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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Italien und Frankreich

>nzweifelhaft ist der Besuch des Präsidenten der französischen
Republik in Rom und in Neapel ein bedeutsames politisches Er¬
eignis, und manche Italiener sind sogar geneigt, zwischen Loubet
und Karl dem Großen insofern eine Parallele zu ziehn, als die
Anwesenheit des französischen Staatsoberhauptes in Rom die
Politik, die der große Frcinkeukaiser eingeleitet habe, als er die enge Ver¬
bindung zwischen dem Frankenreich und dem Papsttum begründete, beendet habe.
Dieser Vergleich hinkt nun freilich schon deshalb, weil nicht die Könige von
Frankreich die Rechtsnachfolger der Karolinger in diesen Beziehungen gewesen
sind, sondern die deutsch-römischen Kaiser, und weil Frankreich, solange deren
Machtstellung dauerte, also vou der Mitte des zehnten bis zur Mitte des
dreizehnten Jahrhunderts so gut wie keinen politischen Einfluß in Italien
hat ausüben können; ein solcher beginnt vielmehr erst mit dem Auftreten der
Anjous und wirkt dann nur mit großen Unterbrechungen fort. Doch auch
wenn wir nicht so weit zurückgreifen, die Tatsache bleibt immerhin bestehn,
daß die Anwesenheit Loubets in Rom eine Wendung der französischen Politik
gegenüber Italien nicht einleitet, aber besiegelt.

Seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ist das die dritte Periode
in diesen Beziehungen. Das Eintreten der zweiten französischen Republik für
das Papsttum im Jahre 1849 war noch ein Nachhall der beanspruchten
Schutzherrschaft Frankreichs über Rom, und sechzehn Jahre lang hat seitdem die
französische Trikolore auf der Engelsburg geweht. Aber mit 1855, mit dem Ein¬
tritt Piemonts in das französisch-englische Bündnis gegen Rußland begann eine
neue, die erste Periode dieses halben Jahrhunderts. Denn damit bereitete
sich die Politik Napoleons des Dritten vor, Österreich ans Italien hinans-
zndrüngen und ein starkes "subalpinisches" Königreich in Abhängigkeit von
Frankreich aufzurichten, ohne doch dem Papsttum zu nahe zu treten. Im
Kriege von 1859 siegreich, ist er deshalb auch mit der Annexion der Emilia,
der päpstlichen Romagna und schließlich sogar Toscanas 1860 einverstanden
gewesen, schon weil das Entschädigungen für das den Italienern feierlich ver-
sprochne Benezien waren, und weil er nur so Savoyen und Nizza für Frank¬
reich erwerben konnte; alles, was weiter kam, die Annexion des ganzen Püpst-


Grenzbotcn II 1W4 49


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Italien und Frankreich

>nzweifelhaft ist der Besuch des Präsidenten der französischen
Republik in Rom und in Neapel ein bedeutsames politisches Er¬
eignis, und manche Italiener sind sogar geneigt, zwischen Loubet
und Karl dem Großen insofern eine Parallele zu ziehn, als die
Anwesenheit des französischen Staatsoberhauptes in Rom die
Politik, die der große Frcinkeukaiser eingeleitet habe, als er die enge Ver¬
bindung zwischen dem Frankenreich und dem Papsttum begründete, beendet habe.
Dieser Vergleich hinkt nun freilich schon deshalb, weil nicht die Könige von
Frankreich die Rechtsnachfolger der Karolinger in diesen Beziehungen gewesen
sind, sondern die deutsch-römischen Kaiser, und weil Frankreich, solange deren
Machtstellung dauerte, also vou der Mitte des zehnten bis zur Mitte des
dreizehnten Jahrhunderts so gut wie keinen politischen Einfluß in Italien
hat ausüben können; ein solcher beginnt vielmehr erst mit dem Auftreten der
Anjous und wirkt dann nur mit großen Unterbrechungen fort. Doch auch
wenn wir nicht so weit zurückgreifen, die Tatsache bleibt immerhin bestehn,
daß die Anwesenheit Loubets in Rom eine Wendung der französischen Politik
gegenüber Italien nicht einleitet, aber besiegelt.

Seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ist das die dritte Periode
in diesen Beziehungen. Das Eintreten der zweiten französischen Republik für
das Papsttum im Jahre 1849 war noch ein Nachhall der beanspruchten
Schutzherrschaft Frankreichs über Rom, und sechzehn Jahre lang hat seitdem die
französische Trikolore auf der Engelsburg geweht. Aber mit 1855, mit dem Ein¬
tritt Piemonts in das französisch-englische Bündnis gegen Rußland begann eine
neue, die erste Periode dieses halben Jahrhunderts. Denn damit bereitete
sich die Politik Napoleons des Dritten vor, Österreich ans Italien hinans-
zndrüngen und ein starkes „subalpinisches" Königreich in Abhängigkeit von
Frankreich aufzurichten, ohne doch dem Papsttum zu nahe zu treten. Im
Kriege von 1859 siegreich, ist er deshalb auch mit der Annexion der Emilia,
der päpstlichen Romagna und schließlich sogar Toscanas 1860 einverstanden
gewesen, schon weil das Entschädigungen für das den Italienern feierlich ver-
sprochne Benezien waren, und weil er nur so Savoyen und Nizza für Frank¬
reich erwerben konnte; alles, was weiter kam, die Annexion des ganzen Püpst-


Grenzbotcn II 1W4 49
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[0373] [Abbildung] ^Ms?l^L^S^ Italien und Frankreich >nzweifelhaft ist der Besuch des Präsidenten der französischen Republik in Rom und in Neapel ein bedeutsames politisches Er¬ eignis, und manche Italiener sind sogar geneigt, zwischen Loubet und Karl dem Großen insofern eine Parallele zu ziehn, als die Anwesenheit des französischen Staatsoberhauptes in Rom die Politik, die der große Frcinkeukaiser eingeleitet habe, als er die enge Ver¬ bindung zwischen dem Frankenreich und dem Papsttum begründete, beendet habe. Dieser Vergleich hinkt nun freilich schon deshalb, weil nicht die Könige von Frankreich die Rechtsnachfolger der Karolinger in diesen Beziehungen gewesen sind, sondern die deutsch-römischen Kaiser, und weil Frankreich, solange deren Machtstellung dauerte, also vou der Mitte des zehnten bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts so gut wie keinen politischen Einfluß in Italien hat ausüben können; ein solcher beginnt vielmehr erst mit dem Auftreten der Anjous und wirkt dann nur mit großen Unterbrechungen fort. Doch auch wenn wir nicht so weit zurückgreifen, die Tatsache bleibt immerhin bestehn, daß die Anwesenheit Loubets in Rom eine Wendung der französischen Politik gegenüber Italien nicht einleitet, aber besiegelt. Seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ist das die dritte Periode in diesen Beziehungen. Das Eintreten der zweiten französischen Republik für das Papsttum im Jahre 1849 war noch ein Nachhall der beanspruchten Schutzherrschaft Frankreichs über Rom, und sechzehn Jahre lang hat seitdem die französische Trikolore auf der Engelsburg geweht. Aber mit 1855, mit dem Ein¬ tritt Piemonts in das französisch-englische Bündnis gegen Rußland begann eine neue, die erste Periode dieses halben Jahrhunderts. Denn damit bereitete sich die Politik Napoleons des Dritten vor, Österreich ans Italien hinans- zndrüngen und ein starkes „subalpinisches" Königreich in Abhängigkeit von Frankreich aufzurichten, ohne doch dem Papsttum zu nahe zu treten. Im Kriege von 1859 siegreich, ist er deshalb auch mit der Annexion der Emilia, der päpstlichen Romagna und schließlich sogar Toscanas 1860 einverstanden gewesen, schon weil das Entschädigungen für das den Italienern feierlich ver- sprochne Benezien waren, und weil er nur so Savoyen und Nizza für Frank¬ reich erwerben konnte; alles, was weiter kam, die Annexion des ganzen Püpst- Grenzbotcn II 1W4 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/373>, abgerufen am 13.11.2024.