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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Manderbettelei

ig, czouvsrturs ä'^prss wi -- können und sollen wir noch viel lernen, so viel
einzelne Kreise unsers Volkes auch schon gelernt haben mögen. Den einzelnen
Engländern sind die einzelnen Deutschen vielfach nicht nur ebenbürtig, sondern
oft überlegen, als Nation haben sie einen für uns einstweilen unerreichbaren
Zug der Größe, den Weitblick und die Energie des schnell erfassender Handelns
voraus. Als bundesstaatlich gegliedertes Volk werden wir dahinter noch lange
zurückbleiben; mit unserm mehr auf innere Machtkämpfe als auf große und
weite nationale Ziele gerichteten Parlament, das auf einer so ganz andern
Basis steht als das englische, werden wir zu einer weitausschauenden Politik
nur langsam und mühsam, oft zu spät gelangen. Um so weniger aber werden
auf absehbare Zeit Deutschlands und Englands nationale Lebensinteressen
gegeneinander stoßen, zumal wenn wir lernen, unsre Ansprüche und unsern
Ehrgeiz unsern heutigen Machtmitteln und unsrer heutigen Leistungsfähigkeit
anzupassen und nicht die Aufgaben unsrer Enkel machen wollen. Wir wollen
auf der See und über See von England geachtet werden, um diesen Preis
werden wir Freunde und nicht Gegner sein, wird die deutsche Flagge auch in
Zukunft niemals gegenüber der englischen wehen. Es ist England nicht zu ver¬
denken, wenn es sich mit einigem Unbehagen auf die Nachbarschaft einer deutschen
Seemacht einrichtet, deren Vorhandensein neben der großen französischen und
der erstarkten russischen dem britischen Vetter nahelegt, mit allerlei Kombi¬
nationen der Zukunft, mit Koalitionen von Seemächten zu rechnen, mit denen
er ehedem nicht zu rechnen hatte. Aber der deutsche Reichsadler wird auf dem
Fluge über die Meere den Union Jack viel lieber als Freund als als Feind
begrüßen, und in diesem Sinne haben bis auf den heutigen Tag die beiderseitigen
Mariner draußen immer miteinander verkehrt. In diesem Sinne hatte auch
König Eduard angeordnet, dem Kaiser in Gibraltar und in Malta die größten
Ehren zu erweisen und ihn in Gibraltar wie den König selbst zu führen.

Bauen wir schnell und kräftig unsre Flotte, um so wertvoller wird Deutsch¬
lands Freundschaft, um so gefürchteter seine Gegnerschaft, um so sicherer sein
Friede sein. Diese Friedensversicherungsprämie, die Lebensversicherungsprümie
für sechzig Millionen Deutsche, kann, muß und will unser Volk zahlen.


h. I-


Wanderbettelei

! n der in der Überschrift genannten Erscheinung könnte man sehr
hübsch Spencers Sozialphilosophie demonstrieren. Der Unwissende
ist geneigt, sie für eine moderne Landplage zu halten. Der
Geschichtskundige weiß, daß sie nur ein unansehnlicher Überrest
deines ehedem allgemeinen Zustandes ist. In alten Zeiten sind
ganze Völker gewandert: natürlich haben sie nicht gebettelt, sondern sich n^t
gewappneter Faust genommen, was sie begehrten, samt dem Lande, worm
es ihnen beliebte, sich niederzulassen. Wer weiß, ob auch nur ein einziger


Manderbettelei

ig, czouvsrturs ä'^prss wi — können und sollen wir noch viel lernen, so viel
einzelne Kreise unsers Volkes auch schon gelernt haben mögen. Den einzelnen
Engländern sind die einzelnen Deutschen vielfach nicht nur ebenbürtig, sondern
oft überlegen, als Nation haben sie einen für uns einstweilen unerreichbaren
Zug der Größe, den Weitblick und die Energie des schnell erfassender Handelns
voraus. Als bundesstaatlich gegliedertes Volk werden wir dahinter noch lange
zurückbleiben; mit unserm mehr auf innere Machtkämpfe als auf große und
weite nationale Ziele gerichteten Parlament, das auf einer so ganz andern
Basis steht als das englische, werden wir zu einer weitausschauenden Politik
nur langsam und mühsam, oft zu spät gelangen. Um so weniger aber werden
auf absehbare Zeit Deutschlands und Englands nationale Lebensinteressen
gegeneinander stoßen, zumal wenn wir lernen, unsre Ansprüche und unsern
Ehrgeiz unsern heutigen Machtmitteln und unsrer heutigen Leistungsfähigkeit
anzupassen und nicht die Aufgaben unsrer Enkel machen wollen. Wir wollen
auf der See und über See von England geachtet werden, um diesen Preis
werden wir Freunde und nicht Gegner sein, wird die deutsche Flagge auch in
Zukunft niemals gegenüber der englischen wehen. Es ist England nicht zu ver¬
denken, wenn es sich mit einigem Unbehagen auf die Nachbarschaft einer deutschen
Seemacht einrichtet, deren Vorhandensein neben der großen französischen und
der erstarkten russischen dem britischen Vetter nahelegt, mit allerlei Kombi¬
nationen der Zukunft, mit Koalitionen von Seemächten zu rechnen, mit denen
er ehedem nicht zu rechnen hatte. Aber der deutsche Reichsadler wird auf dem
Fluge über die Meere den Union Jack viel lieber als Freund als als Feind
begrüßen, und in diesem Sinne haben bis auf den heutigen Tag die beiderseitigen
Mariner draußen immer miteinander verkehrt. In diesem Sinne hatte auch
König Eduard angeordnet, dem Kaiser in Gibraltar und in Malta die größten
Ehren zu erweisen und ihn in Gibraltar wie den König selbst zu führen.

Bauen wir schnell und kräftig unsre Flotte, um so wertvoller wird Deutsch¬
lands Freundschaft, um so gefürchteter seine Gegnerschaft, um so sicherer sein
Friede sein. Diese Friedensversicherungsprämie, die Lebensversicherungsprümie
für sechzig Millionen Deutsche, kann, muß und will unser Volk zahlen.


h. I-


Wanderbettelei

! n der in der Überschrift genannten Erscheinung könnte man sehr
hübsch Spencers Sozialphilosophie demonstrieren. Der Unwissende
ist geneigt, sie für eine moderne Landplage zu halten. Der
Geschichtskundige weiß, daß sie nur ein unansehnlicher Überrest
deines ehedem allgemeinen Zustandes ist. In alten Zeiten sind
ganze Völker gewandert: natürlich haben sie nicht gebettelt, sondern sich n^t
gewappneter Faust genommen, was sie begehrten, samt dem Lande, worm
es ihnen beliebte, sich niederzulassen. Wer weiß, ob auch nur ein einziger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/558>, abgerufen am 13.11.2024.