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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinseln und Träume

gefaßte "Kunstgeschichte von Max Schund, mit 400 Abbildungen und 10 Farben¬
drucktafeln" (Neudamm, Neumann, 7,50 Mark). Durch Beseitigung des ver¬
gleichsweise Nebensächlichen und strenge Kürze des Ausdrucks hat sich der
Verfasser den zur Entwicklung seiner Gegenstände nötigen Raum geschafft, er
beherrscht den Stoff und die Sprache. Der Leser fühlt sich nicht zudringlich
belehrt, sondern angenehm unterhalten, und er bekommt dabei lebendige Ein¬
drücke. Das Buch enthält außerordentlich hübsche Partien und auch eigne Ge¬
danken. Wir wollen das Vergnügen, das es uns gemacht hat, nicht dnrch
einzelne Einwendungen, die man ja wohl gegen jedes Buch erheben kann, ein¬
schränken und möchten nur bemerken, daß uns das Altertum auf 284 Seiten
unnötig ausführlich behandelt zu sein scheint; das ist kein Verhältnis gegen¬
über den 350 Seiten der ganzen neuern Kunst vom Ausgange des Mittelalters
bis auf die Gegenwart. Die Illustration ist bei dem ungewöhnlich niedrigen
Preise sehr reichhaltig. Ein als Anhang beigegebner "Kurzer Abriß der Ge¬
schichte der Musik und "erj Oper von Clarence Sherwood" scheint uns da¬
gegen nur einen sehr geringen Wert zu haben. Die "neue Zeit" (seit Haydn
und Mozart) mag noch hingehn als eine allererste Orientierung für den ganz
Unkundigen. Das Frühere ist so oberflächlich und ungenügend, daß es in dieser
Form gar keinen Zweck erfüllen kann.

(Fortsetzung folgt)




Glücksinseln und Träume
Friedrich Ratzel von (Fortsetzung)
3. Heimweh

Ja, ein Weh gibts, das man nicht ertrüge.
Wenn es nicht sein eignes Maß zerbräche.

Friedrich Hebbel
1

> es liebe zwar sehr den Quarkkuchen und habe ihn geliebt, solange ich
denken kann, aber es ging heute nicht recht vorwärts damit. Ich hatte
mir vorgenommen, drei Stücke davon zu essen, nun war ich noch am
ersten. Die Bissen waren so sonderbar schwer, ihre Süße so auf¬
dringlich, fast anwidernd, und sie schienen im Munde zu wachsen.
-I Ich hatte, als man den Kuchen hereintrug, wie immer, das herrliche
kräftige Braun seiner Oberfläche, in dem eine verborgne Glut ist, und als man
ihn anschnitt, das blühende Gelb seiner Innenseite bewundert, aus dein purpur¬
schwarze Rosinen fröhlich heranszwinkerten. Jedesmal, wenn ich einen solchen
Kuchen sehe, muß ich an kostbare Orchideen denken, bei denen eine ähnliche Kom¬
bination von tiefen, satten Farben um Braun und Gelb herum vorkommt. Der
Vanillegernch mag dazu beitragen. Die Vanilleschote kommt ja von Orchideen.
Heute vermochte ich gar nicht so weit hinauszudenken. Ich hatte vielmehr eine
Vision ausschließlich in die Höhe: das grautapezierte Zimmer, worin ich stand,
hatte seine Decke verloren, seine Wände waren ungeheuer weit nach oben gewachsen,Ä>


Grenzboten I V 190421
Glücksinseln und Träume

gefaßte „Kunstgeschichte von Max Schund, mit 400 Abbildungen und 10 Farben¬
drucktafeln" (Neudamm, Neumann, 7,50 Mark). Durch Beseitigung des ver¬
gleichsweise Nebensächlichen und strenge Kürze des Ausdrucks hat sich der
Verfasser den zur Entwicklung seiner Gegenstände nötigen Raum geschafft, er
beherrscht den Stoff und die Sprache. Der Leser fühlt sich nicht zudringlich
belehrt, sondern angenehm unterhalten, und er bekommt dabei lebendige Ein¬
drücke. Das Buch enthält außerordentlich hübsche Partien und auch eigne Ge¬
danken. Wir wollen das Vergnügen, das es uns gemacht hat, nicht dnrch
einzelne Einwendungen, die man ja wohl gegen jedes Buch erheben kann, ein¬
schränken und möchten nur bemerken, daß uns das Altertum auf 284 Seiten
unnötig ausführlich behandelt zu sein scheint; das ist kein Verhältnis gegen¬
über den 350 Seiten der ganzen neuern Kunst vom Ausgange des Mittelalters
bis auf die Gegenwart. Die Illustration ist bei dem ungewöhnlich niedrigen
Preise sehr reichhaltig. Ein als Anhang beigegebner „Kurzer Abriß der Ge¬
schichte der Musik und »erj Oper von Clarence Sherwood" scheint uns da¬
gegen nur einen sehr geringen Wert zu haben. Die „neue Zeit" (seit Haydn
und Mozart) mag noch hingehn als eine allererste Orientierung für den ganz
Unkundigen. Das Frühere ist so oberflächlich und ungenügend, daß es in dieser
Form gar keinen Zweck erfüllen kann.

(Fortsetzung folgt)




Glücksinseln und Träume
Friedrich Ratzel von (Fortsetzung)
3. Heimweh

Ja, ein Weh gibts, das man nicht ertrüge.
Wenn es nicht sein eignes Maß zerbräche.

Friedrich Hebbel
1

> es liebe zwar sehr den Quarkkuchen und habe ihn geliebt, solange ich
denken kann, aber es ging heute nicht recht vorwärts damit. Ich hatte
mir vorgenommen, drei Stücke davon zu essen, nun war ich noch am
ersten. Die Bissen waren so sonderbar schwer, ihre Süße so auf¬
dringlich, fast anwidernd, und sie schienen im Munde zu wachsen.
-I Ich hatte, als man den Kuchen hereintrug, wie immer, das herrliche
kräftige Braun seiner Oberfläche, in dem eine verborgne Glut ist, und als man
ihn anschnitt, das blühende Gelb seiner Innenseite bewundert, aus dein purpur¬
schwarze Rosinen fröhlich heranszwinkerten. Jedesmal, wenn ich einen solchen
Kuchen sehe, muß ich an kostbare Orchideen denken, bei denen eine ähnliche Kom¬
bination von tiefen, satten Farben um Braun und Gelb herum vorkommt. Der
Vanillegernch mag dazu beitragen. Die Vanilleschote kommt ja von Orchideen.
Heute vermochte ich gar nicht so weit hinauszudenken. Ich hatte vielmehr eine
Vision ausschließlich in die Höhe: das grautapezierte Zimmer, worin ich stand,
hatte seine Decke verloren, seine Wände waren ungeheuer weit nach oben gewachsen,Ä>


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[0159] Glücksinseln und Träume gefaßte „Kunstgeschichte von Max Schund, mit 400 Abbildungen und 10 Farben¬ drucktafeln" (Neudamm, Neumann, 7,50 Mark). Durch Beseitigung des ver¬ gleichsweise Nebensächlichen und strenge Kürze des Ausdrucks hat sich der Verfasser den zur Entwicklung seiner Gegenstände nötigen Raum geschafft, er beherrscht den Stoff und die Sprache. Der Leser fühlt sich nicht zudringlich belehrt, sondern angenehm unterhalten, und er bekommt dabei lebendige Ein¬ drücke. Das Buch enthält außerordentlich hübsche Partien und auch eigne Ge¬ danken. Wir wollen das Vergnügen, das es uns gemacht hat, nicht dnrch einzelne Einwendungen, die man ja wohl gegen jedes Buch erheben kann, ein¬ schränken und möchten nur bemerken, daß uns das Altertum auf 284 Seiten unnötig ausführlich behandelt zu sein scheint; das ist kein Verhältnis gegen¬ über den 350 Seiten der ganzen neuern Kunst vom Ausgange des Mittelalters bis auf die Gegenwart. Die Illustration ist bei dem ungewöhnlich niedrigen Preise sehr reichhaltig. Ein als Anhang beigegebner „Kurzer Abriß der Ge¬ schichte der Musik und »erj Oper von Clarence Sherwood" scheint uns da¬ gegen nur einen sehr geringen Wert zu haben. Die „neue Zeit" (seit Haydn und Mozart) mag noch hingehn als eine allererste Orientierung für den ganz Unkundigen. Das Frühere ist so oberflächlich und ungenügend, daß es in dieser Form gar keinen Zweck erfüllen kann. (Fortsetzung folgt) Glücksinseln und Träume Friedrich Ratzel von (Fortsetzung) 3. Heimweh Ja, ein Weh gibts, das man nicht ertrüge. Wenn es nicht sein eignes Maß zerbräche. Friedrich Hebbel 1 > es liebe zwar sehr den Quarkkuchen und habe ihn geliebt, solange ich denken kann, aber es ging heute nicht recht vorwärts damit. Ich hatte mir vorgenommen, drei Stücke davon zu essen, nun war ich noch am ersten. Die Bissen waren so sonderbar schwer, ihre Süße so auf¬ dringlich, fast anwidernd, und sie schienen im Munde zu wachsen. -I Ich hatte, als man den Kuchen hereintrug, wie immer, das herrliche kräftige Braun seiner Oberfläche, in dem eine verborgne Glut ist, und als man ihn anschnitt, das blühende Gelb seiner Innenseite bewundert, aus dein purpur¬ schwarze Rosinen fröhlich heranszwinkerten. Jedesmal, wenn ich einen solchen Kuchen sehe, muß ich an kostbare Orchideen denken, bei denen eine ähnliche Kom¬ bination von tiefen, satten Farben um Braun und Gelb herum vorkommt. Der Vanillegernch mag dazu beitragen. Die Vanilleschote kommt ja von Orchideen. Heute vermochte ich gar nicht so weit hinauszudenken. Ich hatte vielmehr eine Vision ausschließlich in die Höhe: das grautapezierte Zimmer, worin ich stand, hatte seine Decke verloren, seine Wände waren ungeheuer weit nach oben gewachsen,Ä> Grenzboten I V 190421

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/159>, abgerufen am 26.06.2024.