Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Die Zukunft der juristischen Professuren Man versteht also, daß weder das Preußische noch das Französische Recht in Derselbe Zustand herrschte in der Wissenschaft des bürgerlichen Prozesses. Die Zukunft der juristischen Professuren Man versteht also, daß weder das Preußische noch das Französische Recht in Derselbe Zustand herrschte in der Wissenschaft des bürgerlichen Prozesses. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0571" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294190"/> <fw type="header" place="top"> Die Zukunft der juristischen Professuren</fw><lb/> <p xml:id="ID_2551"> Man versteht also, daß weder das Preußische noch das Französische Recht in<lb/> Deutschland wissenschaftliches Ansehen und wissenschaftliche Bedeutung genossen,<lb/> und daß sie an den Universitäten, wie oben erwähnt worden ist, nur kümmer¬<lb/> liche Berücksichtigung erfuhren. Diesen Sonderrechten stand nun gegenüber<lb/> das Gemeine Römische Recht, das wie kein andres zur wissenschaftlichen Be¬<lb/> arbeitung anregte. Der umfangreichste und wichtigste Teil des Corpus Juris<lb/> enthält die schon vorhin erwähnten Aussprüche von römischen Rechtsgelehrten,<lb/> die mit bewundrungswürdiger Kunst es verstanden, mit wenig Grundsätzen ein<lb/> das Leben in hohem Maß befriedigendes Recht zu entwickeln, dabei aber sich<lb/> überall bewußt waren, daß die von ihnen aufgestellten Regeln keine absolute<lb/> Geltung hätten, daß vielmehr jeder aufgestellte Rechtssatz seine Bedeutung ver¬<lb/> liere, wenn er in dem Sinne des ihm zugrunde liegenden „Rechtsgedankens"<lb/> nicht passe. Also dem juristischen Denken sollte eine gewisse Freiheit gewahrt<lb/> sein, und die Aufgabe der gemeinrechtlichen Wissenschaft war, nicht einzelne<lb/> gesetzliche Bestimmungen zu erläutern, sondern die in ihnen enthaltnen „Rechts¬<lb/> gedanken" herauszufinden. Diese Tätigkeit lag dem Praktiker des Preußischen<lb/> und des Französischen Rechts selbstverständlich fern, weil er mit dem Corpus<lb/> Juris überhaupt nichts zu tun hatte; diese Tätigkeit lag aber auch den Prak¬<lb/> tikern des Gemeinen Rechts fern, weil sie nicht bloß eine juristische, sondern<lb/> zugleich eine exegetische, kritische (der Text des Corpus Juris war vielfach<lb/> bestritten), sprachwissenschaftliche und zugleich antiquarische war, also ein¬<lb/> gehende Kenntnis der Sprache und der Staatsverfassung der alten Römer<lb/> forderte, alles Dinge, die dem Praktiker natürlich fern liegen. So waren es<lb/> fast ausschließlich Universitätslehrer, die sich der Erforschung des materiellen<lb/> Römischen Rechts widmeten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2552" next="#ID_2553"> Derselbe Zustand herrschte in der Wissenschaft des bürgerlichen Prozesses.<lb/> Neben den Streitfragen des Prozeßverfahrens (die seit der Geltung unsrer<lb/> Zivilprozeßordnung einen so bedauerlichen Umfang erlangt haben) gibt es<lb/> zahlreiche Fragen, die man als Fragen des materiellen Prozeßrechts bezeichnen<lb/> kann: so die Lehre von den Prozeßvoraussetzungen, von der Prozeßfähigkeit<lb/> und der Parteifähigkeit, von der Sachlegitimation, vom Beweis, von der<lb/> Rechtskraft; auch dieses so wichtige Rechtsgebiet blieb fast ausschließlich den<lb/> Universitätslehrern zur wissenschaftlichen Erforschung überlassen. Es ist kein<lb/> Zweifel, daß die deutsche Rechtswissenschaft wie auf dem Gebiet des materiellen<lb/> bürgerlichen so auch auf dem des materiellen Prozeßrechts die aller andern<lb/> Roller weit überragte, und daß das, was die deutschen Universitätslehrer<lb/> früherer Jahrzehnte auf diesen Rechtsgebieten geleistet haben, trotz alles<lb/> Wechsels der Gesetzgebung von Wert bleiben wird, so lange es überhaupt<lb/> «ne Rechtswissenschaft gibt. Erwägt man hierzu weiter, daß es viele Rechts¬<lb/> gebiete gibt, die dem Praktiker überhaupt fern liegen, so die Rechtsgeschichte,<lb/> das Staatsrecht, das Kirchenrecht, das Völkerrecht, die Rechtsphilosophie,<lb/> alles Gebiete, mit denen überhaupt nur der Universitätslehrer zu tun hat, so<lb/> erklärt sich hiermit zur Genüge die Tatsache, daß noch bis vor etwa drei<lb/> Jahrzehnten die wissenschaftliche Behandlung des gesamten Rechtsstoffs fast</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0571]
Die Zukunft der juristischen Professuren
Man versteht also, daß weder das Preußische noch das Französische Recht in
Deutschland wissenschaftliches Ansehen und wissenschaftliche Bedeutung genossen,
und daß sie an den Universitäten, wie oben erwähnt worden ist, nur kümmer¬
liche Berücksichtigung erfuhren. Diesen Sonderrechten stand nun gegenüber
das Gemeine Römische Recht, das wie kein andres zur wissenschaftlichen Be¬
arbeitung anregte. Der umfangreichste und wichtigste Teil des Corpus Juris
enthält die schon vorhin erwähnten Aussprüche von römischen Rechtsgelehrten,
die mit bewundrungswürdiger Kunst es verstanden, mit wenig Grundsätzen ein
das Leben in hohem Maß befriedigendes Recht zu entwickeln, dabei aber sich
überall bewußt waren, daß die von ihnen aufgestellten Regeln keine absolute
Geltung hätten, daß vielmehr jeder aufgestellte Rechtssatz seine Bedeutung ver¬
liere, wenn er in dem Sinne des ihm zugrunde liegenden „Rechtsgedankens"
nicht passe. Also dem juristischen Denken sollte eine gewisse Freiheit gewahrt
sein, und die Aufgabe der gemeinrechtlichen Wissenschaft war, nicht einzelne
gesetzliche Bestimmungen zu erläutern, sondern die in ihnen enthaltnen „Rechts¬
gedanken" herauszufinden. Diese Tätigkeit lag dem Praktiker des Preußischen
und des Französischen Rechts selbstverständlich fern, weil er mit dem Corpus
Juris überhaupt nichts zu tun hatte; diese Tätigkeit lag aber auch den Prak¬
tikern des Gemeinen Rechts fern, weil sie nicht bloß eine juristische, sondern
zugleich eine exegetische, kritische (der Text des Corpus Juris war vielfach
bestritten), sprachwissenschaftliche und zugleich antiquarische war, also ein¬
gehende Kenntnis der Sprache und der Staatsverfassung der alten Römer
forderte, alles Dinge, die dem Praktiker natürlich fern liegen. So waren es
fast ausschließlich Universitätslehrer, die sich der Erforschung des materiellen
Römischen Rechts widmeten.
Derselbe Zustand herrschte in der Wissenschaft des bürgerlichen Prozesses.
Neben den Streitfragen des Prozeßverfahrens (die seit der Geltung unsrer
Zivilprozeßordnung einen so bedauerlichen Umfang erlangt haben) gibt es
zahlreiche Fragen, die man als Fragen des materiellen Prozeßrechts bezeichnen
kann: so die Lehre von den Prozeßvoraussetzungen, von der Prozeßfähigkeit
und der Parteifähigkeit, von der Sachlegitimation, vom Beweis, von der
Rechtskraft; auch dieses so wichtige Rechtsgebiet blieb fast ausschließlich den
Universitätslehrern zur wissenschaftlichen Erforschung überlassen. Es ist kein
Zweifel, daß die deutsche Rechtswissenschaft wie auf dem Gebiet des materiellen
bürgerlichen so auch auf dem des materiellen Prozeßrechts die aller andern
Roller weit überragte, und daß das, was die deutschen Universitätslehrer
früherer Jahrzehnte auf diesen Rechtsgebieten geleistet haben, trotz alles
Wechsels der Gesetzgebung von Wert bleiben wird, so lange es überhaupt
«ne Rechtswissenschaft gibt. Erwägt man hierzu weiter, daß es viele Rechts¬
gebiete gibt, die dem Praktiker überhaupt fern liegen, so die Rechtsgeschichte,
das Staatsrecht, das Kirchenrecht, das Völkerrecht, die Rechtsphilosophie,
alles Gebiete, mit denen überhaupt nur der Universitätslehrer zu tun hat, so
erklärt sich hiermit zur Genüge die Tatsache, daß noch bis vor etwa drei
Jahrzehnten die wissenschaftliche Behandlung des gesamten Rechtsstoffs fast
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