Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.vom Strafmaß unsers Staatswesens macht. Wir werden die Auswandrung nicht künstlich Die Grundwurzeln unsrer Kraft werden nach wie vor in Deutschland selbst Vom Strafmaß is ich als junger Assessor bei der Staatsanwaltschaft zum ersten¬ Grenzboten IV 1904 2
vom Strafmaß unsers Staatswesens macht. Wir werden die Auswandrung nicht künstlich Die Grundwurzeln unsrer Kraft werden nach wie vor in Deutschland selbst Vom Strafmaß is ich als junger Assessor bei der Staatsanwaltschaft zum ersten¬ Grenzboten IV 1904 2
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295236"/> <fw type="header" place="top"> vom Strafmaß</fw><lb/> <p xml:id="ID_26" prev="#ID_25"> unsers Staatswesens macht. Wir werden die Auswandrung nicht künstlich<lb/> steigern, wohl aber den Strom unsrer Auswandrer dorthin lenken, um die Be¬<lb/> sitzungen so deutsch wie möglich zu machen, und das wird uns in den schwach<lb/> bevölkerten Teilen Südamerikas verhältnismüßig leicht werden; wir werden alle<lb/> Neger grundsätzlich fern halten und möglichst nur solche Nationen zulassen, die<lb/> unsre Sprache sprechen; endlich werden wir den Besitzungen das größte Maß<lb/> von Selbstverwaltung geben und sie in zollpolitischer Hinsicht so günstig stellen,<lb/> als es die Interessen des Mutterlandes nur irgend erlauben.</p><lb/> <p xml:id="ID_27"> Die Grundwurzeln unsrer Kraft werden nach wie vor in Deutschland selbst<lb/> ruhn. Dieses darf von den Kolonien nur im Bezüge der industriellen Roh¬<lb/> stoffe, aber nie in der Lebensmittelversorgung abhängig werden. Nie dürfen<lb/> wir vergessen, daß unser Vaterland infolge seiner geographischen Lage eine<lb/> Festung ist, die jeden Tag für eine Belagerung gerüstet sein muß. Je mehr<lb/> die Regierungen in unermüdlicher Arbeit dafür sorgen, daß die jetzt noch brach¬<lb/> liegenden Ödländer Deutschlands urbar gemacht werden, damit unsre Getreide-<lb/> und Viehproduktion gesteigert wird, desto sicherer werden wir auch der Even¬<lb/> tualität eines europäischen Krieges ins Auge sehen können, der uns bei un¬<lb/> genügenden Lebensmittelvorräten sonst wahrscheinlich die schlimmsten Gefahren,<lb/> jedenfalls aber eine Preissteigerung ohnegleichen bringen würde. England ist<lb/> schon jetzt eine Festung, die so schwach verproviantiert ist, daß die kürzeste Ein¬<lb/> schließung die Kapitulation herbeiführen müßte. Daß das momentan noch un¬<lb/> möglich erscheint, ist richtig, aber schließlich ist es doch nur eine Frage der Zeit,<lb/> daß zwei andre Kriegsflotten ausreichen werden, zusammen die britische See¬<lb/> macht zu bekriegen und die britischen Häfen zu blockieren. Wir aber, die wir<lb/> eine zwar vortreffliche, aber vorläufig sehr kleine Flotte haben, müssen uns<lb/> doppelt hüten, in den englischen Fehler zu verfallen, ganz abgesehen davon,<lb/> daß unsre Festung von keinem schützenden Wassergraben umgeben ist.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Vom Strafmaß</head><lb/> <p xml:id="ID_28" next="#ID_29"> is ich als junger Assessor bei der Staatsanwaltschaft zum ersten¬<lb/> mal die Funktionen dieser Behörde vor dem Schöffengericht wahr¬<lb/> nehmen mußte und vorher vergeblich versucht hatte, mir aus dein<lb/> Bündel flüchtiger Notizen, die sich mit dem stolzen Namen „Hand¬<lb/> akten der Staatsanwaltschaft" brüsteten, ungefähr ein Bild von<lb/> den zur Verhandlung stehenden „Straftaten" zu machen, wandte ich mich an<lb/> meinen nächsten Vorgesetzten, den Abteilungschef, mit etlichen Fragen, unter<lb/> denen auch die war: „Wonach soll ich mich eigentlich richten, um das richtige<lb/> Strafmaß zu beantragen?" Darauf sprang der gegen uns jüngere Kollegen<lb/> überaus liebenswürdige, im Dienste der von ihm schwärmerisch geliebten und<lb/> verehrten Anklagebehörde ergraute Herr lebhaft aus seinem Schreibsessel auf,<lb/> schritt einmal im Zimmer hin und her, blieb dann vor mir stehn und faßte</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1904 2</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
vom Strafmaß
unsers Staatswesens macht. Wir werden die Auswandrung nicht künstlich
steigern, wohl aber den Strom unsrer Auswandrer dorthin lenken, um die Be¬
sitzungen so deutsch wie möglich zu machen, und das wird uns in den schwach
bevölkerten Teilen Südamerikas verhältnismüßig leicht werden; wir werden alle
Neger grundsätzlich fern halten und möglichst nur solche Nationen zulassen, die
unsre Sprache sprechen; endlich werden wir den Besitzungen das größte Maß
von Selbstverwaltung geben und sie in zollpolitischer Hinsicht so günstig stellen,
als es die Interessen des Mutterlandes nur irgend erlauben.
Die Grundwurzeln unsrer Kraft werden nach wie vor in Deutschland selbst
ruhn. Dieses darf von den Kolonien nur im Bezüge der industriellen Roh¬
stoffe, aber nie in der Lebensmittelversorgung abhängig werden. Nie dürfen
wir vergessen, daß unser Vaterland infolge seiner geographischen Lage eine
Festung ist, die jeden Tag für eine Belagerung gerüstet sein muß. Je mehr
die Regierungen in unermüdlicher Arbeit dafür sorgen, daß die jetzt noch brach¬
liegenden Ödländer Deutschlands urbar gemacht werden, damit unsre Getreide-
und Viehproduktion gesteigert wird, desto sicherer werden wir auch der Even¬
tualität eines europäischen Krieges ins Auge sehen können, der uns bei un¬
genügenden Lebensmittelvorräten sonst wahrscheinlich die schlimmsten Gefahren,
jedenfalls aber eine Preissteigerung ohnegleichen bringen würde. England ist
schon jetzt eine Festung, die so schwach verproviantiert ist, daß die kürzeste Ein¬
schließung die Kapitulation herbeiführen müßte. Daß das momentan noch un¬
möglich erscheint, ist richtig, aber schließlich ist es doch nur eine Frage der Zeit,
daß zwei andre Kriegsflotten ausreichen werden, zusammen die britische See¬
macht zu bekriegen und die britischen Häfen zu blockieren. Wir aber, die wir
eine zwar vortreffliche, aber vorläufig sehr kleine Flotte haben, müssen uns
doppelt hüten, in den englischen Fehler zu verfallen, ganz abgesehen davon,
daß unsre Festung von keinem schützenden Wassergraben umgeben ist.
Vom Strafmaß
is ich als junger Assessor bei der Staatsanwaltschaft zum ersten¬
mal die Funktionen dieser Behörde vor dem Schöffengericht wahr¬
nehmen mußte und vorher vergeblich versucht hatte, mir aus dein
Bündel flüchtiger Notizen, die sich mit dem stolzen Namen „Hand¬
akten der Staatsanwaltschaft" brüsteten, ungefähr ein Bild von
den zur Verhandlung stehenden „Straftaten" zu machen, wandte ich mich an
meinen nächsten Vorgesetzten, den Abteilungschef, mit etlichen Fragen, unter
denen auch die war: „Wonach soll ich mich eigentlich richten, um das richtige
Strafmaß zu beantragen?" Darauf sprang der gegen uns jüngere Kollegen
überaus liebenswürdige, im Dienste der von ihm schwärmerisch geliebten und
verehrten Anklagebehörde ergraute Herr lebhaft aus seinem Schreibsessel auf,
schritt einmal im Zimmer hin und her, blieb dann vor mir stehn und faßte
Grenzboten IV 1904 2
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