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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Die ewige Wiederkehr

ausschließlich den Universitätslehrern oblag und schriftstellernde Praktiker da¬
mals eine Ausnahme waren. Als der damalige Obergerichtsrat, spätere Reichs-
gcrichtsrat Otto Vähr im Jahre 1855 seine berühmte Schrift über die Aner¬
kennung veröffentlicht hatte, bot man ihm zur Belohnung für diese bei einem
Praktiker damals außergewöhnliche Leistung -- eine Professur in Marburg an.

(Schluß folgt)




Die ewige Wiederkehr
U. Bruchmann von

>as wohlige Gruseln, mit dem nicht wenig Leute noch immer in
den entzückenden Brunnenschacht von Nietzsches philosophischem
Tiefsinn starren, ist nicht ohne psychologisches Interesse. Einer¬
seits ist es wohl freilich ein gutes Zeichen, wenn jemand über
Idie Fähigkeit einer kleinern oder größern Verzücktheit verfügt:
denn dann ist er ja nicht blasiert, mag sich auch der Enthusiasmus an den
naturalistischen Beinen der Diva Jsadora Duncan entzünden, oder an einer nur
mit einem Mantel bekleideten Frau, der mutigen Monna Varna, oder an einer
Speiseordnung von fünf Gängen, oder einem plötzlich bei den Leuten von gutem
Geschmack modern gewordenen Negertanz, vaks-v^ik genannt. Andrerseits ent¬
steht bei den armen Nichtergriffnen, die natürlich diese Trauben sauer finden,
die bange Frage, woher das kommt, und der natürliche Trieb, den Wert dieser
Begeisterung herabzusetzen. Denn damit haben sich die Menschen immer geholfen.
Wer den Reichtum theoretisch verachtet, preist damit die Armut, und wer eine
Lobrede auf den Tod schreibt, setzt dadurch den Wert des Lebens herab.

Da erzählt uns einer der Glücklichen oder Geweihten, einer von der
"Gemeinde" -- der Ausdruck ist jetzt sehr beliebt, aber trotzdem kein sicheres
Zeichen für größere Frömmigkeit --. daß dem verewigten Nietzsche der Gedanke
der ewigen Wiederkehr "aufgegangen" sei. Wir fassen uns pflichtschuldigst an
den Kopf. Ausgegangen? Ja freilich; so ungefähr, wie die Sonne aufgeht,
die dieses löbliche Geschüft schon öfter besorgt hat. Denn Nietzsche hat diesen
Gedanken sicherlich mindestens aus der griechischen Philosophie gekannt. Aber
auch sonst ist er den Menschen gekommen, wenn auch nicht immer ganz gleich
ausgeprägt und nicht immer aus demselben Bedürfnis entspringend.

Der weise Prediger, dem man alle Tage zuhören müßte, gibt uns seine
wohlbegründete Ansicht vom Leben (1, 9): Was ist es, das geschehen ist? Eben
das hernach geschehen wird. Was ist es, das man getan hat? Eben das man
hernach wieder tun wird; und geschiehet nichts Neues unter der Sonne.
Geschieht auch etwas, davon man sagen möchte: Siehe, das ist neu? Denn es
ist zuvor auch geschehen in vorigen Zeiten, die vor uns gewesen sind. Die
Erde aber bleibt ewiglich (1, 4).


Die ewige Wiederkehr

ausschließlich den Universitätslehrern oblag und schriftstellernde Praktiker da¬
mals eine Ausnahme waren. Als der damalige Obergerichtsrat, spätere Reichs-
gcrichtsrat Otto Vähr im Jahre 1855 seine berühmte Schrift über die Aner¬
kennung veröffentlicht hatte, bot man ihm zur Belohnung für diese bei einem
Praktiker damals außergewöhnliche Leistung — eine Professur in Marburg an.

(Schluß folgt)




Die ewige Wiederkehr
U. Bruchmann von

>as wohlige Gruseln, mit dem nicht wenig Leute noch immer in
den entzückenden Brunnenschacht von Nietzsches philosophischem
Tiefsinn starren, ist nicht ohne psychologisches Interesse. Einer¬
seits ist es wohl freilich ein gutes Zeichen, wenn jemand über
Idie Fähigkeit einer kleinern oder größern Verzücktheit verfügt:
denn dann ist er ja nicht blasiert, mag sich auch der Enthusiasmus an den
naturalistischen Beinen der Diva Jsadora Duncan entzünden, oder an einer nur
mit einem Mantel bekleideten Frau, der mutigen Monna Varna, oder an einer
Speiseordnung von fünf Gängen, oder einem plötzlich bei den Leuten von gutem
Geschmack modern gewordenen Negertanz, vaks-v^ik genannt. Andrerseits ent¬
steht bei den armen Nichtergriffnen, die natürlich diese Trauben sauer finden,
die bange Frage, woher das kommt, und der natürliche Trieb, den Wert dieser
Begeisterung herabzusetzen. Denn damit haben sich die Menschen immer geholfen.
Wer den Reichtum theoretisch verachtet, preist damit die Armut, und wer eine
Lobrede auf den Tod schreibt, setzt dadurch den Wert des Lebens herab.

Da erzählt uns einer der Glücklichen oder Geweihten, einer von der
„Gemeinde" — der Ausdruck ist jetzt sehr beliebt, aber trotzdem kein sicheres
Zeichen für größere Frömmigkeit —. daß dem verewigten Nietzsche der Gedanke
der ewigen Wiederkehr „aufgegangen" sei. Wir fassen uns pflichtschuldigst an
den Kopf. Ausgegangen? Ja freilich; so ungefähr, wie die Sonne aufgeht,
die dieses löbliche Geschüft schon öfter besorgt hat. Denn Nietzsche hat diesen
Gedanken sicherlich mindestens aus der griechischen Philosophie gekannt. Aber
auch sonst ist er den Menschen gekommen, wenn auch nicht immer ganz gleich
ausgeprägt und nicht immer aus demselben Bedürfnis entspringend.

Der weise Prediger, dem man alle Tage zuhören müßte, gibt uns seine
wohlbegründete Ansicht vom Leben (1, 9): Was ist es, das geschehen ist? Eben
das hernach geschehen wird. Was ist es, das man getan hat? Eben das man
hernach wieder tun wird; und geschiehet nichts Neues unter der Sonne.
Geschieht auch etwas, davon man sagen möchte: Siehe, das ist neu? Denn es
ist zuvor auch geschehen in vorigen Zeiten, die vor uns gewesen sind. Die
Erde aber bleibt ewiglich (1, 4).


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[0572] Die ewige Wiederkehr ausschließlich den Universitätslehrern oblag und schriftstellernde Praktiker da¬ mals eine Ausnahme waren. Als der damalige Obergerichtsrat, spätere Reichs- gcrichtsrat Otto Vähr im Jahre 1855 seine berühmte Schrift über die Aner¬ kennung veröffentlicht hatte, bot man ihm zur Belohnung für diese bei einem Praktiker damals außergewöhnliche Leistung — eine Professur in Marburg an. (Schluß folgt) Die ewige Wiederkehr U. Bruchmann von >as wohlige Gruseln, mit dem nicht wenig Leute noch immer in den entzückenden Brunnenschacht von Nietzsches philosophischem Tiefsinn starren, ist nicht ohne psychologisches Interesse. Einer¬ seits ist es wohl freilich ein gutes Zeichen, wenn jemand über Idie Fähigkeit einer kleinern oder größern Verzücktheit verfügt: denn dann ist er ja nicht blasiert, mag sich auch der Enthusiasmus an den naturalistischen Beinen der Diva Jsadora Duncan entzünden, oder an einer nur mit einem Mantel bekleideten Frau, der mutigen Monna Varna, oder an einer Speiseordnung von fünf Gängen, oder einem plötzlich bei den Leuten von gutem Geschmack modern gewordenen Negertanz, vaks-v^ik genannt. Andrerseits ent¬ steht bei den armen Nichtergriffnen, die natürlich diese Trauben sauer finden, die bange Frage, woher das kommt, und der natürliche Trieb, den Wert dieser Begeisterung herabzusetzen. Denn damit haben sich die Menschen immer geholfen. Wer den Reichtum theoretisch verachtet, preist damit die Armut, und wer eine Lobrede auf den Tod schreibt, setzt dadurch den Wert des Lebens herab. Da erzählt uns einer der Glücklichen oder Geweihten, einer von der „Gemeinde" — der Ausdruck ist jetzt sehr beliebt, aber trotzdem kein sicheres Zeichen für größere Frömmigkeit —. daß dem verewigten Nietzsche der Gedanke der ewigen Wiederkehr „aufgegangen" sei. Wir fassen uns pflichtschuldigst an den Kopf. Ausgegangen? Ja freilich; so ungefähr, wie die Sonne aufgeht, die dieses löbliche Geschüft schon öfter besorgt hat. Denn Nietzsche hat diesen Gedanken sicherlich mindestens aus der griechischen Philosophie gekannt. Aber auch sonst ist er den Menschen gekommen, wenn auch nicht immer ganz gleich ausgeprägt und nicht immer aus demselben Bedürfnis entspringend. Der weise Prediger, dem man alle Tage zuhören müßte, gibt uns seine wohlbegründete Ansicht vom Leben (1, 9): Was ist es, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist es, das man getan hat? Eben das man hernach wieder tun wird; und geschiehet nichts Neues unter der Sonne. Geschieht auch etwas, davon man sagen möchte: Siehe, das ist neu? Denn es ist zuvor auch geschehen in vorigen Zeiten, die vor uns gewesen sind. Die Erde aber bleibt ewiglich (1, 4).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/572>, abgerufen am 28.06.2024.