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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Der Hera wollte nufaugs nicht hören. Der Haß brannte ihm auf der Seele.
Aller die Lotte wußte so zu sprechen und mit Hilfe ihres Freundes, des Clemens
Lie, deu Hera so zu bearbeiten, daß er nachgab. Er heiratete die Lotte. Das
junge Paar bezog eine elegante Mietwohnung in der vornehmsten Stadtgegend.
Sie lebten in Saus und Braus. Als nach einem Jahr die Rieka geboren wurde,
gabs eine kleine Pause. Dann aber gings los mit verdoppelter Macht. Sie hielten
offnes Haus, und da die Speisen und Getränke immer vom besten waren, so fehlte
es ihnen nicht an Gästen. Der Clemens Lie brachte "Genossen" und "Genossinnen"
ins Haus. Es war ein prächtiges Leben. Dann sah die Lotte ein: Jetzt ists Zeit,
wenn nicht die ganze Erbschaft zum Teufel gehn soll. Sie erinnerte ihren Mann
an seinen Haß, an seinen Racheplan. Jetzt wollte nun er nicht hören. Sein Lebe",
wie es nun war, gefiel ihm gar zu gut. Die Lotte aber bewies ihm mit Zahlen,
daß es die höchste Zeit sei, sollte überhaupt der Plan uoch ausgeführt werdeu.
Und so kamen sie denn in die Goldne Krone. Über Erwarten gut war der Plan
geglückt, was die Ausübung der Rache betraf. Mit dem Ansichreißen der Gold¬
grube wollte es so schnell nicht gehn. Es war wohl etwas andres, Zahlkellnerin
in einer Studentenkneipe der Universitätsstadt sein, als eine Wirtschaft auf dem
Dorf zu halte". Bauern wollen anders behandelt sein als Studenten. Die süßen
Augen und Worte der schwarzen Lotte verfingen nur so lange, als sie etwas Neues
waren. Dann wars aus. Die ordentlichen Leute, die zahlen können, blieben weg.
Wirtschaft führen verstand die Lotte nicht. Die Dienstleute betrogen sie. Die
Gäste, die in die Krone kamen, aßen und tranken gut, bezahlten aber schlecht. Die
Kronenwirtschaft kam herunter, ehe mans gedacht hatte. Frieden und Freude hatten
sie dem Clermontwirt geraubt, die Goldgrube blieb in seinem Hause. Zwei Drittel
des Kaufpreises standen als erste Hypothek auf der Krone. Nie wurden die Zinsen
bezahlt. Der Jochen hätte schweigend darauf verzichtet. Dora mahnte, und wenns
nicht half, ging sie ans Gericht. Die Gerichtsboten und Polizeidiener waren immer
in Bewegung zwischen den beiden Gasthäusern. Die Streitigkeiten nahmen kein Ende.
Auf der einen Seite wuchs der Haß, und dem Jochen nagte es am Leben.


3

Auf dem halben Wege zwischen dem Herrenhaus, davon das Kirchdorf den
Namen trug, und dem Dorfe lag die Schule. Der Spielplatz trennte sie von dem
hellen Fluß, der weiter oberhalb eine kleine Mühle trieb. Die Knaben und Mädchen
aus Dorf und Gemeinde besuchten gemeinsam die Schule, die der Vikar, ein alter,
würdiger Herr, leitete.

Es war Sommer. Die Kinder spielten vor der Schule, hier die Knaben,
dort die Mädchen. Ein hochaufgeschossenes Mädchen von etwa zwölf Jahren saß
abseits am Heckenrain. Sie trug ein Kleid aus feinem Stoss, nach städtischem Schnitt
gemacht, und goldne Ringe in den Ohren. Das Kleid hatte sie am Halse mit einer
goldnen Nadel zugesteckt, und sie hatte eine schwarzseidue Schürze umgebunden.
Ihr schwarzes Haar lag ihr in zwei schweren Zöpfen wie eine Krone um deu
Kopf herum. Ihre Hände waren sauber gewaschen. An den Füßen trug sie feine
schwarze Strümpfe und feste, gut sitzende Lederschuhe. Ihre schwarzen Augen
blickten klug und überlegen drein. Die übrigen Kinder, meist ärmlich gekleidet in
der landesüblichen Kleidung, gingen mit zerzaustem Haar und unsaubern Händen.
Die Mädchen spielten ein Reigenspiel. Rieka will nicht mitspielen, riefen sie. Rieka
sitzt in der Hecke und lauert auf den Königsohn. Ein starkes, grobknochiges Mädchen
machte einen Knicks und rief: Fräulein Gräfin Rieka, wollen Sie nicht mit uns
spielen? Wir sind ja auch nur Bettelpack. Und die Rieka, was ist die Rieka?
Aus war das Spielen, die ganze Schar kam herangelaufen. Wollen dir sagen,
Rieka, was du bist: dein Bater ist Student, der nichts gelernt hat als Geldvertnu
und Trinken. Deine Mutter ist ein Schenkmädchen aus der Stadt. Ob sie wohl
bezahlt sind, die feinen Kleider, die dn ambaht, die deine Mutter andre? Jeder


Der Hera wollte nufaugs nicht hören. Der Haß brannte ihm auf der Seele.
Aller die Lotte wußte so zu sprechen und mit Hilfe ihres Freundes, des Clemens
Lie, deu Hera so zu bearbeiten, daß er nachgab. Er heiratete die Lotte. Das
junge Paar bezog eine elegante Mietwohnung in der vornehmsten Stadtgegend.
Sie lebten in Saus und Braus. Als nach einem Jahr die Rieka geboren wurde,
gabs eine kleine Pause. Dann aber gings los mit verdoppelter Macht. Sie hielten
offnes Haus, und da die Speisen und Getränke immer vom besten waren, so fehlte
es ihnen nicht an Gästen. Der Clemens Lie brachte „Genossen" und „Genossinnen"
ins Haus. Es war ein prächtiges Leben. Dann sah die Lotte ein: Jetzt ists Zeit,
wenn nicht die ganze Erbschaft zum Teufel gehn soll. Sie erinnerte ihren Mann
an seinen Haß, an seinen Racheplan. Jetzt wollte nun er nicht hören. Sein Lebe»,
wie es nun war, gefiel ihm gar zu gut. Die Lotte aber bewies ihm mit Zahlen,
daß es die höchste Zeit sei, sollte überhaupt der Plan uoch ausgeführt werdeu.
Und so kamen sie denn in die Goldne Krone. Über Erwarten gut war der Plan
geglückt, was die Ausübung der Rache betraf. Mit dem Ansichreißen der Gold¬
grube wollte es so schnell nicht gehn. Es war wohl etwas andres, Zahlkellnerin
in einer Studentenkneipe der Universitätsstadt sein, als eine Wirtschaft auf dem
Dorf zu halte«. Bauern wollen anders behandelt sein als Studenten. Die süßen
Augen und Worte der schwarzen Lotte verfingen nur so lange, als sie etwas Neues
waren. Dann wars aus. Die ordentlichen Leute, die zahlen können, blieben weg.
Wirtschaft führen verstand die Lotte nicht. Die Dienstleute betrogen sie. Die
Gäste, die in die Krone kamen, aßen und tranken gut, bezahlten aber schlecht. Die
Kronenwirtschaft kam herunter, ehe mans gedacht hatte. Frieden und Freude hatten
sie dem Clermontwirt geraubt, die Goldgrube blieb in seinem Hause. Zwei Drittel
des Kaufpreises standen als erste Hypothek auf der Krone. Nie wurden die Zinsen
bezahlt. Der Jochen hätte schweigend darauf verzichtet. Dora mahnte, und wenns
nicht half, ging sie ans Gericht. Die Gerichtsboten und Polizeidiener waren immer
in Bewegung zwischen den beiden Gasthäusern. Die Streitigkeiten nahmen kein Ende.
Auf der einen Seite wuchs der Haß, und dem Jochen nagte es am Leben.


3

Auf dem halben Wege zwischen dem Herrenhaus, davon das Kirchdorf den
Namen trug, und dem Dorfe lag die Schule. Der Spielplatz trennte sie von dem
hellen Fluß, der weiter oberhalb eine kleine Mühle trieb. Die Knaben und Mädchen
aus Dorf und Gemeinde besuchten gemeinsam die Schule, die der Vikar, ein alter,
würdiger Herr, leitete.

Es war Sommer. Die Kinder spielten vor der Schule, hier die Knaben,
dort die Mädchen. Ein hochaufgeschossenes Mädchen von etwa zwölf Jahren saß
abseits am Heckenrain. Sie trug ein Kleid aus feinem Stoss, nach städtischem Schnitt
gemacht, und goldne Ringe in den Ohren. Das Kleid hatte sie am Halse mit einer
goldnen Nadel zugesteckt, und sie hatte eine schwarzseidue Schürze umgebunden.
Ihr schwarzes Haar lag ihr in zwei schweren Zöpfen wie eine Krone um deu
Kopf herum. Ihre Hände waren sauber gewaschen. An den Füßen trug sie feine
schwarze Strümpfe und feste, gut sitzende Lederschuhe. Ihre schwarzen Augen
blickten klug und überlegen drein. Die übrigen Kinder, meist ärmlich gekleidet in
der landesüblichen Kleidung, gingen mit zerzaustem Haar und unsaubern Händen.
Die Mädchen spielten ein Reigenspiel. Rieka will nicht mitspielen, riefen sie. Rieka
sitzt in der Hecke und lauert auf den Königsohn. Ein starkes, grobknochiges Mädchen
machte einen Knicks und rief: Fräulein Gräfin Rieka, wollen Sie nicht mit uns
spielen? Wir sind ja auch nur Bettelpack. Und die Rieka, was ist die Rieka?
Aus war das Spielen, die ganze Schar kam herangelaufen. Wollen dir sagen,
Rieka, was du bist: dein Bater ist Student, der nichts gelernt hat als Geldvertnu
und Trinken. Deine Mutter ist ein Schenkmädchen aus der Stadt. Ob sie wohl
bezahlt sind, die feinen Kleider, die dn ambaht, die deine Mutter andre? Jeder


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[0058] Der Hera wollte nufaugs nicht hören. Der Haß brannte ihm auf der Seele. Aller die Lotte wußte so zu sprechen und mit Hilfe ihres Freundes, des Clemens Lie, deu Hera so zu bearbeiten, daß er nachgab. Er heiratete die Lotte. Das junge Paar bezog eine elegante Mietwohnung in der vornehmsten Stadtgegend. Sie lebten in Saus und Braus. Als nach einem Jahr die Rieka geboren wurde, gabs eine kleine Pause. Dann aber gings los mit verdoppelter Macht. Sie hielten offnes Haus, und da die Speisen und Getränke immer vom besten waren, so fehlte es ihnen nicht an Gästen. Der Clemens Lie brachte „Genossen" und „Genossinnen" ins Haus. Es war ein prächtiges Leben. Dann sah die Lotte ein: Jetzt ists Zeit, wenn nicht die ganze Erbschaft zum Teufel gehn soll. Sie erinnerte ihren Mann an seinen Haß, an seinen Racheplan. Jetzt wollte nun er nicht hören. Sein Lebe», wie es nun war, gefiel ihm gar zu gut. Die Lotte aber bewies ihm mit Zahlen, daß es die höchste Zeit sei, sollte überhaupt der Plan uoch ausgeführt werdeu. Und so kamen sie denn in die Goldne Krone. Über Erwarten gut war der Plan geglückt, was die Ausübung der Rache betraf. Mit dem Ansichreißen der Gold¬ grube wollte es so schnell nicht gehn. Es war wohl etwas andres, Zahlkellnerin in einer Studentenkneipe der Universitätsstadt sein, als eine Wirtschaft auf dem Dorf zu halte«. Bauern wollen anders behandelt sein als Studenten. Die süßen Augen und Worte der schwarzen Lotte verfingen nur so lange, als sie etwas Neues waren. Dann wars aus. Die ordentlichen Leute, die zahlen können, blieben weg. Wirtschaft führen verstand die Lotte nicht. Die Dienstleute betrogen sie. Die Gäste, die in die Krone kamen, aßen und tranken gut, bezahlten aber schlecht. Die Kronenwirtschaft kam herunter, ehe mans gedacht hatte. Frieden und Freude hatten sie dem Clermontwirt geraubt, die Goldgrube blieb in seinem Hause. Zwei Drittel des Kaufpreises standen als erste Hypothek auf der Krone. Nie wurden die Zinsen bezahlt. Der Jochen hätte schweigend darauf verzichtet. Dora mahnte, und wenns nicht half, ging sie ans Gericht. Die Gerichtsboten und Polizeidiener waren immer in Bewegung zwischen den beiden Gasthäusern. Die Streitigkeiten nahmen kein Ende. Auf der einen Seite wuchs der Haß, und dem Jochen nagte es am Leben. 3 Auf dem halben Wege zwischen dem Herrenhaus, davon das Kirchdorf den Namen trug, und dem Dorfe lag die Schule. Der Spielplatz trennte sie von dem hellen Fluß, der weiter oberhalb eine kleine Mühle trieb. Die Knaben und Mädchen aus Dorf und Gemeinde besuchten gemeinsam die Schule, die der Vikar, ein alter, würdiger Herr, leitete. Es war Sommer. Die Kinder spielten vor der Schule, hier die Knaben, dort die Mädchen. Ein hochaufgeschossenes Mädchen von etwa zwölf Jahren saß abseits am Heckenrain. Sie trug ein Kleid aus feinem Stoss, nach städtischem Schnitt gemacht, und goldne Ringe in den Ohren. Das Kleid hatte sie am Halse mit einer goldnen Nadel zugesteckt, und sie hatte eine schwarzseidue Schürze umgebunden. Ihr schwarzes Haar lag ihr in zwei schweren Zöpfen wie eine Krone um deu Kopf herum. Ihre Hände waren sauber gewaschen. An den Füßen trug sie feine schwarze Strümpfe und feste, gut sitzende Lederschuhe. Ihre schwarzen Augen blickten klug und überlegen drein. Die übrigen Kinder, meist ärmlich gekleidet in der landesüblichen Kleidung, gingen mit zerzaustem Haar und unsaubern Händen. Die Mädchen spielten ein Reigenspiel. Rieka will nicht mitspielen, riefen sie. Rieka sitzt in der Hecke und lauert auf den Königsohn. Ein starkes, grobknochiges Mädchen machte einen Knicks und rief: Fräulein Gräfin Rieka, wollen Sie nicht mit uns spielen? Wir sind ja auch nur Bettelpack. Und die Rieka, was ist die Rieka? Aus war das Spielen, die ganze Schar kam herangelaufen. Wollen dir sagen, Rieka, was du bist: dein Bater ist Student, der nichts gelernt hat als Geldvertnu und Trinken. Deine Mutter ist ein Schenkmädchen aus der Stadt. Ob sie wohl bezahlt sind, die feinen Kleider, die dn ambaht, die deine Mutter andre? Jeder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/58>, abgerufen am 28.06.2024.