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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Japan, der Seestaat des äußersten (Ostens

ist, oder wenigstens wenn ans der ganzen Lage des Falles hervorgeht, daß es
für den Feind bestimmt war. Es sollten füglich nur die dem Kriegsschauplatz
benachbarten Gewässer der Bereich feindlicher Maßnahmen gegen neutrale
Schiffe und Waren, die man als Kriegskonterbande bezeichnet, sein. Diese
Beschränkung tritt aber keineswegs immer ein. England hielt einen für
Delagoabai bestimmten Hamburger Dampfer schon im Roten Meere an. Es
hätte ja am Ende vor der Elbe dasselbe tuu können, oder etwa einen von
Newyork nach Hamburg bestimmten Gctrcidcdampfer auf dem Atlantischen
Ozean wegnehmen können mit der Begründung, Hamburg sei nur eine Deck¬
adresse, die Ware sei eigentlich für die Buren bestimmt. Auch im gegen¬
wärtigen Kriege ist der Schauplatz solcher Gewalttaten nicht begrenzt. Theo¬
retisch stünde es Japanern und Russen frei, in der Nordsee deutsche Schiffe
anzuhalten und von ihrer Ladung wegzunehmen, was sie etwa für Kriegs¬
konterbande zu erklären beliebten. Praktisch sind bis jetzt auch aus dieser
Willkürlichkeit noch keine Weiterungen hervorgegangen, nur ist vor kurzem ein
russisches Kriegsschiff im Noten Meere so weit gegangen, einen englischen Post-
dampfer nach der für Japan bestimmten Post zu durchsuche", die es als Kriegs-
konterbande ansehe. Es war solche an Bord, aber es gelang den Russen nicht,
sie aufzufinden.

Völkerrechtlich ist geboten, daß der wegnehmende Staat die Sache vor
ein Prisengericht bringt. Aber da ist wieder der heillose Fall, daß er
selber dieses Gericht einsetzt, und zwar aus seinen eignen Untertanen, wobei
untürlich ausgeschlossen ist, daß er Leute erwählt, die gegen die Neutralen zu
nachsichtig sein könnten. Die Neutralen haben keinerlei Bürgschaft für un¬
parteiisches Urteil. In cludio ist anzunehmen, daß die Prisengerichte national be¬
fangen sind und sich von der Begierde nach lockender Beute leiten lassen. Inter¬
nationale Prisengerichte (etwa zusammengesetzt aus den neutralen Konsuln)
wären eine ganz billige Forderung der Neutralen. Der Schiedsgerichtshof
um Haag wäre eine sehr geeignete Instanz, dies vorzubereiten und zu organi¬
sieren; er wäre sogar eine sehr angemessene Appellationsinstanz.

Trotz aller unverkennbaren Fortschritte hat das Völkerrecht also noch
große, klaffende Lücken, die jeden Augenblick praktische Bedeutung gewinnen
können. Die Kriegszeit selber ist ungeeignet zu friedlicher Weiterbildung, aber
die dazwischen fallenden Friedenszeiten sollte man fleißig dazu benutzen.




Japan, der Seestaat des äußersten Ostens

an hat den emporstrebenden Seestaat des äußersten Ostens, Japan,
oft mit England verglichen, dem Inselstaate, der der Westseite
der großen europäisch-asiatischen Ländermasse vorgelagert ist, ähn¬
lich wie die japanischen Inseln im Osten. Heute, wo Japan
^. wieder aller Angen auf sich zieht, ist es wohl angebracht, sich
^ e>e Parallele etwas genauer einzusehen. Nicht nur die äußere Ähnlichkeit der
beiden Staaten, auch daß sie>eit kurzer Zeit in einem Bündnisverhältnis


Grenzboten II 1904S8
Japan, der Seestaat des äußersten (Ostens

ist, oder wenigstens wenn ans der ganzen Lage des Falles hervorgeht, daß es
für den Feind bestimmt war. Es sollten füglich nur die dem Kriegsschauplatz
benachbarten Gewässer der Bereich feindlicher Maßnahmen gegen neutrale
Schiffe und Waren, die man als Kriegskonterbande bezeichnet, sein. Diese
Beschränkung tritt aber keineswegs immer ein. England hielt einen für
Delagoabai bestimmten Hamburger Dampfer schon im Roten Meere an. Es
hätte ja am Ende vor der Elbe dasselbe tuu können, oder etwa einen von
Newyork nach Hamburg bestimmten Gctrcidcdampfer auf dem Atlantischen
Ozean wegnehmen können mit der Begründung, Hamburg sei nur eine Deck¬
adresse, die Ware sei eigentlich für die Buren bestimmt. Auch im gegen¬
wärtigen Kriege ist der Schauplatz solcher Gewalttaten nicht begrenzt. Theo¬
retisch stünde es Japanern und Russen frei, in der Nordsee deutsche Schiffe
anzuhalten und von ihrer Ladung wegzunehmen, was sie etwa für Kriegs¬
konterbande zu erklären beliebten. Praktisch sind bis jetzt auch aus dieser
Willkürlichkeit noch keine Weiterungen hervorgegangen, nur ist vor kurzem ein
russisches Kriegsschiff im Noten Meere so weit gegangen, einen englischen Post-
dampfer nach der für Japan bestimmten Post zu durchsuche«, die es als Kriegs-
konterbande ansehe. Es war solche an Bord, aber es gelang den Russen nicht,
sie aufzufinden.

Völkerrechtlich ist geboten, daß der wegnehmende Staat die Sache vor
ein Prisengericht bringt. Aber da ist wieder der heillose Fall, daß er
selber dieses Gericht einsetzt, und zwar aus seinen eignen Untertanen, wobei
untürlich ausgeschlossen ist, daß er Leute erwählt, die gegen die Neutralen zu
nachsichtig sein könnten. Die Neutralen haben keinerlei Bürgschaft für un¬
parteiisches Urteil. In cludio ist anzunehmen, daß die Prisengerichte national be¬
fangen sind und sich von der Begierde nach lockender Beute leiten lassen. Inter¬
nationale Prisengerichte (etwa zusammengesetzt aus den neutralen Konsuln)
wären eine ganz billige Forderung der Neutralen. Der Schiedsgerichtshof
um Haag wäre eine sehr geeignete Instanz, dies vorzubereiten und zu organi¬
sieren; er wäre sogar eine sehr angemessene Appellationsinstanz.

Trotz aller unverkennbaren Fortschritte hat das Völkerrecht also noch
große, klaffende Lücken, die jeden Augenblick praktische Bedeutung gewinnen
können. Die Kriegszeit selber ist ungeeignet zu friedlicher Weiterbildung, aber
die dazwischen fallenden Friedenszeiten sollte man fleißig dazu benutzen.




Japan, der Seestaat des äußersten Ostens

an hat den emporstrebenden Seestaat des äußersten Ostens, Japan,
oft mit England verglichen, dem Inselstaate, der der Westseite
der großen europäisch-asiatischen Ländermasse vorgelagert ist, ähn¬
lich wie die japanischen Inseln im Osten. Heute, wo Japan
^. wieder aller Angen auf sich zieht, ist es wohl angebracht, sich
^ e>e Parallele etwas genauer einzusehen. Nicht nur die äußere Ähnlichkeit der
beiden Staaten, auch daß sie>eit kurzer Zeit in einem Bündnisverhältnis


Grenzboten II 1904S8
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[0441] Japan, der Seestaat des äußersten (Ostens ist, oder wenigstens wenn ans der ganzen Lage des Falles hervorgeht, daß es für den Feind bestimmt war. Es sollten füglich nur die dem Kriegsschauplatz benachbarten Gewässer der Bereich feindlicher Maßnahmen gegen neutrale Schiffe und Waren, die man als Kriegskonterbande bezeichnet, sein. Diese Beschränkung tritt aber keineswegs immer ein. England hielt einen für Delagoabai bestimmten Hamburger Dampfer schon im Roten Meere an. Es hätte ja am Ende vor der Elbe dasselbe tuu können, oder etwa einen von Newyork nach Hamburg bestimmten Gctrcidcdampfer auf dem Atlantischen Ozean wegnehmen können mit der Begründung, Hamburg sei nur eine Deck¬ adresse, die Ware sei eigentlich für die Buren bestimmt. Auch im gegen¬ wärtigen Kriege ist der Schauplatz solcher Gewalttaten nicht begrenzt. Theo¬ retisch stünde es Japanern und Russen frei, in der Nordsee deutsche Schiffe anzuhalten und von ihrer Ladung wegzunehmen, was sie etwa für Kriegs¬ konterbande zu erklären beliebten. Praktisch sind bis jetzt auch aus dieser Willkürlichkeit noch keine Weiterungen hervorgegangen, nur ist vor kurzem ein russisches Kriegsschiff im Noten Meere so weit gegangen, einen englischen Post- dampfer nach der für Japan bestimmten Post zu durchsuche«, die es als Kriegs- konterbande ansehe. Es war solche an Bord, aber es gelang den Russen nicht, sie aufzufinden. Völkerrechtlich ist geboten, daß der wegnehmende Staat die Sache vor ein Prisengericht bringt. Aber da ist wieder der heillose Fall, daß er selber dieses Gericht einsetzt, und zwar aus seinen eignen Untertanen, wobei untürlich ausgeschlossen ist, daß er Leute erwählt, die gegen die Neutralen zu nachsichtig sein könnten. Die Neutralen haben keinerlei Bürgschaft für un¬ parteiisches Urteil. In cludio ist anzunehmen, daß die Prisengerichte national be¬ fangen sind und sich von der Begierde nach lockender Beute leiten lassen. Inter¬ nationale Prisengerichte (etwa zusammengesetzt aus den neutralen Konsuln) wären eine ganz billige Forderung der Neutralen. Der Schiedsgerichtshof um Haag wäre eine sehr geeignete Instanz, dies vorzubereiten und zu organi¬ sieren; er wäre sogar eine sehr angemessene Appellationsinstanz. Trotz aller unverkennbaren Fortschritte hat das Völkerrecht also noch große, klaffende Lücken, die jeden Augenblick praktische Bedeutung gewinnen können. Die Kriegszeit selber ist ungeeignet zu friedlicher Weiterbildung, aber die dazwischen fallenden Friedenszeiten sollte man fleißig dazu benutzen. Japan, der Seestaat des äußersten Ostens an hat den emporstrebenden Seestaat des äußersten Ostens, Japan, oft mit England verglichen, dem Inselstaate, der der Westseite der großen europäisch-asiatischen Ländermasse vorgelagert ist, ähn¬ lich wie die japanischen Inseln im Osten. Heute, wo Japan ^. wieder aller Angen auf sich zieht, ist es wohl angebracht, sich ^ e>e Parallele etwas genauer einzusehen. Nicht nur die äußere Ähnlichkeit der beiden Staaten, auch daß sie>eit kurzer Zeit in einem Bündnisverhältnis Grenzboten II 1904S8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/441>, abgerufen am 13.11.2024.