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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Gindrücke aus der modernen Verwaltung Preußens,
besonders aus der Vezirksinstanz
j). von Hedemann von
2. Der Tag eines Dezernenten
(Fortsetzung)

n diesen Blättern wurde vor einiger Zeit die Ansicht vertreten,
daß der Hauptwert der Familienfideikommisse in der Stärkung
des Familiensinnes liege. Ich glaube das nicht. Unter Familien¬
sinn versteht man zwei ganz verschiedne Dinge, den Sinn für
den Zusammenhang der Geschlechter, für die unsichtbare, ideale
Familie sozusagen, für das Bleibende im Wechsel ihrer Generationen, histo¬
rischen Sinn also in einer bestimmten Beziehung, dann aber auch das Ge¬
fühl für den Zusammenhang uuter den Mitgliedern der lebenden Generation.
Wohl mag das erste Gefühl, schwerlich aber das andre durch die Einrichtung
der Fideikommisse gestärkt werden; das lehrt die Erfahrung, und wo die Be¬
obachtungen anders zu sprechen scheinen, ist ihr Ergebnis, glaube ich, nur
scheinbar richtig, und die Vorgänge werden irrig gedeutet. Nur freiwillige,
nicht Rechtseinrichtungen werden hier wertvolle Erfolge erreichen können. Jeder
Zweig der Staatstütigkcit unterliegt den Angriffen von Modetheorien, die ihn
zu beeinflussen versuchen, das Strafrecht der Gegenwart zum Beispiel der
Überschätzung der Tatsache der subjektiven Verschuldung gegenüber dem objek¬
tiven Erfolg, an den die Theorie kaum mehr zu denken scheint. Ein ähn¬
licher Versuch scheint sich auf dem Gebiete der Rechtsordnung des Fideikommiß-
und Heimstättenrechts gegenüber den maßgebenden Verwaltungsorganen zu
vollziehen. Die Annahme des "Familienratssystems" im neuen Fideikommiß-
gesetzentwurfe spricht dafür: der Familienrat soll als eine natürliche Vertretung
der am Fideikommisse berechtigten Familie gelten; er ist in Wirklichkeit aber
nichts weniger als das. Fideikommisse erben sich, wie die Geschichte lehrt, aus
sehr naheliegenden Gründen durchgängig vom Vater auf deu Sohn fort. Jede
Linie der Familie hat mehr Aussicht auszusterben, als die besitzende Hauptlinie;
es ist wie bei den hochstämmigen Gewächsen des Waldes, deren Seitentriebe
sich gewöhnlich weniger lange lebenskräftig erhalten können als der bevorzugte
Haupttrieb. Dieselbe Beobachtung wie bei Fideikommissen kann man bekanntlich
bei regierenden Familien machen, und nur das Haus, das 850 Jahre über
Frankreich geherrscht hat, macht nach 1400 eine merkwürdige Ausnahme von
der Regel, daß Seitenlinien nur selten succedieren. Ebensowenig haben im all¬
gemeinen die Mitglieder des Familienrats nach dem neuen Entwurf Aussicht,
das Fideikommiß jemals an sich oder ihre Nachkommen fallen zu sehen. Ihr




Gindrücke aus der modernen Verwaltung Preußens,
besonders aus der Vezirksinstanz
j). von Hedemann von
2. Der Tag eines Dezernenten
(Fortsetzung)

n diesen Blättern wurde vor einiger Zeit die Ansicht vertreten,
daß der Hauptwert der Familienfideikommisse in der Stärkung
des Familiensinnes liege. Ich glaube das nicht. Unter Familien¬
sinn versteht man zwei ganz verschiedne Dinge, den Sinn für
den Zusammenhang der Geschlechter, für die unsichtbare, ideale
Familie sozusagen, für das Bleibende im Wechsel ihrer Generationen, histo¬
rischen Sinn also in einer bestimmten Beziehung, dann aber auch das Ge¬
fühl für den Zusammenhang uuter den Mitgliedern der lebenden Generation.
Wohl mag das erste Gefühl, schwerlich aber das andre durch die Einrichtung
der Fideikommisse gestärkt werden; das lehrt die Erfahrung, und wo die Be¬
obachtungen anders zu sprechen scheinen, ist ihr Ergebnis, glaube ich, nur
scheinbar richtig, und die Vorgänge werden irrig gedeutet. Nur freiwillige,
nicht Rechtseinrichtungen werden hier wertvolle Erfolge erreichen können. Jeder
Zweig der Staatstütigkcit unterliegt den Angriffen von Modetheorien, die ihn
zu beeinflussen versuchen, das Strafrecht der Gegenwart zum Beispiel der
Überschätzung der Tatsache der subjektiven Verschuldung gegenüber dem objek¬
tiven Erfolg, an den die Theorie kaum mehr zu denken scheint. Ein ähn¬
licher Versuch scheint sich auf dem Gebiete der Rechtsordnung des Fideikommiß-
und Heimstättenrechts gegenüber den maßgebenden Verwaltungsorganen zu
vollziehen. Die Annahme des „Familienratssystems" im neuen Fideikommiß-
gesetzentwurfe spricht dafür: der Familienrat soll als eine natürliche Vertretung
der am Fideikommisse berechtigten Familie gelten; er ist in Wirklichkeit aber
nichts weniger als das. Fideikommisse erben sich, wie die Geschichte lehrt, aus
sehr naheliegenden Gründen durchgängig vom Vater auf deu Sohn fort. Jede
Linie der Familie hat mehr Aussicht auszusterben, als die besitzende Hauptlinie;
es ist wie bei den hochstämmigen Gewächsen des Waldes, deren Seitentriebe
sich gewöhnlich weniger lange lebenskräftig erhalten können als der bevorzugte
Haupttrieb. Dieselbe Beobachtung wie bei Fideikommissen kann man bekanntlich
bei regierenden Familien machen, und nur das Haus, das 850 Jahre über
Frankreich geherrscht hat, macht nach 1400 eine merkwürdige Ausnahme von
der Regel, daß Seitenlinien nur selten succedieren. Ebensowenig haben im all¬
gemeinen die Mitglieder des Familienrats nach dem neuen Entwurf Aussicht,
das Fideikommiß jemals an sich oder ihre Nachkommen fallen zu sehen. Ihr


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[0510] [Abbildung] Gindrücke aus der modernen Verwaltung Preußens, besonders aus der Vezirksinstanz j). von Hedemann von 2. Der Tag eines Dezernenten (Fortsetzung) n diesen Blättern wurde vor einiger Zeit die Ansicht vertreten, daß der Hauptwert der Familienfideikommisse in der Stärkung des Familiensinnes liege. Ich glaube das nicht. Unter Familien¬ sinn versteht man zwei ganz verschiedne Dinge, den Sinn für den Zusammenhang der Geschlechter, für die unsichtbare, ideale Familie sozusagen, für das Bleibende im Wechsel ihrer Generationen, histo¬ rischen Sinn also in einer bestimmten Beziehung, dann aber auch das Ge¬ fühl für den Zusammenhang uuter den Mitgliedern der lebenden Generation. Wohl mag das erste Gefühl, schwerlich aber das andre durch die Einrichtung der Fideikommisse gestärkt werden; das lehrt die Erfahrung, und wo die Be¬ obachtungen anders zu sprechen scheinen, ist ihr Ergebnis, glaube ich, nur scheinbar richtig, und die Vorgänge werden irrig gedeutet. Nur freiwillige, nicht Rechtseinrichtungen werden hier wertvolle Erfolge erreichen können. Jeder Zweig der Staatstütigkcit unterliegt den Angriffen von Modetheorien, die ihn zu beeinflussen versuchen, das Strafrecht der Gegenwart zum Beispiel der Überschätzung der Tatsache der subjektiven Verschuldung gegenüber dem objek¬ tiven Erfolg, an den die Theorie kaum mehr zu denken scheint. Ein ähn¬ licher Versuch scheint sich auf dem Gebiete der Rechtsordnung des Fideikommiß- und Heimstättenrechts gegenüber den maßgebenden Verwaltungsorganen zu vollziehen. Die Annahme des „Familienratssystems" im neuen Fideikommiß- gesetzentwurfe spricht dafür: der Familienrat soll als eine natürliche Vertretung der am Fideikommisse berechtigten Familie gelten; er ist in Wirklichkeit aber nichts weniger als das. Fideikommisse erben sich, wie die Geschichte lehrt, aus sehr naheliegenden Gründen durchgängig vom Vater auf deu Sohn fort. Jede Linie der Familie hat mehr Aussicht auszusterben, als die besitzende Hauptlinie; es ist wie bei den hochstämmigen Gewächsen des Waldes, deren Seitentriebe sich gewöhnlich weniger lange lebenskräftig erhalten können als der bevorzugte Haupttrieb. Dieselbe Beobachtung wie bei Fideikommissen kann man bekanntlich bei regierenden Familien machen, und nur das Haus, das 850 Jahre über Frankreich geherrscht hat, macht nach 1400 eine merkwürdige Ausnahme von der Regel, daß Seitenlinien nur selten succedieren. Ebensowenig haben im all¬ gemeinen die Mitglieder des Familienrats nach dem neuen Entwurf Aussicht, das Fideikommiß jemals an sich oder ihre Nachkommen fallen zu sehen. Ihr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/510>, abgerufen am 13.11.2024.