Zeit der Chroniken und der
Selbstbiographien. Die Memoiren Thomas Platters, Götzens von
Berlichingen, Schertlins von Burtenbach, Hansens von Schwei-
nichen sind wenigstens dem Namen nach allgemein bekannt und
jetzt in handlichen Ausgaben verbreitet. Weniger bekannt sind
dagegen die Denkwürdigkeiten des Stralsundischen Bürgermeisters Bartholomäus
Sastrow. Und doch können sie sich an Bedeutung mit den Schriften der ge¬
nannten reichlich messen, ja sie übertreffen sie an Reichtum und Vielseitigkeit
des Inhalts. Sastrows Leben, das den größten Teil des sechzehnten Jahr¬
hunderts ausfüllt, ist reich an Erlebnissen und Erfahrungen aller Art: uicht
nur die Begebenheiten, die sich in seiner engern Heimat abspielten, berichtet er
mit ausführlicher Treue, auch die Geschicke des Reichs hat er jederzeit auf¬
merksam verfolgt und ist ihrer Entwicklung zeitweilig nähe getreten. Auf seinen
Reisen kam er bis nach Italien und Rom; in Speyer, dem Sitz des Reichs¬
kammergerichts, hielt er sich Jahr und Tag auf, dem denkwürdigen Reichstage
zu Augsburg vom Jahre 1547/48 wohnte er in diplomatischer Mission von
Anfang bis zu Ende bei. Fünfundsiebzig Jahre war er alt, als er die wich¬
tigsten Begebenheiten seines Lebens — wahrscheinlich mit Benutzung früher an-


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[0024] Bartholomäus Sastrow Schulenstreits einzutreten, dazu fehlt es hier ein Raum; aber ich habe auf Grund der mannigfachen Beobachtungen und Erfahrungen, von denen ich oben einen kurzen Auszug gegeben habe, und die jeder aufrichtige praktische Jurist mir bestätigen wird, die Überzeugung gewonnen, daß wir nicht eher eine gesunde Strafrechtspflege haben werden, als bis diese Frage entschieden sein wird, oder richtiger, als bis der Gesetzgeber zu dieser Frage in dem einen oder in dem andern Sinne Stellung genommen haben wird. Auch auf die Gefahr hin, daß diese Stellung falsch ist, und daß die Erfahrungen, die wir mit einer darauf aufgebunden Rechtspflege machen werden, uns von dieser Unrichtigkeit überzeugen — tausendmal besser werden wir daran sein, wenn die Strafrechtsnormen selbst, die Bestimmungen über die Strafgrenzen, die Einrichtungen der Untersuchungshaft, die Anträge der Staatsanwaltschaft, die Veratungen und Entscheidungen der Nichterbank, kurz das ganze Verfahren, und dann vor allem auch die Strafvollstreckung, mit einem Wort, die ganze Strafrechtspflege uuter einer Losung, unter einem einheitlichen Gedanken stehn, als wenn sich dieser greuliche Salat von zerfahrnen Ansichten, halben und unreifen Beweggründen, von denen ich oben bei der Strafabmessnngsfrage eine kleine Kostprobe gegeben habe, noch ferner in unsern Gesetzbüchern, in unsern Gerichtssälen und in unsern Strafanstalten breit macht. (Schluß folgt) Bartholomäus ^»astrow F. Auntze von in as sechzehnte Jahrhundert ist die Zeit der Chroniken und der Selbstbiographien. Die Memoiren Thomas Platters, Götzens von Berlichingen, Schertlins von Burtenbach, Hansens von Schwei- nichen sind wenigstens dem Namen nach allgemein bekannt und jetzt in handlichen Ausgaben verbreitet. Weniger bekannt sind dagegen die Denkwürdigkeiten des Stralsundischen Bürgermeisters Bartholomäus Sastrow. Und doch können sie sich an Bedeutung mit den Schriften der ge¬ nannten reichlich messen, ja sie übertreffen sie an Reichtum und Vielseitigkeit des Inhalts. Sastrows Leben, das den größten Teil des sechzehnten Jahr¬ hunderts ausfüllt, ist reich an Erlebnissen und Erfahrungen aller Art: uicht nur die Begebenheiten, die sich in seiner engern Heimat abspielten, berichtet er mit ausführlicher Treue, auch die Geschicke des Reichs hat er jederzeit auf¬ merksam verfolgt und ist ihrer Entwicklung zeitweilig nähe getreten. Auf seinen Reisen kam er bis nach Italien und Rom; in Speyer, dem Sitz des Reichs¬ kammergerichts, hielt er sich Jahr und Tag auf, dem denkwürdigen Reichstage zu Augsburg vom Jahre 1547/48 wohnte er in diplomatischer Mission von Anfang bis zu Ende bei. Fünfundsiebzig Jahre war er alt, als er die wich¬ tigsten Begebenheiten seines Lebens — wahrscheinlich mit Benutzung früher an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/24>, abgerufen am 26.06.2024.