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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Neufundland und das englisch-französische Abkommen

und heranzieht, die Leistungsfähigen also viel stärker anspannt als vorher, eine
Stärkung erfahren.

Im Jahre 1893 haben sich Miquel und der Reichsschatzamtssekretär von
Thielemann ebenfalls gegen die Einführung einer Wehrsteuer ausgesprochen-
Thielemann hat sie sogar als grausam bezeichnet, was wohl etwas zu weit
gehn dürfte- Aber eins wird man jedenfalls, auch wenn man der Wehrsteuer
geneigt ist, zugestehn müssen, daß man, will man sie einführen, Zeiten der Not
abwarten mag, in denen sie als letztes Aushilfsmittel allenfalls in Betracht
kommen könnte.




Neufundland und das englisch-französische Abkommen

>el der zweiten Lesung über das englisch-französische Abkommen
um englischen Unterhause am 1. Juni sagte der Premierminister
Balfour über Neufundland: "Die enormen internationalen Vor¬
teile des Abkommens über Neufundland werden bei weitem nicht
! genügend gewürdigt. Es gab Zeiten, wo der Friede zwischen
Frankreich und England fast an einem Faden zu hängen schien, und uur der
Takt der Marineoffiziere der beiden Mächte ein Ort und Stelle die Utrechter
Abmachungen erträglich machte. Diese ewige Drohung ist, glaube ich, jetzt
beseitigt." Diese Äußerungen sind nur verständlich, wenn man die Entwicklung
des bisherigen Zustandes kennt. Eine kurze Darstellung dieser Entwicklung
als einer geschichtlichen Merkwürdigkeit dürfte um so mehr von Interesse sein,
als in Zukunft zwar Streitigkeiten Englands mit Frankreich ausgeschlossen sein
mögen, nicht aber mit Amerika.

Die Insel Neufundland ist etwas größer als Irland, hat aber nur eine
Bevölkerung von etwas mehr als 230000 Einwohnern, die bis auf eiuen ganz
unbedeutenden Teil Fischerei oder hiermit zusammenhängende Gewerbe betreiben-
Ihre Ufer werden von einem kalten Polarstrom umspült, der außer Eisbergen
und Eisfeldern Myriaden der kleinsten Lebewesen mit sich führt, die einen
Fischreichtum zur Folge haben, wie er nirgends weiter auf der Welt zu finden
ist. Dieser Fischreichtum wurde schon im sechzehnten Jahrhundert erkannt und
von Spaniern, Franzosen und Engländern ausgenutzt. Im Jahre 1533, unter
der Negierung der Königin Elisabeth, legte einer der großen lusrolnint- g-äveu-
tursrs, Sir Humphrey Gilbert, auf einen Teil der Insel für England Beschlag,
sodaß Neufundland vielfach als die erste englische Kolonie angesehen wird,
wenngleich eine dauernde Ansiedlung erst 1620 entstand.

Die Fischereigerechtsame wurden vielfach umstritten und im Vertrage zu
Utrecht merkwürdigerweise so geregelt, daß obgleich die Insel als englisches
Besitztum anerkannt wurde, die Westküste Frankreich überantwortet wurde. Die
Franzosen erhielten ausschließlich das Recht, an der Westküste zu fische" und
die Küste zu Fischereizwecken zu benutzen, den wirklichen Eigentümern, den
Engländern, wurde es verboten. Für die Entwicklung der Kolonie war das


Neufundland und das englisch-französische Abkommen

und heranzieht, die Leistungsfähigen also viel stärker anspannt als vorher, eine
Stärkung erfahren.

Im Jahre 1893 haben sich Miquel und der Reichsschatzamtssekretär von
Thielemann ebenfalls gegen die Einführung einer Wehrsteuer ausgesprochen-
Thielemann hat sie sogar als grausam bezeichnet, was wohl etwas zu weit
gehn dürfte- Aber eins wird man jedenfalls, auch wenn man der Wehrsteuer
geneigt ist, zugestehn müssen, daß man, will man sie einführen, Zeiten der Not
abwarten mag, in denen sie als letztes Aushilfsmittel allenfalls in Betracht
kommen könnte.




Neufundland und das englisch-französische Abkommen

>el der zweiten Lesung über das englisch-französische Abkommen
um englischen Unterhause am 1. Juni sagte der Premierminister
Balfour über Neufundland: „Die enormen internationalen Vor¬
teile des Abkommens über Neufundland werden bei weitem nicht
! genügend gewürdigt. Es gab Zeiten, wo der Friede zwischen
Frankreich und England fast an einem Faden zu hängen schien, und uur der
Takt der Marineoffiziere der beiden Mächte ein Ort und Stelle die Utrechter
Abmachungen erträglich machte. Diese ewige Drohung ist, glaube ich, jetzt
beseitigt." Diese Äußerungen sind nur verständlich, wenn man die Entwicklung
des bisherigen Zustandes kennt. Eine kurze Darstellung dieser Entwicklung
als einer geschichtlichen Merkwürdigkeit dürfte um so mehr von Interesse sein,
als in Zukunft zwar Streitigkeiten Englands mit Frankreich ausgeschlossen sein
mögen, nicht aber mit Amerika.

Die Insel Neufundland ist etwas größer als Irland, hat aber nur eine
Bevölkerung von etwas mehr als 230000 Einwohnern, die bis auf eiuen ganz
unbedeutenden Teil Fischerei oder hiermit zusammenhängende Gewerbe betreiben-
Ihre Ufer werden von einem kalten Polarstrom umspült, der außer Eisbergen
und Eisfeldern Myriaden der kleinsten Lebewesen mit sich führt, die einen
Fischreichtum zur Folge haben, wie er nirgends weiter auf der Welt zu finden
ist. Dieser Fischreichtum wurde schon im sechzehnten Jahrhundert erkannt und
von Spaniern, Franzosen und Engländern ausgenutzt. Im Jahre 1533, unter
der Negierung der Königin Elisabeth, legte einer der großen lusrolnint- g-äveu-
tursrs, Sir Humphrey Gilbert, auf einen Teil der Insel für England Beschlag,
sodaß Neufundland vielfach als die erste englische Kolonie angesehen wird,
wenngleich eine dauernde Ansiedlung erst 1620 entstand.

Die Fischereigerechtsame wurden vielfach umstritten und im Vertrage zu
Utrecht merkwürdigerweise so geregelt, daß obgleich die Insel als englisches
Besitztum anerkannt wurde, die Westküste Frankreich überantwortet wurde. Die
Franzosen erhielten ausschließlich das Recht, an der Westküste zu fische» und
die Küste zu Fischereizwecken zu benutzen, den wirklichen Eigentümern, den
Engländern, wurde es verboten. Für die Entwicklung der Kolonie war das


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[0744] Neufundland und das englisch-französische Abkommen und heranzieht, die Leistungsfähigen also viel stärker anspannt als vorher, eine Stärkung erfahren. Im Jahre 1893 haben sich Miquel und der Reichsschatzamtssekretär von Thielemann ebenfalls gegen die Einführung einer Wehrsteuer ausgesprochen- Thielemann hat sie sogar als grausam bezeichnet, was wohl etwas zu weit gehn dürfte- Aber eins wird man jedenfalls, auch wenn man der Wehrsteuer geneigt ist, zugestehn müssen, daß man, will man sie einführen, Zeiten der Not abwarten mag, in denen sie als letztes Aushilfsmittel allenfalls in Betracht kommen könnte. Neufundland und das englisch-französische Abkommen >el der zweiten Lesung über das englisch-französische Abkommen um englischen Unterhause am 1. Juni sagte der Premierminister Balfour über Neufundland: „Die enormen internationalen Vor¬ teile des Abkommens über Neufundland werden bei weitem nicht ! genügend gewürdigt. Es gab Zeiten, wo der Friede zwischen Frankreich und England fast an einem Faden zu hängen schien, und uur der Takt der Marineoffiziere der beiden Mächte ein Ort und Stelle die Utrechter Abmachungen erträglich machte. Diese ewige Drohung ist, glaube ich, jetzt beseitigt." Diese Äußerungen sind nur verständlich, wenn man die Entwicklung des bisherigen Zustandes kennt. Eine kurze Darstellung dieser Entwicklung als einer geschichtlichen Merkwürdigkeit dürfte um so mehr von Interesse sein, als in Zukunft zwar Streitigkeiten Englands mit Frankreich ausgeschlossen sein mögen, nicht aber mit Amerika. Die Insel Neufundland ist etwas größer als Irland, hat aber nur eine Bevölkerung von etwas mehr als 230000 Einwohnern, die bis auf eiuen ganz unbedeutenden Teil Fischerei oder hiermit zusammenhängende Gewerbe betreiben- Ihre Ufer werden von einem kalten Polarstrom umspült, der außer Eisbergen und Eisfeldern Myriaden der kleinsten Lebewesen mit sich führt, die einen Fischreichtum zur Folge haben, wie er nirgends weiter auf der Welt zu finden ist. Dieser Fischreichtum wurde schon im sechzehnten Jahrhundert erkannt und von Spaniern, Franzosen und Engländern ausgenutzt. Im Jahre 1533, unter der Negierung der Königin Elisabeth, legte einer der großen lusrolnint- g-äveu- tursrs, Sir Humphrey Gilbert, auf einen Teil der Insel für England Beschlag, sodaß Neufundland vielfach als die erste englische Kolonie angesehen wird, wenngleich eine dauernde Ansiedlung erst 1620 entstand. Die Fischereigerechtsame wurden vielfach umstritten und im Vertrage zu Utrecht merkwürdigerweise so geregelt, daß obgleich die Insel als englisches Besitztum anerkannt wurde, die Westküste Frankreich überantwortet wurde. Die Franzosen erhielten ausschließlich das Recht, an der Westküste zu fische» und die Küste zu Fischereizwecken zu benutzen, den wirklichen Eigentümern, den Engländern, wurde es verboten. Für die Entwicklung der Kolonie war das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/744>, abgerufen am 13.11.2024.