Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Die Zukunft der juristischen Professuren zu verschaffen. Die Professoren aber trösteten sich mit dem Bewußtsein, daß 2 Es wäre sicher ungerechtfertigt, wenn man die Leistungen wissenschaft¬ Die Zukunft der juristischen Professuren zu verschaffen. Die Professoren aber trösteten sich mit dem Bewußtsein, daß 2 Es wäre sicher ungerechtfertigt, wenn man die Leistungen wissenschaft¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0570" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294189"/> <fw type="header" place="top"> Die Zukunft der juristischen Professuren</fw><lb/> <p xml:id="ID_2549" prev="#ID_2548"> zu verschaffen. Die Professoren aber trösteten sich mit dem Bewußtsein, daß<lb/> Deutschland in der Wissenschaft des Gemeinen Rechts zweifellos die erste<lb/> Stellung unter den Völkern des Erdballs einnehme.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 2</head><lb/> <p xml:id="ID_2550"> Es wäre sicher ungerechtfertigt, wenn man die Leistungen wissenschaft¬<lb/> lich gebildeter Männer nach der Anzahl von Büchern und Abhandlungen<lb/> beurteilen wollte, die sie veröffentlicht haben; aber das eine steht fest, daß<lb/> eine schriftstellerische Tätigkeit immer ein Beweis einer gewissen größern<lb/> geistigen Regsamkeit ist, und so erklärt es sich, daß wissenschaftlich gebildete<lb/> Männer, die sich in der Fachwissenschaft schriftstellerisch betätigen, bei ihren<lb/> Fachgenossen immer ein ganz besondres Ansehen genießen. In der Rechts¬<lb/> wissenschaft war nun die schriftstellerische Beendigung bis vor wenig Jahr¬<lb/> zehnten fast ausschließlich Sache der Universitätslehrer, und ein Praktiker, der<lb/> in der Rechtswissenschaft schriftstellerisch tätig war, war eine seltne Ausnahme.<lb/> Dies erklärt sich aus der frühern Rechtszersplitterung und den eigentümlichen<lb/> Mängeln der in den einzelnen Staaten früher geltenden Gesetze. Das<lb/> Preußische Landrecht war zur wissenschaftlichen Behandlung völlig ungeeignet,<lb/> da es beherrscht war durch das Streben, alle erdenklichen Rechtsfragen durch<lb/> besondre gesetzliche Bestimmungen zu lösen; die Grundsätze, aus denen wissen¬<lb/> schaftlich weitere Folgerungen herzuleiten sind, traten gegenüber einer unleid¬<lb/> lichen Kasuistik zurück, die fertigen Folgerungen sollten überall durch gesetzliche<lb/> Bestimmungen geboten werden. So erklärt es sich, daß während unser<lb/> Bürgerliches Gesetzbuch den Besitz in 18 Paragraphen, die Bürgschaft in 13,<lb/> die Miete und die Pacht in 63, die unerlaubten Handlungen in 33 und das<lb/> Vvrmundschaftsrecht in 149 behandelt, das Preußische Landrecht dem Besitz<lb/> 250, der Bürgschaft 210, der Miete und der Pacht 367, den unerlaubten Hand¬<lb/> lungen 138, dem Vormundschaftsrecht gar weit über 1000 Paragraphen<lb/> widmete. Ein solches Gesetzbuch schreckt von wissenschaftlicher Behandlung<lb/> geradezu ab, und die Universitätslehrer sahen mit Geringschätzung auf die<lb/> Praktiker des Preußischen Rechts herab, die sich träge die Präjudizien des<lb/> Preußischen Obertribunals aneigneten und von jeder wissenschaftlichen Be¬<lb/> handlung des Rechts losgelöst waren. — Wieder andre Gründe waren es,<lb/> die einer wissenschaftlichen Behandlung des französischen Rechts entgegen¬<lb/> standen; Scivigny nennt den Locls vivii eine politische Krankheit, dessen Kenn¬<lb/> zeichen überall UnVollständigkeit oder Flüchtigkeit, eine mechanische und un¬<lb/> wissenschaftliche BeHandlungsweise sei; Bühr bezeichnet den OocI<z als ein<lb/> flüchtiges Machwerk, wenn auch mit dem den Franzosen eigentümlichen Ge¬<lb/> schick bearbeitet. Sogar über die Grundbegriffe, zum Beispiel über den Unter¬<lb/> schied zwischen dinglichen und nur persönlichen Rechten, zwischen Nichtigkeit<lb/> und Anfechtbarkeit schwebte in diesem französischen Gesetzbuche, wie Savigny<lb/> es bezeichnend ausdrückt, eine Dämmerung, die zu wissenschaftlicher Behand¬<lb/> lung keinesfalls anregte, während die praktischen Vorzüge des Ouis ihn<lb/> überall, wo er in Geltung war, bei der Bevölkerung lieb und wert machten.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0570]
Die Zukunft der juristischen Professuren
zu verschaffen. Die Professoren aber trösteten sich mit dem Bewußtsein, daß
Deutschland in der Wissenschaft des Gemeinen Rechts zweifellos die erste
Stellung unter den Völkern des Erdballs einnehme.
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Es wäre sicher ungerechtfertigt, wenn man die Leistungen wissenschaft¬
lich gebildeter Männer nach der Anzahl von Büchern und Abhandlungen
beurteilen wollte, die sie veröffentlicht haben; aber das eine steht fest, daß
eine schriftstellerische Tätigkeit immer ein Beweis einer gewissen größern
geistigen Regsamkeit ist, und so erklärt es sich, daß wissenschaftlich gebildete
Männer, die sich in der Fachwissenschaft schriftstellerisch betätigen, bei ihren
Fachgenossen immer ein ganz besondres Ansehen genießen. In der Rechts¬
wissenschaft war nun die schriftstellerische Beendigung bis vor wenig Jahr¬
zehnten fast ausschließlich Sache der Universitätslehrer, und ein Praktiker, der
in der Rechtswissenschaft schriftstellerisch tätig war, war eine seltne Ausnahme.
Dies erklärt sich aus der frühern Rechtszersplitterung und den eigentümlichen
Mängeln der in den einzelnen Staaten früher geltenden Gesetze. Das
Preußische Landrecht war zur wissenschaftlichen Behandlung völlig ungeeignet,
da es beherrscht war durch das Streben, alle erdenklichen Rechtsfragen durch
besondre gesetzliche Bestimmungen zu lösen; die Grundsätze, aus denen wissen¬
schaftlich weitere Folgerungen herzuleiten sind, traten gegenüber einer unleid¬
lichen Kasuistik zurück, die fertigen Folgerungen sollten überall durch gesetzliche
Bestimmungen geboten werden. So erklärt es sich, daß während unser
Bürgerliches Gesetzbuch den Besitz in 18 Paragraphen, die Bürgschaft in 13,
die Miete und die Pacht in 63, die unerlaubten Handlungen in 33 und das
Vvrmundschaftsrecht in 149 behandelt, das Preußische Landrecht dem Besitz
250, der Bürgschaft 210, der Miete und der Pacht 367, den unerlaubten Hand¬
lungen 138, dem Vormundschaftsrecht gar weit über 1000 Paragraphen
widmete. Ein solches Gesetzbuch schreckt von wissenschaftlicher Behandlung
geradezu ab, und die Universitätslehrer sahen mit Geringschätzung auf die
Praktiker des Preußischen Rechts herab, die sich träge die Präjudizien des
Preußischen Obertribunals aneigneten und von jeder wissenschaftlichen Be¬
handlung des Rechts losgelöst waren. — Wieder andre Gründe waren es,
die einer wissenschaftlichen Behandlung des französischen Rechts entgegen¬
standen; Scivigny nennt den Locls vivii eine politische Krankheit, dessen Kenn¬
zeichen überall UnVollständigkeit oder Flüchtigkeit, eine mechanische und un¬
wissenschaftliche BeHandlungsweise sei; Bühr bezeichnet den OocI<z als ein
flüchtiges Machwerk, wenn auch mit dem den Franzosen eigentümlichen Ge¬
schick bearbeitet. Sogar über die Grundbegriffe, zum Beispiel über den Unter¬
schied zwischen dinglichen und nur persönlichen Rechten, zwischen Nichtigkeit
und Anfechtbarkeit schwebte in diesem französischen Gesetzbuche, wie Savigny
es bezeichnend ausdrückt, eine Dämmerung, die zu wissenschaftlicher Behand¬
lung keinesfalls anregte, während die praktischen Vorzüge des Ouis ihn
überall, wo er in Geltung war, bei der Bevölkerung lieb und wert machten.
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