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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Kleist und Moliere

als er völlig klar darüber ist, daß sein Weib einem andern Manne angehört
hat, findet er Worte des wärmsten Gefühls für sie, erklärt sich sogar bereit,
sein Leben für sie hinzugeben, um sie aus ihrer qualvollen Lage zu befreien:


seig, daß du jenen anerkennst, als Gatten,
Und so urschnell, als der Gedanke zuckt,
Befreit dies Schwert von meinem Anblick dich.

Das ist die Sprache wahrer Liebe, gegen die gehalten alle mäsurs, ÜÄinines
und tsnx des französischen Dichters als bloßes Feuerwerk erscheinen. Ein
Maun wie Kleists Amphitryon kann selbstverständlich nicht nach Offenbarung
des Sachverhalts in wortlosen Erstannen versteinert dastehn, unfähig, seine
Gefühle anders als durch ein möglichst dummes Gesicht auszudrücken. Er ist
tief erschüttert von der Nähe des Allgewaltigen. Mit den Worten:


Anbetung dir
Im Staub. Du bist der große Donnerer!
Und dein ist alles, was ich habe --

hebt er den ganzen Vorgang aus dem Dunstkreis einer leidigen Ehestands¬
geschichte heraus. Es geht hier etwas wie eine Erleuchtung oder Offenbarung
vor sich: der Skeptiker, der vorher alle Versuche, das Geschehene auf über¬
natürliche Einwirkungen zurückzuführen, von der Hand wies, sinkt auf die Knie
vor dem Göttlichen. Nicht gebeugt, nicht gedemütigt fühlt er sich, nein, gehoben
und getragen von einer Stimmung der Begeisterung. Ein Pfand fordert er
von Jupiter, den Sohn, den Göttersohn, der seinen Namen unsterblich machen
soll, ein Zeichen der Huld des Ewigen! Diese Szene, die so ganz anders
empfunden ist als bei Moliere, berührt zunächst fremdartig; Goethe nannte sie
gar klatrig.Es ist hier ein Schwung des Gefühls, eine Gottesbegeisterung
vorausgesetzt, wie sie nur einzelne Menschen, und auch die nur in besondrer
Weihestunde, ergreift. Können wir hier nicht ganz mitkommen, bleiben wir
hier am Tatsächlichen hängen, so trifft unzweifelhaft uns selbst ein Teil der
Schuld. Freilich, etwas erschwert wird uns das Mitempfinden dadurch, daß
wir Jupiter doch in sehr menschlicher Gestalt gesehen haben und noch sehen,
mit menschlichem Empfinden, menschlichen Schwächen ausgestattet; es ist der¬
selbe, der sich listig in Amphitryons Haus geschlichen, der sich eifersüchtig auf
Alkmenens Gatten gezeigt und in spitzfindigen Wendungen um ihre Liebe ge¬
worben hat, mit der Absicht, jenen aus ihrem Herzen zu verdrängen. Es hilft uns
nicht, daß eine nachträgliche Deutung allen diesen Vorgängen einen andern,
tiefern Sinn gibt. Vor diesem Jupiter können wir nicht in den Staub sinken,
und das kühne unsre Empfindung, erschwert unser Verständnis. Erhabner
freilich, göttlicher und zugleich menschlicher erscheint Jupiter als bei Moliere.
Dort ist er nur der hohe Herr, der seinen Begierden skrupellos folgt, mit ein
paar galanten Redensarten die Frau abfindet und den Mann durch Aufklärung
über die Höhe seines Ranges einschüchtert. Bei Kleist schimmert etwas wie
göttlicher Glanz durch die äußere Hülle hindurch. Alkmene gesteht, daß ihr der



5

") Vergl. Rasener, Das Kleistproblem, S, 26 (Reimer, Berlin, 1903), ein Buch, dem wir
sehr wichtige Aufschlüsse über des Dichters Wesen verdanken.
Kleist und Moliere

als er völlig klar darüber ist, daß sein Weib einem andern Manne angehört
hat, findet er Worte des wärmsten Gefühls für sie, erklärt sich sogar bereit,
sein Leben für sie hinzugeben, um sie aus ihrer qualvollen Lage zu befreien:


seig, daß du jenen anerkennst, als Gatten,
Und so urschnell, als der Gedanke zuckt,
Befreit dies Schwert von meinem Anblick dich.

Das ist die Sprache wahrer Liebe, gegen die gehalten alle mäsurs, ÜÄinines
und tsnx des französischen Dichters als bloßes Feuerwerk erscheinen. Ein
Maun wie Kleists Amphitryon kann selbstverständlich nicht nach Offenbarung
des Sachverhalts in wortlosen Erstannen versteinert dastehn, unfähig, seine
Gefühle anders als durch ein möglichst dummes Gesicht auszudrücken. Er ist
tief erschüttert von der Nähe des Allgewaltigen. Mit den Worten:


Anbetung dir
Im Staub. Du bist der große Donnerer!
Und dein ist alles, was ich habe —

hebt er den ganzen Vorgang aus dem Dunstkreis einer leidigen Ehestands¬
geschichte heraus. Es geht hier etwas wie eine Erleuchtung oder Offenbarung
vor sich: der Skeptiker, der vorher alle Versuche, das Geschehene auf über¬
natürliche Einwirkungen zurückzuführen, von der Hand wies, sinkt auf die Knie
vor dem Göttlichen. Nicht gebeugt, nicht gedemütigt fühlt er sich, nein, gehoben
und getragen von einer Stimmung der Begeisterung. Ein Pfand fordert er
von Jupiter, den Sohn, den Göttersohn, der seinen Namen unsterblich machen
soll, ein Zeichen der Huld des Ewigen! Diese Szene, die so ganz anders
empfunden ist als bei Moliere, berührt zunächst fremdartig; Goethe nannte sie
gar klatrig.Es ist hier ein Schwung des Gefühls, eine Gottesbegeisterung
vorausgesetzt, wie sie nur einzelne Menschen, und auch die nur in besondrer
Weihestunde, ergreift. Können wir hier nicht ganz mitkommen, bleiben wir
hier am Tatsächlichen hängen, so trifft unzweifelhaft uns selbst ein Teil der
Schuld. Freilich, etwas erschwert wird uns das Mitempfinden dadurch, daß
wir Jupiter doch in sehr menschlicher Gestalt gesehen haben und noch sehen,
mit menschlichem Empfinden, menschlichen Schwächen ausgestattet; es ist der¬
selbe, der sich listig in Amphitryons Haus geschlichen, der sich eifersüchtig auf
Alkmenens Gatten gezeigt und in spitzfindigen Wendungen um ihre Liebe ge¬
worben hat, mit der Absicht, jenen aus ihrem Herzen zu verdrängen. Es hilft uns
nicht, daß eine nachträgliche Deutung allen diesen Vorgängen einen andern,
tiefern Sinn gibt. Vor diesem Jupiter können wir nicht in den Staub sinken,
und das kühne unsre Empfindung, erschwert unser Verständnis. Erhabner
freilich, göttlicher und zugleich menschlicher erscheint Jupiter als bei Moliere.
Dort ist er nur der hohe Herr, der seinen Begierden skrupellos folgt, mit ein
paar galanten Redensarten die Frau abfindet und den Mann durch Aufklärung
über die Höhe seines Ranges einschüchtert. Bei Kleist schimmert etwas wie
göttlicher Glanz durch die äußere Hülle hindurch. Alkmene gesteht, daß ihr der



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") Vergl. Rasener, Das Kleistproblem, S, 26 (Reimer, Berlin, 1903), ein Buch, dem wir
sehr wichtige Aufschlüsse über des Dichters Wesen verdanken.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/280>, abgerufen am 28.06.2024.