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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Literargesch i ehelich es

ja dann tritt der Paragraph des Stockverbots Ihnen abwehrend an der Pforte
der Museen entgegen.

Mehr als einmal habe ich schon gemerkt, wie Sie seufzend nach dem
Schlüsse dieses Briefes blätterten: ist er noch immer nicht zu Ende? Jetzt ist
er es aber auch wirklich bis auf die Bitte, allen Ihren Lieben viele herzliche
Grüße zu sagen, Ihren kleinen Mädeln ganz besonders. Wie gern erquickte
ich mich einmal wieder an dem anspruchslosen Jubel ihrer tollen Spiele, an
dem holden Kontrast, worin ihr stürmisches Zutrauen, zu dem Ernst der Menschen
und der Schicksale steht, die mich sonst umgeben; Sie wissen ja, was mir Kinder
sind, und daß ich sie so oft so viel reicher und fesselnder gefunden habe als
uns Erwachsene mit unsrer leidigen Politik. Sie versteh" auch darin den
Freund, "zusm sx inMii Lg.ti8 Q08ti.




Literargeschichtliches
U. Bruchmann von

se alles Wißbare auch wissenswert? Schließen wir uns dem
Wunsche des jungen Schülers an: Zwar weiß ich viel, doch
möcht ich alles wissen? Diese schüchterne Frage kann sich er¬
heben, da die Welt auch auf dem Gebiete des Wissens in allen
Strömen sortrast. Wer noch den richtigen Hunger hat, kann
mit Pompejus (Antonius und Kleopatra) sagen: Mein Glück ist Neumond,
mein prophetisch Hoffen sieht schon die volle Scheibe -- ni^ xowsrs are
or68e<ZQt, g,M rr^ ÄUSuriiiA luzxs se^s it >öl1I opilio to ins tuit. Die in diesem
Falle beneidenswerten Enkel werden also die volle Scheibe genießen. Vielleicht!
Denn, wenn auch sie nun wieder abnimmt? Ein Philosoph, der seine Tücken
hatte, setzt uns einen Dämpfer auf mit der Bemerkung: Alles fließt. Ist das
wahr, dann fließt leider auch unsre Erkenntnis. Wir müssen nicht bloß den
Fluß der Dinge fortwährend begleiten, sondern auch die Erkenntnis hat in
ihren Mitteln und Methoden eine vertrackte Neigung, sich zu ändern, sodaß
vielleicht leider dieselben Dinge immer wieder auf eine neue Art zu be¬
trachten sind.

Mag man das düster oder trostreich finden, so bleibt unsre Frage be-
stehn. Da bedenken wir einen Augenblick, welchen Zweck doch eigentlich
unsre grenzenlosen historischen Mühen haben (um bei diesen hier stehn zu
bleiben), und welche Konsequenzen die Bejahung dieser Frage nach sich zieht.
Denn einem lustigen und etwas faseligen Augenblicksverstand hängt doch immer
die Kette der Konsequenzen mehr oder weniger schwer am Bein."

Wenn alles fließt, dann ist unser Wissen, sogar die "wissenschaftliche
Psychologie, ein Wissen auf Abbruch, vielleicht mit Ausnahme einiger Gebiete
der Mathematik. Dennoch wird immer monumentaler gebaut, als geschähe es
für die Ewigkeit. Jedoch es ist noch immer so, wie Goethe einmal an Frau
von Stein schrieb: Damit der Genuß vollkommen werde, mußte noch etwas


Literargesch i ehelich es

ja dann tritt der Paragraph des Stockverbots Ihnen abwehrend an der Pforte
der Museen entgegen.

Mehr als einmal habe ich schon gemerkt, wie Sie seufzend nach dem
Schlüsse dieses Briefes blätterten: ist er noch immer nicht zu Ende? Jetzt ist
er es aber auch wirklich bis auf die Bitte, allen Ihren Lieben viele herzliche
Grüße zu sagen, Ihren kleinen Mädeln ganz besonders. Wie gern erquickte
ich mich einmal wieder an dem anspruchslosen Jubel ihrer tollen Spiele, an
dem holden Kontrast, worin ihr stürmisches Zutrauen, zu dem Ernst der Menschen
und der Schicksale steht, die mich sonst umgeben; Sie wissen ja, was mir Kinder
sind, und daß ich sie so oft so viel reicher und fesselnder gefunden habe als
uns Erwachsene mit unsrer leidigen Politik. Sie versteh» auch darin den
Freund, «zusm sx inMii Lg.ti8 Q08ti.




Literargeschichtliches
U. Bruchmann von

se alles Wißbare auch wissenswert? Schließen wir uns dem
Wunsche des jungen Schülers an: Zwar weiß ich viel, doch
möcht ich alles wissen? Diese schüchterne Frage kann sich er¬
heben, da die Welt auch auf dem Gebiete des Wissens in allen
Strömen sortrast. Wer noch den richtigen Hunger hat, kann
mit Pompejus (Antonius und Kleopatra) sagen: Mein Glück ist Neumond,
mein prophetisch Hoffen sieht schon die volle Scheibe — ni^ xowsrs are
or68e<ZQt, g,M rr^ ÄUSuriiiA luzxs se^s it >öl1I opilio to ins tuit. Die in diesem
Falle beneidenswerten Enkel werden also die volle Scheibe genießen. Vielleicht!
Denn, wenn auch sie nun wieder abnimmt? Ein Philosoph, der seine Tücken
hatte, setzt uns einen Dämpfer auf mit der Bemerkung: Alles fließt. Ist das
wahr, dann fließt leider auch unsre Erkenntnis. Wir müssen nicht bloß den
Fluß der Dinge fortwährend begleiten, sondern auch die Erkenntnis hat in
ihren Mitteln und Methoden eine vertrackte Neigung, sich zu ändern, sodaß
vielleicht leider dieselben Dinge immer wieder auf eine neue Art zu be¬
trachten sind.

Mag man das düster oder trostreich finden, so bleibt unsre Frage be-
stehn. Da bedenken wir einen Augenblick, welchen Zweck doch eigentlich
unsre grenzenlosen historischen Mühen haben (um bei diesen hier stehn zu
bleiben), und welche Konsequenzen die Bejahung dieser Frage nach sich zieht.
Denn einem lustigen und etwas faseligen Augenblicksverstand hängt doch immer
die Kette der Konsequenzen mehr oder weniger schwer am Bein."

Wenn alles fließt, dann ist unser Wissen, sogar die „wissenschaftliche
Psychologie, ein Wissen auf Abbruch, vielleicht mit Ausnahme einiger Gebiete
der Mathematik. Dennoch wird immer monumentaler gebaut, als geschähe es
für die Ewigkeit. Jedoch es ist noch immer so, wie Goethe einmal an Frau
von Stein schrieb: Damit der Genuß vollkommen werde, mußte noch etwas


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/698>, abgerufen am 13.11.2024.